Heute soll es losgehen Deutschland nimmt Kurs auf Ampel-Bündnis

Von Sven Hauberg

6.10.2021

Auf einmal soll alles ganz schnell gehen: Anderthalb Wochen nach der Bundestagswahl steht Deutschland kurz vor Verhandlungen über eine Ampel-Koalition. Doch noch gibt es Hürden, die überwunden werden müssen.

Von Sven Hauberg

6.10.2021

Was Annalena Baerbock, Co-Vorsitzender der deutschen Grünen, um kurz nach 11 Uhr am Mittwochvormittag den Journalisten in Berlin und im Rest der Welt in die Blöcke diktierte, war ein wahres Ungetüm von einem Satz. «Nach diesen Gesprächen haben wir uns beraten und sind zu dem Schluss gekommen, dass es sinnvoll ist, weiter jetzt vertieft, gerade auch mit Blick auf die Gemeinsamkeiten, die wir in diesen bilateralen Gesprächen feststellen konnten, jetzt mit FDP und SPD weiterzusprechen, und das schlagen wir der FDP vor, da in ein solches Dreiergespräch jetzt gemeinsam reinzugehen.»

Uff.

Fast eine halbe Minute radebrechte Baerbock vor sich hin, ihre Botschaft aber war so klar wie eindeutig: Die Grünen wollen mit den Liberalen von der FDP und den Sozialdemokraten der SPD die nächste Bundesregierung bilden. Der nächste deutsche Bundeskanzler hiesse dann, nach 16 Jahren Angela Merkel, Olaf Scholz.



Dessen SPD hatte die Wahlen am 26. September mit 25,7 Prozent der Stimmen gewonnen, allerdings nur knapp vor den beiden Unionsparteien CDU und CSU. Ein klarer Auftrag der Wählerinnen und Wähler, wer und in welcher Koalition die kommende Bundesregierung anführen soll, sieht anders aus.

Bei den Grünen indes hat man sich, nach mehreren Tagen sogenannter Vor-Sondierungen mit allen infrage kommenden Partnern, nun festgelegt.

Man schlage der FDP vor, «gemeinsam auf die SPD zuzugehen», wie es der Grünen-Co-Vorsitzende Robert Habeck am Mittwoch ausdrückte.

Schon heute soll es losgehen

Die Liberalen, offenbar ein wenig überrumpelt vom Vorpreschen der Umweltpartei, nahmen das Angebot an. Mit ordentlich Verspätung trat deren Parteichef Christian Lindner gegen halb 12 vor die Hauptstadtpresse und setzte gar noch einen drauf: Er habe bereits mit Grünen und SPD gesprochen, so Lindner, und kündigte den Beginn der Sondierungen für Donnerstag an.

Eine Koalition zwischen SPD, Grünen und FDP, die sogenannte «Ampel», scheint also nur noch eine Frage der Zeit. Oder? Die Alternative zu dieser auf Bundesebene einmaligen Regierungskoalition ist zwar noch nicht vom Tisch; «der Keks», so Habeck, sei «noch lange nicht gegessen».

Und auch FDP-Mann Lindner kann sich weiterhin eine Regierung mit der Union vorstellen und wollte einer sogenannten Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen keine Absage erteilen. Das Aus für ein derartiges Regierungsbündnis kam jedoch von anderer Seite.

Hat gut lachen: Olaf Scholz am Mittwoch nach den Ankündigungen von Grünen und FDP, mit seiner SPD sondieren zu wollen.
Hat gut lachen: Olaf Scholz am Mittwoch nach den Ankündigungen von Grünen und FDP, mit seiner SPD sondieren zu wollen.
Bild: Keystone

Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident von der CSU und schon im Wahlkampf kein Freund von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet, wertete die geplanten Sondierungen der politischen Konkurrenz als «De-facto-Absage an Jamaika» und sprach in München von einer «klaren Vorentscheidung». Kampfeswillen sieht anders aus.

Zumal Söder, der sich freilich bemühte, die Entscheidung von FDP und Grünen «ausdrücklich» zu bedauern, bereits im Wahlkampf keinen Hehl daraus gemacht hatte, nicht viel von einem möglichen Kanzler Armin Laschet zu halten.

Der meldete sich aus Düsseldorf zu Wort und nahm die kommenden Gespräche zähneknirschend zur Kenntnis. «Die Ausgangslage für eine neue Bundesregierung ist seit dem 26. September klar: Wir liegen auf Platz zwei», so Laschet.



Gesprochen wurde dennoch in den vergangenen Tagen mit der Union, die dabei allerdings keine wirklich gute Figur gemacht hatte. Denn obwohl sich alle Beteiligten eine Art Schweigegelübde auferlegt hatten, stiessen Mitglieder der Unions-Delegation immer wieder Verhandlungsdetails an die Presse durch. In den Augen von FDP und Grünen kein feiner Zug der Laschet-Partei.

«Vertrauen bedeutet, dass nicht alles in der Zeitung steht», sagte am Mittwoch Grünen-Chefin Baerbock. Und FDP-Mann Linder schlug in eine ähnliche Kerbe, als er, auf diese Indiskretionen angesprochen, mit vielsagendem Lächeln erklärte: «Die haben wir zur Kenntnis genommen.»

«Morgen geht's dann los»

Aus den Vor-Sondierungen sollen ab Donnerstag also vollwertige Sondierungsgespräche werden, die im Idealfall in Koalitionsverhandlungen und schliesslich in eine neue Bundesregierung münden. Doch der Weg dahin ist steiniger, als manch Beteiligter, der den Duft der Regierungsverantwortung bereits in der Nase hat, zugeben möchte.

Am geringsten dürften die Differenzen noch zwischen SPD und Grünen sein, die nicht nur beide eine eher linke Politik vertreten, sondern auch auf mehrere Jahre gemeinsame Regierungserfahrung unter Gerhard Schröder zurückblicken können.

Auch mit den Liberalen dürfte ein Kanzler Scholz einigermassen auskommen. Schwierig hingegen wird es zwischen Grünen und FDP, auch wenn Robert Habeck am Mittwoch von «grössten inhaltlichen Schnittmengen» zwischen allen drei Parteien sprach.



Die Differenzen beginnen bei Fragen wie jener nach möglichen Steuererhöhungen, die die FDP kategorisch ausschliesst, die Grünen aber für unvermeidbar halten, um das Land sozial und ökologisch voranzubringen.

Vor allem aber tun sich ideologische Gräben zwischen beiden Parteien auf, die nur mit viel Kompromissbereitschaft zu überbrücken sind. Während die Grünen auf einen starken Staat setzen, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen, glauben die Liberalen, die Wirtschaft sei auch ohne Hilfe aus Berlin dazu in der Lage. 

«Grüne und FDP sehen viele Dinge sehr unterschiedlich», sagte Lindner am Mittwoch in Berlin. Bemühe man sich aber um Verständigung, könne «eine Art fortschrittsfreundliches Zentrum gebildet werden», so der Politiker weiter. «Und daraus ergibt sich viel Fantasie.»

Und Olaf Scholz? Der trat am Mittwoch nur ganz kurz vor die Presse, gab sich gewohnt staatstragend und lobte «die professionelle Art und Weise», mit der FDP und Grüne den Weg zu Sondierungen bereitet hätten.

Um schliesslich, nicht ohne einen Anflug von Siegessicherheit im Gesicht, hinterherzuschieben: «Morgen geht's dann los.»