Wagner-Söldner Russische Sträflinge kehren als tickende Zeitbomben heim

uri

2.2.2023

Söldner der Gruppe Wagner im Januar 2023 in einer zerstörten Kirche in der Region Donezk.
Söldner der Gruppe Wagner im Januar 2023 in einer zerstörten Kirche in der Region Donezk.
Bild: Imago/Ivan Noyabrev/TASS/Sipa

Russland hat Zehntausende Häftlinge für den Krieg in der Ukraine rekrutiert. Darunter auch Schwerverbrecher. Inzwischen kehren viele nach ihrem Dienst traumatisiert zurück. Expertinnen befürchten «weitreichende Konsequenzen». 

uri

2.2.2023

In der berüchtigten Söldnergruppe Wagner von Jewgeni Prigoschin kämpfen auch Tausende Häftlinge. Darunter befinden sich Männer, die wegen Raub oder Diebstahl im Gefängnis sassen, aber auch welche, die wegen schwerer Verbrechen wie Mord und Vergewaltigung verurteilt wurden. Um sie an die Front zu bewegen – wo die Männer häufig als Kanonenfutter dienen – wurde ihnen neben Geld auch Freiheit nach ihrem sechsmonatigen Kampfeinsatz versprochen.

Wie viele russische Häftlinge genau in der Ukraine kämpfen und wie viele genau für Wagner, ist offiziell nicht bekannt. Zuletzt gingen russische Bürgerrechtler der Nichtregierungsorganisation (NGO) «Rus Sidjaschtschaja» («Russland hinter Gittern») davon aus, dass bislang 50'000 in Rekruten in den Gefängnissen angeworben wurden.

Davon seien im Januar nur noch 10'000 bei der Truppe gewesen, schrieb die NGO am 23. Januar auf ihrem Telegram-Kanal. «Die restlichen sind getötet, verletzt, verschollen, haben sich ergeben oder sind desertiert, unter anderem nach Russland mit der Waffe in der Hand.»

«Nehmen Sie keine Drogen, vergewaltigen Sie keine Frauen»

Problematisch sei das vor allem für Prigoschin, der den grössten Teil der Häftlinge für die «Wagner»-Gruppe angeworben habe, erklärte die Gründerin der NGO, Olga Romanowa. Der als «Putins Koch» bekannte Oligarch habe unbeschränkte Vollmachten zur Anwerbung der Häftlinge bekommen – das allerdings unter der Bedingung, dass er sie auch völlig kontrolliere.

Wagner-Söldner in der Ukraine brüsten sich mit eigener Effektivität

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Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat die Effektivität seiner Truppen in der Ukraine gelobt. Sein Pressedienst veröffentlichte ein Video, das eine verdeckte Kritik am Oberkommando des russischen Militärs sein könnte.

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Dass das nicht einfach werden dürfte, zeigt eine Verabschiedung von Häftlingen nach ihrer sechsmonatigen Dienstzeit durch Prigoschin selbst. Die Männer sollten nun von der russischen Gesellschaft «mit dem tiefsten Respekt behandelt werden», sagte er in einem von der russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti verbreiteten Video.

Und er mahnte: «Trinken Sie nicht viel zu viel, nehmen Sie keine Drogen, vergewaltigen Sie keine Frauen, machen Sie keine Dummheiten.» Nicht rückfällig zu werden, könnte sich für einige der Straftäter indes als hohe Hürde erweisen. Sie wurden durch ihre Kriegserlebnisse teils zusätzlich schwer traumatisiert, wie die «New York Times» berichtet.

«Er ist emotionslos»

Als Beispiel führt die Zeitung den 22-jährigen Andreji Jastrebow an, der ursprünglich wegen Diebstahls im Gefängnis sass und komplett verändert nach Russland zurückkehrte. «Wir alle haben das Gefühl, als wäre er in einer Art Hypnose, als wäre er eine andere Person», sagte ein Verwandter, der anonym bleiben wollte. «Er ist emotionslos.»

Dass mit den Häftlingen ein kritisches Potenzial nach Russland zurückkehrt, glaubt auch Jana Gelmel, eine russische Anwältin für die Rechte von Gefangenen, die auch mit angeworbenen Sträflingen arbeitet. «Das sind psychisch gebrochene Menschen, die nun mit dem Gefühl der Rechtschaffenheit zurückkehren und glauben, sie hätten getötet, um das Vaterland zu verteidigen», sagte sie der NYT. «Dabei können das sehr gefährliche Leute sein.»

Olga Romanova von «Russland hinter Gittern» beschreibt den derzeitigen Zustand in Russland denn auch wie folgt: «Es gibt keine Verbrechen und keine Strafen mehr. Alles ist jetzt erlaubt. Das hat weitreichende Konsequenzen für jedes Land.»

«Macht weiter, bis ihr tot seid»

Dass die ehemaligen Häftlinge an der Front in Bachmut schreckliche Erfahrungen machten und geradezu in den Tod getrieben wurden, berichtete der kürzlich nach Norwegen geflohene Wagner-Offizier Andrei Medwedew. Als ehemaligem Sträfling mit Militärerfahrung habe man ihm das Kommando über eine Einheit ehemaliger Gefangenen übertragen. Die Ansage von oben sei dabei gewesen: «Macht weiter, bis ihr tot seid.»

Die lebend nach Russland zurückkehrenden Häftlinge kehren nun zwar einerseits als relativ wohlhabende Männer zurück. Ihr Sold soll mit 100'000 Rubel schliesslich dem doppelten russischen Durchschnittslohn entsprechen. Zugleich drohen ihnen drakonische Strafen im Falle von Vergehen. Ob sie allerdings tatsächlich ihre versprochene Freiheit erhalten würden, bleibe weiterhin unklar, so die NYT.

Dass die brisante Mischung aus Traumatisierung, einem Klima der Angst und Geld dazu führen wird, dass die Kriegsheimkehrer als friedliche Mitglieder in der russischen Gesellschaft ankommen, ist zu bezweifeln.

Womöglich könnte sich eine weitere Ansage Prigoschins an die Heimkehrer fast prophetisch ins Gegenteil verkehren: «Ich habe eure kriminellen Talente gebraucht, um den Feind im Krieg zu töten», sagte der Wagner-Chef in einem Video. «An diejenigen, die zurückkehren möchten – wir warten darauf, dass ihr zurückkommt.»