Sanktionen gegen Russland Der Westen braucht einen sehr sehr langen Atem

Von Oliver Kohlmaier

4.5.2022

Russland verfügt über riesige Öl- und Gasvorkommen — und sucht bereits neue Absatzmärkte.
Russland verfügt über riesige Öl- und Gasvorkommen — und sucht bereits neue Absatzmärkte.
AP Photo/Dmitry Lovetsky/Keystone (Archivbild)

Mit einem sechsten Sanktionspaket will die EU nachlegen — inklusive Öl-Embargo. Russlands Volkswirtschaft erweist sich jedoch als erstaunlich widerstandsfähig. Das könnte sich bald ändern, sagen Fachleute.

Von Oliver Kohlmaier

4.5.2022

Nach zermürbendem Ringen soll nun mittelfristig kein Öl mehr aus Russland in die EU fliessen. Dass ein Importstopp auch auf Erdgas kommt, wird zudem wahrscheinlicher.

Die Sanktionen gegen Russland waren jedoch schon vor dem sechsten Sanktionpaket ohne Beispiel in der Nachkriegszeit — von wirtschaftlichen Massenvernichtunswaffen war mitunter die Rede.

Bislang jedoch erweist ich die russische Volkswirtschaft als erstaunlich widerstandsfähig. Zwar weisen Fachleute darauf hin, dass die Sanktionen ihre Wirkung erst mit der Zeit voll entfalten. Gleichwohl hat man sich im Westen wohl auch kurzfristig mehr erhofft.

EU-Ölembargo gegen Russland: «Wir müssen es tun»

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04.05.2022

Russland kann auch ohne Erdöl-Embargo durchhalten

Erst vor drei Wochen verhöhnte Kremlchef Wladimir Putin den Westen, indem er dessen «Blitzkrieg» — so nennt Putin die Sanktionen —  als gescheitert erklärte.

Dies freilich ist reine Propaganda, dennoch trifft Putin mit seinen Bemerkungen einen Nerv der Europäer: «Erstaunlich ist, dass die sogenannten Partner aus unfreundlichen Ländern selber zugeben, ohne russische Energieressourcen nicht auskommen können», sagte Putin bei einer live im russischen Fernsehen übertragenen Regierungssitzung.

Nun kommt zumindest das von vielen erhoffte EU-Ölembargo. Dieses könnte zunächst jedoch auch einen kontraproduktiven Effekt haben, wie die Brüsseler Wirtschafts-Denkfabrik Bruegel unterstreicht.

«Paradoxerweise könnte ein solches Embargo sogar zu einem Gewinn für Russland führen, zumindest kurzfristig, und zu einem Verlust für die EU und die Weltwirtschaft insgesamt», heisst es in einer aktuellen Bruegel-Stellungnahme.

Denn in der monatelangen Übergangszeit vor Inkrafttreten des Importstopps dürften die Preise für russisches Öl deutlich steigen. Die EU-Länder müssten damit mehr für ihre Lieferungen bezahlen, und Russland hätte vorerst noch mehr Geld in der Kriegskasse gegen die Ukraine.

Günstiges Erdöl für den Rest der Welt

Derweil ist auch der Rest der Welt weiterhin süchtig nach dem schwarzen Gold — vor allem arme Länder können es sich nicht leisten, auf günstiges Erdöl zu verzichten. Auch in China freut man sich auf das neue Angebot, mit Preisnachlass versteht sich.

Die meisten Pipelines führen zwar in den Westen, dennoch lässt sich Erdöl im Gegensatz zum Erdgas leicht mit Tankern transportieren. Putin erklärte Mitte April, die Öl-und Gasexporte nach China und andere asiatische Staaten «vervielfachen» zu wollen. Hierfür müsse eine entsprechende Infrastruktur geschaffen werden. 

Läuft das Öl-Embargo also ins Leere, weil Russland längst neue Kunden gefunden hat? Der Ökonom Ralph Winkler von der Uni Bern betont auf Anfrage von blue News, man müsse «hier klar zwischen einem kurzfristigen und langfristigen Effekt unterscheiden».

Die Frage sei, «inwiefern die Staaten, die nicht mitmachen, tatsächlich die wegbrechende Nachfrage der Länder, die das Embargo unterstützen, kompensieren können», schreibt Winkler.

Positiver Effekt aufs Klima?

Der langfristige Effekt sei hingegen eindeutiger: «Im hiesigen Fall sind es vor allem China und Indien, die sich über ‹billiges› russisches Öl freuen dürften», und fügt hinzu: «Aber auch kurzfristig ist nicht anzunehmen, dass Russland ein Embargo der USA und EU vollständig durch andere Absatzmärkte kompensieren kann und wenn dann nur zu empfindlichen Preisnachlässen.»

Der langfristige Effekt hingegen ist dem Forscher zufolge eindeutiger: «Ein Embargo der EU wird sicher dazu führen, dass die EU ihre Abhängigkeit von fossilen Energieträgern generell schneller reduzieren wird», schreibt Winkler.

Dies hiesse nicht nicht nur, dass die EU auch langfristig als Absatzmarkt für Russland wegfalle. Vielmehr könnte es auch zur Folge haben, «dass die Dekarbonisierung der globalen Weltwirtschaft schneller fortschreitet als es sonst der Fall gewesen wäre, da die schnellere Dekarbonisierung der EU erneuerbare Energien schneller wettbewerbsfähig macht.»

«Russland setzt mit dem derzeitigen Ukrainekrieg sein bisheriges Geschäftsmodell, sprich den Verkauf von fossilen Energieträgern, aufs Spiel», schreibt Winkler.

Notenbank verhindert Absturz

Zunächst hat sich die russische Volkswirtschaft als erstaunlich widerstandsfähig erwiesen. Eine wichtige Rolle bei der kurzfristigen Schadensbegrenzung spielte etwa die russische Notenbankchefin Elvira Nabiullina, die sich schon zuvor mit weitsichtigen Entscheidungen einen Namen gemacht hatte.

Durch ihre Massnahmen konnte etwa der Absturz des Rubel verhindert werden, auch die befürchtete Kapitalflucht wurde eingedämmt. So untersagte es Nabiullina den Banken, Devisen auszuzahlen. Zudem begrenzte sie Dollar-Abhebungen russischer Konteninhaber*innen.

Laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) ist Russland auch im Fall eines Öl-Embargos finanziell auf einen längeren Krieg vorbereitet. «Hoffnungen auf ein zeitnahes Einlenken Russlands im Ukraine-Krieg angesichts der einschneidenden westlichen Sanktionen dürften enttäuscht werden», sagte IfW-Handelsexperte Rolf Langhammer am Mittwoch.

Die aktuelle Situation des russischen Haushalts und strukturelle Besonderheiten der Wirtschaft ermöglichten dem Land demnach ein «längeres Durchhalten» in Form einer auf «Autarkie setzenden Kriegswirtschaft».

Der russische Haushalt habe mit einer im internationalen Vergleich sehr niedrigen Verschuldungsquote von 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zudem eine «stabile Finanzlage» erreicht, so die IfW-Analyse. Hinzu kämen hohe Ersparnisse, geringe Ausgaben und eine grosse Reservenbildung.

Ein struktureller Vorteil sei zudem die hohe Anzahl der Beschäftigten im öffentlichen Sektor. Diese seien der Garant für die politische Unterstützung von Präsident Wladimir Putin im eigenen Land, wie Langhammer weiter ausführte. Durch Preiskontrollen und Einkommenshilfen würde diese Gruppe bevorzugt vor den Folgen der Sanktionen geschützt.

Der Schaden wird sich im Laufe des Jahres erhöhen

Noch im ersten Quartal 2022 legte die russische Wirtschaft um 3,7 Prozent zu. Selbst die russische Notenbankchefin Nabiullina bezeichnete das kräftige Wachstum als temporären Effekt und begründete diesen unter anderem damit, dass viele Waren gehortet werden — in Erwartung deren baldigen Verschwindens.

Als primäres Opfer westlicher Sanktionen machte die Notenbankchefin indessen die russische Autoindustrie aus: «Unternehmen, die ausländische Rohstoffe oder Komponenten verwenden, stehen vor Problemen, da ihre Lagerbestände allmählich zur Neige gehen», erklärte Nabiullina.

Mit dem allmählichen Sinken der Lagerbestände werde sich der Schaden im Laufe des Jahres immer weiter erhöhen. Der Höhepunkt wird Nabiullina zufolge im letzten Quartal erreicht werden.

Wie aus einer Umfrage der russischen Zentralbank hervorgeht, erwarten russische Bankenexperten einen Rückgang des BIP um 9,2 Prozent sowie eine Inflationsrate von 22 Prozent.

IfW-Ökonom Rolf Langhammer: «Der Westen wird langes Durchhaltevermögen zeigen müssen.»

Mit Material von AFP.