G20-Treffen Die Russland-Frage spaltet den Club der Mächtigen

Von Gil Bieler

19.4.2022

Da war er noch willkommen: Kreml-Chef Wladimir Putin (l.) mit Japans Premierminister Shinzo Abe beim G-20-Gipfel im Juni 2019 in Osaka.
Da war er noch willkommen: Kreml-Chef Wladimir Putin (l.) mit Japans Premierminister Shinzo Abe beim G-20-Gipfel im Juni 2019 in Osaka.
Bild: EPA

Boykottieren – oder den Dialog erst recht nicht abreissen lassen? Die Frage, wie westliche Länder mit Russland künftig umgehen sollen, überschattet auch das G-20-Treffen in Washington.

Von Gil Bieler

Kann man mit Moskaus Vertretern am Tisch sitzen, als wäre der russische Einmarsch in die Ukraine nie geschehen? Als drohe Russland nicht gerade den westlichen Staaten mit «Konsequenzen», sollten Finnland oder Schweden der NATO beitreten?

Wie westliche Länder mit Russland umgehen sollen, ist keine einfache Frage. Diese stellt sich auch am Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs der G-20-Staaten, das am Mittwoch in Washington stattfindet. Kompliziert wird es, weil auch Russland Mitglied in dem mächtigen Club ist.

Eine klare Haltung hat Washington. «Wir werden an einer Reihe von Treffen nicht teilnehmen, wenn die Russen dabei sind», hat US-Finanzministerin Janet Yellen bereits klargestellt. Ihr Boss, US-Präsident Joe Biden, fordert gar, Russland ganz aus der G-20-Gruppe zu verbannen. So wie es nach der Krimannexion 2014 im kleineren Kreis vorgemacht wurde: Die G8 warfen Russland damals raus, seither heisst die Staatengruppe G7.

Eine grundsätzliche Klärung wird nötig

Darüber, wer zu den G-20-Treffen eingeladen wird, entscheidet Indonesien, das in diesem Jahr den G-20-Vorsitz innehat. Und Russland darf vorerst mitmachen: Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters ist geplant, dass sich der russische Finanzminister Anton Siluanow digital zu den Beratungen in Washington zuschalten wird. Das wäre eine relativ elegante Lösung, um dem Treffen die Brisanz zu nehmen.

Doch je länger der Krieg in der Ukraine andauert und je mehr Leid er verursacht, desto tiefere Gräben reisst er zwischen Russland und den westlichen Staaten auf. Und eine grundsätzliche Klärung der Russland-Frage wird nötig.

Yves Rossier, ehemaliger Schweizer Botschafter in Moskau, vertrat im Interview mit blue News die Ansicht, dass der Westen um eine Kooperation mit Russland nicht herumkomme: «Nach diesem Krieg muss es einen Frieden geben, und es muss ein Frieden sein, der sämtliche Akteure mit einbindet.» Russland in eine nachhaltige Friedensordnung zu integrieren, das werde «eine wahnsinnig anspruchsvolle Aufgabe» – die mit jedem Kriegstag schwieriger werde. Dennoch sei dies absolut notwendig, wenn man einen neuen Krieg vermeiden wolle.

Lars-Erik Cederman, Konfliktforscher und Professor an der ETH Zürich, sieht hingegen keinen Weg, «wie Putins Russland Teil irgendeiner Friedensordnung sein könnte», erklärt er auf Anfrage von blue News. Mittel- bis langfristig müsse aber das Verhältnis auf ein stabileres Fundament gesetzt werden. «Friedliche Koexistenz wäre ein besserer Begriff, der schon im Umgang mit der UdSSR ausgetestet wurde.»

Wie schwierig eine Partnerschaft mit Russland ist, zeigt nicht zuletzt die Ankündigung, im Falle eines NATO-Beitrags von Schweden oder Finnland Atomwaffen ans Baltikum zu verlegen. «Putins Drohungen und Verhalten sind das beste Argument für den Beitritt», findet Cederman. Gleichzeitig seien die Drohungen, dass das Baltikum dann keine atomwaffenfreie Zone mehr bleibe, ohnehin leer, weil Russland seine Exklave Kaliningrad «ohnehin mit Waffen vollgeladen» habe.

Mit Blick zurück meint der Forscher: Der Westen hätte nach dem russischen Krim-Einmarsch 2014 härter reagieren sollen. Die Wahrscheinlichkeit der jetzt gestarteten Invasion wäre dadurch gesenkt worden – ob sie ganz hätte verhindert werden können, sei aber fraglich. 

Kann Putin an den G-20-Gipfel in Bali reisen?

Parmelin und Maurer in den USA

Auch die Bundesräte Ueli Maurer und Guy Parmelin reisen diese Woche in die USA. Zusammen mit Nationalbank-Präsident Thomas Jordan nehmen sie am Donnerstag und Freitag an der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank teil, wie der Bundesrat am Dienstag mitteilte. Ein Thema sind auch dort die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine.

Unvermeidbar wird die Russland-Frage im November, wenn sich die Staats- und Regierungschefs der G-20-Staaten auf der indonesischen Insel Bali treffen. Kreml-Chef Wladimir Putin scheint weiterhin persönlich anreisen zu wollen, obschon ihn der US-Präsident einen «Kriegsverbrecher» schimpft. Der kanadische Premierminister Justin Trudeau glaubt, es werde «sehr schwierig für uns und unproduktiv für die G20», mit Putin an einem Tisch zu sitzen. Man könne nicht einfach so tun, als sei alles in Ordnung.

Und Russland selbst? Der Kreml hat demonstrativ gelassen auf einen möglichen Ausschluss aus den G20 reagiert. Derzeit führten ohnehin die meisten G-20-Mitglieder einen Wirtschaftskrieg gegen Russland, ein Ausschluss sei daher «nicht fatal», sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow der Nachrichtenagentur Tass zufolge.

Rückendeckung erhält der Kreml wie gewohnt aus China: In Bali solle es vor allem um wirtschaftliche Themen gehen, das Treffen solle «nicht politisiert» werden – das sagte der chinesische Aussenminister Wang Yi. Er betonte weiter: «Alle Mitglieder sind gleichberechtigt und niemand hat die Macht, die G20 zu spalten.»

Mit Material der Nachrichtenagentur DPA.

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