Streit ums Gendern Der deutsche Wahlkampf ist längst ein «Krieg der Sternchen»

Von Sven Hauberg

21.6.2021

Wie hältst du's mit dem Sternchen? Am Thema Gendern scheiden sich die Geister.
Wie hältst du's mit dem Sternchen? Am Thema Gendern scheiden sich die Geister.
Bild: Keystone

Drei Monate vor der Bundestagswahl tobt in Deutschland ein Glaubenskrieg um die richtige oder falsche Sprache. Mittendrin in der Diskussion: ein Schweizer Gerichtsentscheid von 1923.

Von Sven Hauberg

21.6.2021

Ende September wählen die Deutschen einen neuen Bundestag, nach 16 langen Jahren geht dann die Ära Merkel zu Ende. Man sollte also meinen, es gäbe viel zu diskutieren in diesen Tagen zwischen Flensburg und Berchtesgaden. Man könnte etwa darüber sprechen, wie sich der Klimawandel effektiv bekämpfen liesse. Oder über die Fehler, die in der Corona-Pandemie gemacht wurden. Vielleicht könnte man auch die drängende Frage erörtern, wie sich Deutschland zu seinem zweitwichtigsten Handelspartner China positionieren soll.

Bund hält Genderstern in amtlichen Dokumenten für nicht zulässig

Die Bundeskanzlei hält den Genderstern, den Genderdoppelpunkt, den Gender-Gap und den Gender-Mediopunkt für «nicht geeignet, das Anliegen einer inklusiven Sprache in den Texten des Bundes umzusetzen». Sie lässt diese Zeichen deshalb in den Texten des Bundes nicht zu (SDA).

Stattdessen aber scheint das halbe Land derzeit nur ein Thema zu bewegen, das wahlweise mit einem kleinen Sternchen, einem Unterstrich oder einer kurzen Sprechpause daherkommt: Die Frage nach Sinn und Unsinn der geschlechtergerechten Sprache erhitzt die Gemüter derzeit ähnlich wie der beginnende Sommer, der mit Temperaturen jenseits der 30 Grad die Köpfe zum Glühen bringt. Im nördlichen Nachbarn ist längst ein «Krieg der Gendersternchen» ausgebrochen.



Lange Zeit wurde die Frage, ob man denn nun auch die Bürgerinnen meint, wenn man nur von den Bürgern spricht, vor allem in den Feuilletons diskutiert oder in den Seminarräumen der Gender Studies. Da ging es dann wahlweise um orthografische Feinheiten – Bürger*innen versus Bürger_innen etwa  – oder um wissenschaftliche Studien, die belegen sollen, wie sehr unsere Sprache unser Denken beeinflusst: Wenn von Ärzten die Rede ist, erscheinen vor dem geistigen Auge dann auch weibliche Medizinerinnen? Oder eben doch nur ein paar Männer in weissen Kitteln?

«Bürger*innennah» Glottisschlag

Einzug in die deutschen Wohnzimmer hielt das Thema unter anderem dank Petra Gerster. Die ZDF-Journalistin moderierte fast 23 Jahre lang die «heute»-Nachrichten um 19 Uhr, neben der ARD-«Tagesschau» die wichtigste Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen. Ein paar Monate vor ihrem Ruhestand Ende Mai begann Gerster, den Genderstern beim Vortragen der Nachrichten mitzusprechen – eine kurze Pause nur zwischen den «Bürgern» und den «*innen», aber doch lang genug, um wütende Reaktionen zu provozieren, in den sozialen Medien und in Leserbriefen, wie Gerster erzählte

Weil sie gendert, sei sie angefeindet worden, sagt Petra Gerster.
Weil sie gendert, sei sie angefeindet worden, sagt Petra Gerster.
Bild: Keystone

Dass die sprachwissenschaftlich auch als «Glottisschlag» bekannte «Gender-Pause» und all die anderen Versuche, die deutsche Sprache inklusiver zu machen, zum Wahlkampfthema taugen, entdeckte dann ausgerechnet ein Politiker, den viele schon vor Jahren abgeschrieben hatten.

Friedrich Merz, einst Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und später zweifach gescheiterter Bewerber um den Vorsitz der Merkel-Partei CDU, gab dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» Ende April ein Interview. Wenige Tage zuvor hatten die Grünen – jene Partei, in deren Wahlprogramm sich Wortungetüme wie «bürger*innennah» finden – erklärt, erstmals eine eigene Kandidatin fürs Kanzleramt ins Rennen zu schicken.



«Wer gibt Nachrichtenmoderatorinnen und -moderatoren das Recht, in ihren Sendungen einfach mal so eben die Regeln zur Verwendung unserer Sprache zu verändern?», schimpfte Merz. Vom «Spiegel» gefragt, ob Armin Laschet, Baerbocks Herausforderer von der CDU, im Wahlkampf auf «Sprachkonservatismus» setzen solle, sagte Merz: «Man sollte mit den Themen in den Wahlkampf ziehen, die die Menschen umtreiben.» Die überwiegende Mehrheit der Deutschen jedenfalls, befand Merz, lehne Gendersprache ab.

«Groteske Verunstaltung der deutschen Sprache»

Nur zwei Tages später legte dann Christoph Ploss nach, Chef der Hamburger CDU. Ebenfalls im «Spiegel» regte der 35-Jährige an, staatlichen Einrichtungen das Gendern zu verbieten. «Diese Sprache weist einen völlig falschen Weg», konstatierte der Politiker, der sonst eher mit regionalpolitischen Forderungen wie der Umsetzung der Hamburger Grünanlagen-Verordnung am Winterhuder Kai beschäftigt ist.

CDU-Politiker Friedrich Merz ist kein Freund des Genderns.
CDU-Politiker Friedrich Merz ist kein Freund des Genderns.
Bild: Keystone

Noch weiter ging die AfD. Als einzige der im Bundestag vertretenen Parteien nahmen die Rechten das Thema Gendern in ihr Wahlprogramm auf. Unter dem Übertitel «Deutschland. Aber normal» heisst es da: «Die sogenannte ‹gendergerechte Sprache› ist eine groteske Verunstaltung der deutschen Sprache.» Gendern, behauptet die Partei, «schafft keine Gleichberechtigung».

Seitdem Gendersternchen und Glottisschlag die politische Arena erreicht haben, ist das Thema auch medialer Dauerbrenner. Vor allem die konservativen deutschen Zeitungen arbeiten sich in schöner Regelmässigkeit ab an dem, was etwa das Boulevardblatt «Bild» als «Gender-Gaga» bezeichnet. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» beispielsweise setzt das Gendern fast wöchentlich auf die Agenda und erklärte unlängst ihren Leserinnen und Lesern: «Gendern grenzt aus.»

Die Schweiz als Negativbeispiel

Die Befürworter von gendergerechter Sprache wiederum ziehen gern die Schweiz als Negativbespiel dafür heran, was passieren kann, wenn auf die weibliche Sprachform verzichtet wird. So erklärte etwa die Geschlechterforscherin Andrea Maihofer den Leserinnen und Lesern der «Süddeutschen Zeitung», das Wahlrecht für Frauen habe in der Schweiz auch deshalb so lange auf sich warten lassen, weil die Bundesverfassung von 1874 eben nur besage, dass alle «Schweizer» vor dem Gesetz gleich sind, nicht aber alle Schweizerinnen. Das habe das Bundesgericht 1923 in einem Entscheid betont.



Vordergründig dreht sich diese aufgeheizte Debatte um die Sprache und ihre vermeintlich richtige oder falsche Verwendung. Doch die Konfliktlinien reichen tief hinein ins Selbstverständnis vieler Deutscher. Seit Oktober 2017 können sich in der Bundesrepublik auch zwei Männer oder zwei Frauen das Jawort geben, und nur wenige Tage später entschied das oberste Gericht des Landes, dass es nicht nur zwei Geschlechter gibt, sondern ein drittes. Seitdem findet sich etwa auf Stellenausschreibungen neben einem «m» für «männlich» und einem «w» für «weiblich» hinter der Berufsbezeichnung auch ein «d» – für «divers». 

Da geht es dann nicht mehr darum, wie man spricht und schreibt, um Gendersternchen, Unterstriche und kurze Sprechpausen, sondern um die ureigenste Identität des Menschen. Um ein Thema also, bei dem es um Würde gehen sollte – nicht um Wählerstimmen.