Der ewige Bürgerkrieg Der ewige Bürgerkrieg? In Syrien ist kein Ende des Leidens in Sicht

dpa

8.8.2019

Der 48-jährige Sami Chalil aus der Provinz Daraa im Süden Syriens sitzt mit seiner Tochter auf dem Boden seines Wohncontainers im Flüchtlingslager Saatari im Norden Jordaniens. Ein Ende des Bürgerkrieges ist noch immer nicht in Sicht.
Der 48-jährige Sami Chalil aus der Provinz Daraa im Süden Syriens sitzt mit seiner Tochter auf dem Boden seines Wohncontainers im Flüchtlingslager Saatari im Norden Jordaniens. Ein Ende des Bürgerkrieges ist noch immer nicht in Sicht.
Bild: Jan Kuhlmann/dpa

Als die Syrer 2011 auf die Strassen gingen, wollten sie mehr Freiheit. Mehr als acht Jahre später leben Hunderttausende im Elend. Viele Flüchtlinge träumen von einer Rückkehr — gehen aber nicht nach Hause.

«Natürlich», sagt der Syrer Sami Chalil, «jeder hier will zurück in die Heimat». Theoretisch sind es vom staubigen Flüchtlingslager Saatari im Norden Jordaniens, wo er mit seiner Familie lebt, bis nach Hause nur knapp 20 Kilometer. Sami (48) hockt im Schneidersitz auf dem Boden seines Wohncontainers, seine Tochter serviert Kaffee. Draussen brennt die Sonne über der Wüstengegend, wo mehr als 75 000 Syrer in dem Lager Zuflucht gefunden haben.

Hätte er ein Auto, könnte Sami in einer Stunde zu Hause in der syrischen Provinz Daraa sein, ein Gebiet unter Regierungskontrolle. Doch so nah die Heimat ist, so weit liegt eine Rückkehr in der Ferne.

«Wir gehen nur heim, wenn wir hundertprozentige Sicherheit haben», sagt Sami Chalil. Davon aber kann keine Rede sein. Er kennt die Nachrichten von Kämpfen und Bombardierungen in Syrien, von Festnahmen, von Hinrichtungen und von den Männern, die die Regierung zum Militärdienst einzieht. «Das sind die Ängste, die jeder in Syrien in sich trägt», sagt Sami Chalil. «Sogar die Kinder.»

Ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht

Syrien im neunten Jahr eines blutigen Bürgerkriegs: Es ist stiller geworden um den Konflikt, weil sich die Lage in vielen Teilen beruhigt hat. Seit die Anhänger von Präsident Baschar al-Assad im vergangenen Jahr die Provinz Daraa im Süden des Landes wieder unter Kontrolle bringen konnten, beherrschen sie fast zwei Drittel des Landes. Auch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verlor in diesem Frühjahr ihre letzte Bastion. Und trotzdem ist ein Ende des Bürgerkrieges noch immer nicht in Sicht. Von einem echten Frieden gar nicht zu reden. Stattdessen drohen neue Kämpfe mit noch mehr Opfern. Mindestens 400 000 Menschen sind in diesem Konflikt schon gestorben.

2011, während die ganze Region in Aufruhr geriet, zogen auch die Syrer auf die Strasse, weil sie mehr Freiheit und Würde wollten. Heute — nach vielen Wendungen — ist Syrien de facto dreigeteilt.

Syrien, Urum al-Joz: Syrische Zivilisten suchen nach Opfern oder Überlebenden, nachdem ein Gebäude während eines Luftangriffs von regierungsfreundlichen Kräften südlich von Idlib eingestürzt war.
Syrien, Urum al-Joz: Syrische Zivilisten suchen nach Opfern oder Überlebenden, nachdem ein Gebäude während eines Luftangriffs von regierungsfreundlichen Kräften südlich von Idlib eingestürzt war.
Anas Alkharboutli/dpa (Archivbild)

Assads Anhänger beherrschen den Süden, das Zentrum und die Mittelmeerküste im Westen. Dazu gehören auch die wichtigsten Städte wie Damaskus oder Aleppo. Doch weil Syrien international isoliert ist, bleibt die Wirtschaftslage schlecht. Der Regierung fehlt zudem das Geld für den Aufbau der vielen stark zerstörten Gebiete.

Im Norden und Nordosten haben die Kurden ein riesiges Gebiet an der Grenze zur Türkei und zum Irak unter Kontrolle, in dem sie eine Selbstverwaltung errichtet haben. Assads Regierung besitzt hier keine Macht. Und dann sind da noch die Gebiete im Nordwesten, in denen die Rebellen das Sagen haben, vorneweg die Region um die Stadt Idlib, das letzte grosse Territorium der Assad-Gegner.

Nirgendwo ist die Lage so dramatisch wie hier. Rund drei Millionen Menschen leben in der Region, fast die Hälfte davon Vertriebene. Viele haben nichts mehr ausser ihrem Leben. Sie leben in Zelten, die irgendwo in Dörfern oder auf Feldern aufgeschlagen wurden. Um an Wasser zu kommen, müssen sie selbst Brunnen graben.

Seit Monaten ringen die Kriegsgegner um Idlib: auf der einen Seite die Regierung mit ihrem engen Verbündeten Russland, auf der anderen Seiten die Rebellen mit der Türkei als Unterstützter. Assad hat das Ziel ausgegeben, das ganze Land bis zum letzten Fussbreit wieder einzunehmen. Doch eine neue Offensive könnte die nächste humanitäre Katastrophe bedeuten, da Hunderttausende versuchen würden, in die benachbarte Türkei zu kommen. Ein Alptraumszenario für Ankara. Und möglicherweise der Beginn einer neuen Fluchtwelle Richtung Europa.

Im September einigten sich Russlands Präsident Wladimir Putin und der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan im Badeort Sotschi am Schwarzen Meer auf eine Pufferzone für Idlib. Doch die Halbwertszeit von Einigungen für Syrien ist kurz. Assads Truppen begannen Ende April mit Angriffen, auch russische Jets bombardieren dort immer wieder Ziele. Erst in dieser Woche scheiterte eine neue Waffenruhe.

Dominiert wird die Region in Idlib von der Al-Kaida-nahen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS). Damaskus und Moskau argumentieren, sie bekämpften dort Terroristen. Die Rebellen halten dagegen, die eigentlich Terroristen sässen in Damaskus. Sie verweisen auf die vielen Krankenhäuser und Schulen, die in Idlib bombardiert werden.

«Wir sind eigentlich tot»

Wegen der Kämpfe fliehen immer mehr Menschen. «Wir haben alles verloren, die Flugzeuge Russlands und des syrischen Regimes haben alles zerstört», klagt Abu Mahir (44), Vater von vier Kindern, mit denen er vor etwa einem Monat aus dem Süden der Idlib-Region vor den Kämpfen und Angriffen Richtung Norden Reissaus nahm. «Wir sind eigentlich tot. Unsere Körper bewegen sich nur noch.»

Genauso wenig wie eine militärische Lösung ist auch eine politische in Sicht. Schon vor langem hätte ein im vergangenen Jahr vereinbarter Verfassungsausschuss zusammentreten sollen, um einem neuen politischen Prozess die Tür zu öffnen. Doch bisher konnten sich Regierung und Rebellen nicht auf die Besetzung des Gremiums einigen.

Fast genauso weit gehen die Interessen im Norden auseinander, wo die Türken die kurdische Selbstverwaltung an ihrer Grenze mit Widerwillen betrachten, weil sie darin eine Vorstufe für einen eigenen kurdischen Staat sehen. Die dort herrschende YPG-Miliz hält Ankara zudem für einen syrischen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK — und damit für eine Terrororganisation, die bekämpft werden muss. Erst in dieser Woche drohte Erdogan wieder mit einer Militärintervention.

Das wiederum stellt die USA vor Probleme, denn die YPG ist in Syrien Washingtons wichtigster Partner im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Die US-Armee hat dort weiter eigene Soldaten im Einsatz. Dementsprechend laut warnt die US-Regierung Erdogan vor einem Einmarsch. Beide Seiten einigten sich jetzt im Prinzip auf eine Sicherheitszone entlang der Grenze. Doch wie die genau aussehen soll, ist völlig unklar. Die Türkei will ein solches Gebiet unter ihre Kontrolle stellen — was für Syriens Kurden undenkbar wäre.

Und dann ist da noch der IS, der zwar sein Herrschaftsgebiet in Syrien verloren hat, aber noch lange nicht besiegt ist. Immer wieder verüben untergetauchte Extremisten Guerilla-Angriffe, vor allem im Osten. Sie warten auf den günstigen Augenblick für ein Comeback.


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