Yulia floh von Mariupol nach Charkiw «Es kommt immer noch zu Luftangriffen»

Redaktion blue News

5.10.2022

Ukrainische Soldaten begutachten einen zerstörten russischen Panzer in einem zurückeroberten Gebiet nahe Charkiw.
Ukrainische Soldaten begutachten einen zerstörten russischen Panzer in einem zurückeroberten Gebiet nahe Charkiw.
Bild: Leo Correa/AP/dpa

Ihre Heimatstadt Mariupol liegt in Trümmern: Yulia* musste nach Charkiw fliehen – also jene Region, die im Zentrum der aktuellen ukrainischen Gegenoffensive liegt. Wie es sich dort lebt, erzählt sie im Interview.

Redaktion blue News

Sie sind aus Mariupol nach Charkiw geflohen. Wie war die Situation in der Region, als Sie dort ankamen?

Ich bin im Juli an einem Wendepunkt in der Stadt angekommen. Charkiw ist ein Gebiet, in dem weiterhin systematische Angriffe stattfinden. Täglich heulen die Sirenen und es kommt immer noch zu Luftangriffen. Doch das russische Militär konnte und kann nicht mehr auf die Stadt vorrücken.

Gab es Spannungen während der Rückeroberung der Oblast Charkiw?

Da es für alle ziemlich unerwartet und sehr schnell begann, würde ich nicht sagen, dass es Spannungen gab. Ich hatte die Befürchtung, dass es danach zu weiteren Bombardierungen kommen würde, denn kurz zuvor hatte es Bombardierungen auf der Krim gegeben. Die Menschen sind eher positiv eingestellt, sie halten durch.

Erwartet die Stadt Charkiw eine Offensive, weil die Region an der Grenze zu Russland liegt?

Diese Gefahr besteht und wird in allen Städten weiterbestehen, die am nächsten an der russischen Grenze liegen.

«Die Menschen sind eher positiv eingestellt, sie halten durch.»

Gab es in Ihrer Gegend gewalttätige Auseinandersetzungen?

In meiner Nachbarschaft nicht. Aber ich lebe ich in der Nähe eines Ortes, der oft von Raketen heimgesucht wird. Vor ein paar Wochen schlugen die Russen im Heizkraftwerk zu, es war nah und laut genug.

Was empfehlen die Behörden von Charkiw zur Heizperiode im Winter?

Sie empfehlen allen, Massnahmen zu ergreifen – auch jenen, denen es gut geht. Vor ein paar Monaten kursierten Informationen, dass die Menschen während der Heizperiode aus bestimmten Gebieten in Unterkünfte evakuiert werden sollen. Die Menschen kaufen Brennholz und Kohle.

Wie ist die Situation in der Stadt jetzt?

Der Zustand der Stadt verbessert sich. Die Regierung ist dabei, Häuser, Verkehrsmittel und die U-Bahn schnell wiederherzustellen. Ich bin sehr überrascht, wie gut das vorangeht.

Kommen die Leute zurück?

Die Regierung empfiehlt, nicht vorschnell in die kürzlich besetzten Gebiete zurückzukehren. Aber die Menschen gehen trotzdem, vor allem die Rentner. Viele von ihnen gehen, um etwas zu erledigen – zum Beispiel einen Arzt aufsuchen, ihre Sachen auspacken. Diejenigen, die zurückkehren wollten, gingen zurück und leben teils sogar unter Beschuss.

Was erwarten Sie für die Zukunft?

Unser Feind ist ziemlich unberechenbar, und niemand weiss, was er im Schilde führt. Die Versorgung durch Verbündete war anscheinend sehr hilfreich. Wir haben uns um den Beitritt zur Nato beworben, was uns militärisch sehr helfen und solche Aktionen von Russland verhindern wird. Stehen wir vor einem Atomkrieg oder dem Auseinanderbrechen Russlands? Beides ist möglich.

*Name von der Redaktion geändert

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