Vorbilder gesuchtWarum Nordkorea auf die Schweiz schaut
AP
30.10.2018
Wie die Schweiz könnte Nordkorea seine geografische Lage nutzen, um wirtschaftlich aufzublühen. Das glaubt zumindest der nordkoreanische Regierungsberater Ri. Allerdings gibt es auch ein grosses Hindernis.
Klein, nicht reich an Bodenschätzen und doch bedeutend – dank ihrer Lage. So sieht der Nordkoreaner Ri Ki Song die Schweiz oder Singapur. Er steht bei seiner Regierung als Ökonom im Dienst – und glaubt, dass Nordkorea den Beispielen folgen könnte. Wenn die internationale Gemeinschaft es denn liesse.
Auch den Beitritt zu globalen Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds könne sich sein isoliertes Land durchaus vorstellen, meint Ri, leitender Forscher am nordkoreanischen Wirtschaftsinstitut der Akademie für Sozialwissenschaften im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP. Dazu müssten die derzeitigen Mitgliedsländer allerdings ihre «feindliche» Politik gegenüber Nordkorea aufgeben.
Frühere Vorstösse liefen ins Leere
Wenn Sanktionen aufgehoben würden, das politische Klima sich verbesserte, dann könnte das sozialistische Land Staaten wie der Schweiz und Singapur nacheifern, die «ihre geografische Lage zu ihrem grössten Vorteil» nutzten. Als ein Verkehrsknoten etwa. «Wir liegen hier im Zentrum Ostasiens, damit hat unsere koreanische Halbinsel ein sehr vorteilhafte geografische Lage», betont Ri. «Künftig wollen wir auf Kooperation mit unseren Nachbarländern setzen, um eine Transportindustrie aufzubauen. Wenn wir unsere Bahnstrecken aus dem Süden bis Sibirien nutzten, würden viele Länder unsere Gleise dem Verschiffen übers Meer vorziehen.»
Die Idee schwelt schon seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Schon längst sind Nordkoreas Bahngleise mit Russland, China und Südkorea verbunden, und der südkoreanische Präsident Moon Jae In hat sich öffentlich für eine Wiederaufnahme des grenzüberschreitenden Bahnverkehrs so schnell wie möglich ausgesprochen.
Frühere Vorstösse Nordkoreas, sich auf dem Transportmarkt zu positionieren, sind allerdings ins Leere gelaufen – wegen politischen Reibereien, fehlenden Finanzen oder einfach zu geringem Interesse. Ri hofft nun auf ein neues politisches Klima der Entspannung: Bereits mehrfach kam Staatschef Kim Jong Un in diesem Jahr mit seinem südkoreanischen Kollegen Moon zusammen. Und er traf den chinesischen Präsidenten Xi Jinping ebenso wie den Präsidenten der lange angefeindeten USA, Donald Trump.
Nordkorea benötigt dringend Finanzspritzen
«Wir beobachten viele Veränderungen in der Atmosphäre, die unser Land umgibt», sagt Ri. Die Vereinigen Staaten müssten nun ihre Sanktionen lockern, findet er – damit Nordkorea sich weiterentwickeln könne. Trump hat zwar Kims diplomatische Öffnung gewürdigt, aber eine Aufhebung von Sanktionen an eine konkrete atomare Abrüstung Pjöngjangs geknüpft.
Auch einer Annäherung an die internationalen Institutionen stehen die Strafmassnahmen nach Ansicht Ris im Weg. «Aufgrund der Sanktionen und Schritten feindlicher Länder wie den USA und Japan sind unsere Versuche, internationalen Organisationen beizutreten, bislang erfolglos», sagt der Wirtschaftsexperte. Er verweist auf den Vorstoss Nordkoreas von 1990, sich der Asiatischen Entwicklungsbank anzuschliessen. «Wenn wir nicht einmal Mitglied der regionalen Organisation werden können, ist es umso schwieriger, der internationalen Organisation beizutreten.»
Der Zugang zu internationalen Finanzinstitutionen würde Nordkorea die Tür zu dringend benötigten Finanzspritzen und wirtschaftlicher Expertise öffnen. Dafür wären aber wohl auch strukturelle Reformen und viel mehr Transparenz gefragt. Ob Pjöngjang das leisten würde? Dazu sagt Ri, Nordkorea mache gerade Daten zum Bruttoinlandsprodukt zugänglich.
Wirtschaftsexperten zweifeln an den Zahlen
Doch trotz der Sanktionen sei sein Land auf gutem Kurs, betont Ri. Die Strafmassnahmen, die Nordkorea zur Aufgabe seines Atomprogramms drängen sollen, seien zwar im vergangenen Jahr noch schärfer geworden. Zugleich sei das Wirtschaftswachstum aber stabil geblieben, das Bruttoinlandsprodukt sei von knapp 25 Milliarden Dollar (umgerechnet gut 25 Milliarden Franken) im Jahr 2013 auf 29,6 Milliarden Dollar (29,7 Milliarden Franken) 2016 und im vergangenen Jahr auf 30,7 Milliarden Dollar (30,8 Milliarden Franken) gestiegen.
Doch ziehen manche Wirtschaftsexperten aus dem Ausland die Zahlen in Zweifel. So schätzte etwa die südkoreanische Zentralbank im Juli, dass das Bruttoinlandsprodukt des Nordens 2017 um 3,5 Prozent geschrumpft sei. Das wäre der grösste Rückgang seit den Hungerjahren kurz vor der Jahrtausendwende.
Ri betont hingegen, ein anhaltendes Wachstum spiegele wider, dass Teile der nordkoreanischen Wirtschaft unter dem Druck der Sanktionen effizienter und autonomer geworden seien. Als Beispiel nennt er Verbesserungen bei der Stahlproduktion oder die Entwicklung eines Düngers aus einheimischer Kohle statt aus importierten Ölprodukten. Was er nicht erwähnt, sind Öffnungen hin zum Marktkapitalismus. Sie werden offiziell mit Stirnrunzeln quittiert. Nach Einschätzung von Beobachtern wären sie aber ein wesentlicher Faktor, sollte die nordkoreanische Wirtschaft tatsächlich weiter auf Wachstumskurs sein.
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