Brexit war gestern Fall Skripal verschafft Premierministerin May mächtig Rückenwind

von Silvia Kusidlo, DPA

29.3.2018

Gebeugt, versteinertes Gesicht - lange Zeit sah man Premierministerin Theresa May an, wie sehr der Brexit an ihr zehrte. Innerhalb des Kabinetts, aber auch aussenpolitisch schien sie isoliert. Im Fall Skripal schart sie aber nun Kritiker und Verbündete um sich.

Die britische Premierministerin Theresa May macht in diesen Tagen eine auffällige Wandlung durch. Sah sie in den vergangenen Monaten oft wie ein Häufchen Elend aus, präsentiert sie sich jetzt bei offiziellen Terminen wieder selbstbewusst. Der mysteriöse Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Yulia in der englischen Kleinstadt Salisbury gibt ihr ordentlich Rückenwind - sowohl innen- als auch aussenpolitisch.

Rückblende: In den vergangenen Monaten ging bei May so ziemlich alles schief. Aus einer von ihr einberufenen Neuwahl im vergangenen Juni wollte sie gestärkt herausgehen. Doch das Gegenteil geschah: Sie erlitt eine Wahlschlappe und regiert nur noch mit hauchdünner Mehrheit - und ist dabei auf die Unterstützung der erzkonservativen DUP angewiesen, die eine grosse Finanzspritze für Nordirland erhielt.

Zudem ist ihre Regierung im Brexit-Kurs zerstritten. Hardliner wie Aussenminister Boris Johnson und Brexit-Minister David Davis stehen eher EU-freundlichen Politikern wie Schatzkanzler Philip Hammond gegenüber. Der Streit wurde massiv öffentlich ausgetragen - in langen Zeitungsbeiträgen schossen die Regierungsmitglieder ihre Giftpfeile aufeinander. Die Folge: Die Verhandlungen zum Austritt aus der Europäischen Union verliefen sehr zäh. Innenpolitisch fürchtete May Revolten, aussenpolitisch erschien Grossbritannien zunehmend isoliert.

Der tragische Fall Skripal brachte eine Wende. London hält den russischen Präsidenten Wladimir Putin für den Drahtzieher des Attentats. Denn der Anschlag wurde nach britischer Darstellung mit dem in der früheren Sowjetunion entwickelten Kampfstoff Nowitschok verübt. Ob Deutschland, die USA oder Australien: In vielen Telefongesprächen warb May bei Verbündeten um Unterstützung und erzielte beim EU-Gipfel in der vergangenen Woche den Durchbruch.

Russlands Antwort wird kommen

May habe entscheidende neue Informationen zum Giftanschlag vorgelegt und damit die Haltung der übrigen Regierungschefs beeinflusst, berichtete die litauische Staatschefin Dalia Grybauskaite. «Das waren sehr gute, vertrauenswürdige Informationen.» Prompt kündigten mehr als 20 Länder die Ausweisung von weit über 100 russischen Diplomaten an. Aber: Bislang öffentlich gemacht wurden die «entscheidenden neuen Informationen» zum Anschlag nicht - das beklagt auch der Kreml.

Russlands Antwort auf die Ausweisungen werde zu gegebener Zeit folgen, sagte am Mittwoch Kremlsprecher Dmitri Peskow. Er betonte, er finde nicht, dass sich Moskau in eine Sackgasse manövriere. «20 oder 30 Staaten, das ist nur ein Teil der internationalen Gemeinschaft.» Es wird damit gerechnet, dass auch Moskau mit Ausweisungen reagiert.

Und wie wird dann London wiederum antworten? Es gebe Beschwerden, «dass London zwar die Unterstützung von Verbündeten sucht, selbst jedoch keinen zu hohen Preis dafür zahlen möchte, dass Moskau herausgefordert wird», berichtete die britische Zeitung «The Guardian» am Mittwoch. Kritiker meinen, dass die Ausweisung von russischen Diplomaten und die Ankündigung, dass keine britischen Regierungsvertreter und Royals zur Fussball-Weltmeisterschaft nach Russland kommen, nur ein Tropfen auf dem heissen Stein seien.

May wirkt siegessicher

Im Parlament deutete May an, dass das Vermögen von mit Putin befreundeten Oligarchen eingefroren werden könnte. Innenministerin Amber Rudd verkündete, etwa 14 frühere mysteriöse Todesfälle in Grossbritannien mit einer möglichen Verbindung nach Russland noch einmal untersuchen zu lassen. Erst Mitte März war in London der russische Kreml-Kritiker Nikolai Gluschkow ermordet worden.

Was immer May noch an Massnahmen gegen Moskau verkünden wird: Sie wirkt siegessicher und verweist immer wieder auf die «Solidarität der Verbündeten». Andere Staaten und auch die Brexit-Hardliner ziehen im Fall Skripal mit ihr an einem Strang. Im Parlament warnte zwar der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, vor nicht belegten Anschuldigungen gegen den Kreml. Doch inzwischen hat der Alt-Linke andere Probleme: Jüdische Gruppen werfen ihm und Labour antisemitische Tendenzen vor. Es gab Proteste vor dem Parlament.

Die Hoffnung, dass Skripal und seine Tochter zur Aufklärung des Anschlags und damit vielleicht zum Ende der Affäre beitragen könnten, schwindet zusehends. Offiziell heisst es, die beiden seien in einem kritischen, aber stabilen Zustand. Doch eine Verwandte aus Russland berichtete am Mittwoch dem Sender BBC, dass die Prognose gar nicht gut sei. Falls sie überleben, sei mit bleibenden Schäden zu rechnen. «Ich hoffe auf ein Wunder», sagte die Nichte von Sergej Skripal.

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