Chat-Protokoll aufgetaucht Selbst Donald Trump Jr. war über den Sturm aufs Kapitol entsetzt

Von Sven Hauberg

15.12.2021

Was wusste Donald Trump über den Sturm auf das Kapitol vor knapp einem Jahr? Nachrichten, die dessen Sohn mit dem damaligen Stabschef austauschten, fördern Erstaunliches zutage.

Von Sven Hauberg

15.12.2021

Es war einer der schwärzesten Tage der jüngeren US-Geschichte: Am 6. Januar 2021 stürmte ein wütender Mob das Kapitol in Washington. Die etwa 800 Angreifer, Anhänger des im November abgewählten US-Präsidenten Donald Trump, wollten mit der Attacke verhindern, dass Joe Bidens Wahlsieg vom Kongress bestätigt werden konnte.

Die Bilanz des Aufruhrs, in dem manche Beobachter einen Putschversuch sehen: fünf Tote, mehrere Verletzte, ein Gesichtsverlust für die US-Demokratie – und eine juristische und politische Aufarbeitung, die bis heute andauert. Dabei steht die Frage im Zentrum, welche Rolle das Weisse Haus beim Sturm auf das Kapitol spielte. Was wussten Donald Trump und seine engsten Mitarbeiter, allen voran dessen damaliger Stabschef Mark Meadows?



Meadows befand sich am 6. Januar mit Donald Trump im Weissen Haus. Ein Untersuchungsausschuss des US-Repräsentantenhauses zu den Vorgängen wollte Meadows eigentlich zu einer Aussage über die Ereignisse bewegen, was dieser nach langen Verhandlungen allerdings ablehnte. Das Repräsentantenhaus verurteilte den 62-Jährigen deshalb am Dienstagabend (Ortszeit) wegen Missachtung des Kongresses. Nun muss das Justizministerium entscheiden, ob es Anklage gegen Meadows erhebt.

«Wir stehen hier im Kapitol unter Belagerung»

Auch wenn Meadows sich nicht vor dem Ausschuss äussern will, werfen Dokumente, die er dem Komitee zuvor übergeben hatte, kein gutes Licht auf dessen Rolle in den Wochen nach Trumps Abwahl. Aus einem 51-seitigen Bericht, den der Ausschuss am Wochenende veröffentlicht hatte, geht hervor, dass Meadows seinem damaligen Chef Donald Trump helfen wollte, trotz Wahlschlappe im Amt zu bleiben.

Am 6. Januar dieses Jahres stürmt ein wütender Mob das US-Kapitol, angestachelt durch eine Rede des abgewählten US-Präsidenten Donald J. Trump.
Am 6. Januar dieses Jahres stürmt ein wütender Mob das US-Kapitol, angestachelt durch eine Rede des abgewählten US-Präsidenten Donald J. Trump.
Bild: Keystone

Für seinen Bericht hatte der Untersuchungsausschuss Tausende Mails und Textnachrichten von Meadows ausgewertet, ausserdem die Kommunikation des republikanischen Politikers mit Kongressmitgliedern und den Organisatoren einer Kundgebung am Morgen vor dem Kapitolsturm am 6. Januar.

Vor dem Ausschuss las Liz Cheney, eine der Intimfeindinnen von Trump, am Dienstag aus Nachrichten vor, die Meadows erhalten hatte. «Wir stehen hier im Kapitol unter Belagerung», heisst es demnach in einer Textmitteilung; «Mark, Demonstranten stürmen das Kapitol», in einer anderen.

Immer wieder taucht in den Nachrichten, die Cheney vorträgt, ein ganz besonderer Name auf: der von Donald Trump Jr., dem Sohn des ehemaligen US-Präsidenten. Aus den Nachrichten geht hervor, dass Trump Jr. offenbar sehr genau wusste, was sich in Washington zusammenbraute.

«Das ist zu weit gegangen und ausser Kontrolle geraten»

«Das ist zu weit gegangen und ausser Kontrolle geraten», schrieb Trump Jr. demnach; ausserdem forderte er eine Oval-Office-Ansprache seines Vaters an dessen Anhänger: «Er muss diese Scheisse verurteilen, so schnell wie möglich.» Woraufhin Meadows antwortete: «Ich stimme dir zu.»

Dass sich Trump Jr. nicht direkt an seinen Vater gewandt hat, sondern an dessen Staatschef, erklären US-Kommentatoren mit einem abgekühlten Verhältnis zwischen den beiden. So oder so: Sowohl Trump Jr. als auch Meadows scheinen beide der Meinung gewesen zu sein, dass nur der abgewählte Präsident in der Lage sei, die Situation am Kapitol zu beruhigen.



Die Nachrichten zeigten, so Cheney, dass Donald Trump «seine Amtspflichten schwerwiegend verletzt» habe. Erst drei Stunden nach Beginn des Sturms habe er entschlossen reagiert. Dass er zu diesem Zeitpunkt aber längst wusste, was im Kapitol vor sich gehe, sei offensichtlich. Schliesslich hätten auch fast alle US-TV-Sender live von den Vorgängen berichtet.

Trump hatte zunächst nur einen Tweet abgesetzt, in dem er seine Anhänger halbherzig dazu aufforderte, die Polizei zu unterstützen und friedlich zu bleiben. Erst am späten Nachmittag, als bereits ein erstes Todesopfer zu beklagen war, veröffentlichte er eine Videobotschaft. Darin sagte Trump, seine Anhänger sollten «friedlich nach Hause gehen».

CNN-Moderatorin: Trumps «politisches Erbe» in Gefahr

Aus den Nachrichten, die Cheney vorlas, geht auch hervor, dass man sich sogar bei Trumps einstigem Lieblingssender Fox News ernsthaft Sorgen machte. Mit dem Sturm auf das Kapitol zerstöre Trump «sein politisches Erbe», textete etwa Moderatorin Laura Ingraham an Mark Meadows.



Meadows' Anwalt George Terwilliger argumentierte unterdessen, sein Mandant habe durchaus mit dem Ausschuss kooperiert, indem er Dokumente ausgehändigt habe. Der Ausschuss begründe seine Vorwürfe gegen Meadows unter Berufung auf die Dokumente, die dieser selbst vorgelegt habe. Meadows selbst hat bei Gericht beantragt, die Vorladungen aufzuheben.

Der Untersuchungsausschuss hat bislang fast 300 Zeugen und Abgeordnete zum Sturm auf das Kapitol angehört und rang zudem mit anderen hochrangigen Mitarbeitern Trumps um die Herausgabe von Informationen, darunter Trumps einstigem Chefstrategen Steve Bannon, der Vorladungen ignorierte. Gegen ihn läuft bereits eine Anklage durch das Justizministerium.

Mit Material der Nachrichtenagentur AP