Nach dem WahlsiegDroht die «Ein-Mann-Herrschaft»? Erdogan und die Probleme der Türkei
von Zeynep Bilginsoy, AP
29.6.2018
Durch den Wahlsieg Recep Tayyip Erdogans am Wochenende treten Verfassungsänderungen in Kraft, die die Macht des türkischen Präsidenten deutlich erweitern. Nun wird sich zeigen, ob er als Autokrat die zukünftigen Herausforderungen des Landes meistert.
Wenige Tage vor seinem Wahlsieg am Wochenende stellte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Pläne für eine Reform des Staatsapparates vor: Die von der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu entworfene Grafik erinnert an ein Sonnensystem, bei dem alle Staatsorgane um den Präsidenten kreisen. «Das ist die Marke Türkei, und ihr Patent gehört uns», betonte Erdogan. Nach seinen Worten stärkt die neue Struktur Demokratie und Gewaltenteilung und macht die öffentlichen Dienste schneller und effizienter. Möglich machten sie Verfassungsänderungen, die in einem Referendum 2017 knapp vom Volk angenommen wurden. Unter anderem wird das Amt des Regierungschefs zugunsten eines Präsidialsystems abgeschafft.
Kritiker warnen vor einer «Ein-Mann-Herrschaft», bei der kein Staatsorgan stark genug ist, Erdogans Autorität zu kontrollieren. Doch es bleibt ein Hoffnungsschimmer: Bei den Parlamentswahlen musste Erdogans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) Stimmenverluste hinnehmen, verpasste die absolute Mehrheit und ist nun auf einen unsicheren Verbündeten angewiesen. Zudem kann ihm die Opposition noch immer das Leben schwer machen.
Dennoch markiert die neue Struktur nach Ansicht von Serhat Güvenc von der Kadir-Has-Universität das Ende eines parlamentarischen Regierungssystems in der Türkei nach fast eineinhalb Jahrhunderten. Das Parlament wird «sehr reduzierte Macht» haben, sagte Güvenc. «Wir wissen nicht, wie das neue System funktionieren wird» - und seine Erfinder wissen dies ebenso wenig.
Erdogan ist auf ultra-rechte MHP angewiesen
Die Verfassungsänderungen lassen durchaus noch Raum für Kontrollmechanismen - entscheidend hierfür ist, wer das 600-köpfige Parlament kontrolliert. Fortan wird Erdogan dessen Zustimmung für seinen Haushalt brauchen, was der Nationalversammlung eine gewisse Kontrolle über die Staatsausgaben gibt. Das Parlament kann auch einen Ausnahmezustand verkürzen, verlängern oder aufheben, und muss die während eines Ausnahmezustands erlassenen Dekrete des Präsidenten innerhalb von 90 Tagen genehmigen, sonst werden sie ungültig. Zudem kann das Parlament ein Präsidentendekret per Gesetz annullieren sowie - mit 360 Stimmen - vorgezogene Wahlen ausrufen.
Bei der parallelen Parlamentswahl büsste Erdogans AKP sieben Prozent ein, mit sechs Sitzen zu wenig für die absolute Mehrheit ist sie nun auf die ultra-rechte MHP angewiesen. Zwar traten die beiden Parteien bereits als Bündnis zu den Wahlen an, doch avanciert die MHP nun mit ihren 49 Abgeordneten zum Königsmacher, wenn Erdogan das Parlament vollständig kontrollieren will. Erdogan hatte auf ein Präsidialsystem gedrängt, um solche Koalitionen zu verhindern, weil sie seiner Ansicht nach Instabilität verursachen - nun wird er in eine gezwungen.
Am Sonntagabend bekräftigte MHP-Chef Devlet Bahceli seine Unterstützung für Erdogan. Doch nach Ansicht von Fadi Hakura vom Türkei-Projekt des Think-Tanks Chatham House ist er «ein wankelmütiger Charakter, sehr schwierig in der Zusammenarbeit». Bahçeli sieht sich jetzt auf Augenhöhe mit Erdogan und die anti-westliche Partei könnte die AKP als Geisel für ihre nationalistischen und populistischen Interessen nehmen, die noch weiter rechts liegen als die von Erdogan.
«Starker Mann von gestern ist lahme Ente von heute»
Nach Ansicht des Vorsitzenden der wichtigsten Oppositionspartei CHP werden sich Erdogans Verluste bei den Parlamentswahlen lähmend auswirken: «Der starke Mann von gestern ist die lahme Ente von heute», sagte Kemal Kilicdaroglu am Dienstag.
Auch der Türkei-Experte Kerem Öktem von der Universität in Graz glaubt, dass sich eine organisierte und hartnäckige Opposition durchaus Gehör verschaffen könnte und «einen Platz als zweite Macht» im Parlament erarbeiten könnte. Internationale Beobachter betonen, der Wahlkampf sei weder frei noch fair gewesen, doch trotz aller Widrigkeiten hätten die verschiedenen Oppositionsparteien bei den vorgezogenen Wahlen bemerkenswerte Erfolge erzielt und könnten das auch weiter tun.
Die pro-kurdische HDP, von Erdogan als Terroristen diffamiert, schaffte den Sprung ins Parlament, obwohl neun ihrer Abgeordneten und Tausende Parteimitglieder im Gefängnis sitzen. Auch die neu gegründete, nationalistische «Gute Partei» mischt nun in der türkischen Politik mit. Die CHP schnitt mit fast drei Prozent weniger als ihrem sonst üblichen Stimmenanteil von 25 Prozent schlecht ab. Es gibt bereits Risse in der Partei, die Führung wird zum Rücktritt und zur Erneuerung gedrängt. Doch Kilicdaroglu hielt dagegen und betonte, die Opposition sei erfolgreich dabei, alle «Farben» ins Parlament zu bringen und versprach, es zu stärken und zu schützen.
Ein-Mann-Herrschaft ohne Beschränkungen?
Ausserhalb des Parlamentes bleibt Erdogans Macht stark - und die Situation der Menschenrechte ist seit dem Putschversuch im Juli 2016 besorgniserregend. Während des noch immer anhaltenden Ausnahmezustands nahmen die türkischen Behörden mehr als 50'000 Menschen fest. Rund 110'000 Beamte, darunter Tausende Richter und Staatsanwälte, wurden wegen angeblicher Verbindungen zum muslimischen Geistlichen Fethullah Gülen entlassen, den Erdogan für den versuchten Putsch verantwortlich macht. Hunderte Medienhäuser und Nichtregierungsorganisationen wurden geschlossen, Demonstrationen eingeschränkt.
Die Regierung ging auch scharf gegen Abgeordnete der Opposition, Journalisten, Aktivisten und Andersdenkende vor. Insgesamt sitzen in der Türkei nach Angaben der Datenbank World Prison Brief nun mehr als 230'000 Menschen im Gefängnis, fast die Hälfte davon in Untersuchungshaft ohne Verurteilung.
Während seiner Rede am Montag betonte CHP-Präsidentschaftskandidat Muharrem Ince, die Türkei sei komplett in eine Ein-Mann-Herrschaft ohne Beschränkungen übergegangen. Erdogans Plan sei es, «Exekutive, Legislative und Judikative zu werden» - dies bedrohe das Überleben des Landes. Nach 15 Jahren an der Spitze der Türkei - zunächst als Regierungschef und dann als Präsident - kann Erdogan nun Änderungen mithilfe von Präsidentendekreten einführen und Vizepräsidenten, Minister und Spitzenbeamte ernennen.
Angesichts unzähliger Sicherheitsfragen und einer drohenden Wirtschaftskrise wird er aber alle Hände voll zu tun haben. «Wir werden sehen, ob es möglich ist, auf diese Fragen angemessen zu reagieren, wenn man praktisch ein Ein-Mann-Regime ist», sagte Türkei-Experte Öktem.
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