Umstrittene Regeln EU-Parlament stuft Gas und Atomenergie als klimafreundlich ein

SDA

6.7.2022 - 12:37

Atomkraftwerk im französischen Nogent-sur-Seine bei Paris: In der EU werden Investitionen in bestimmte Gas- und Atomkraftwerke aller Voraussicht nach als klimafreundlich eingestuft werden «können». (Archiv)
Atomkraftwerk im französischen Nogent-sur-Seine bei Paris: In der EU werden Investitionen in bestimmte Gas- und Atomkraftwerke aller Voraussicht nach als klimafreundlich eingestuft werden «können». (Archiv)
Bild:  Keystone

Der Vorschlag der Kommission war umstritten – jetzt hat ihm das Europaparlament zugestimmt: Künftig dürften Gas- und Atomkraftwerke als klimafreundlich gelten. Klimaschützer drohen mit Klagen. 

Keystone-SDA

Sollten Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich eingestuft werden können? Befürworter und Gegner lieferten sich seit Monaten hitzige Debatten über diese Frage. Nun gibt es eine Entscheidung.

In der EU werden Investitionen in bestimmte Gas- und Atomkraftwerke aller Voraussicht nach als klimafreundlich eingestuft werden können. Im Europaparlament gelang es Gegnern am Mittwoch nicht, entsprechende Pläne mit einer Abstimmung zu stoppen.

Statt der erforderlichen 353 Abgeordneten votierten im Plenum in Strassburg lediglich 278 gegen den Rechtsakt zur sogenannten Taxonomie.

Frankreich sieht in Atomkraft eine Schlüsseltechnologie

Konkret ging es bei dem Votum um einen ergänzenden Rechtsakt zur sogenannten Taxonomie der EU. Sie ist ein Klassifikationssystem, das private Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten lenken und so den Kampf gegen den Klimawandel unterstützen soll. Für Unternehmen ist es relevant, weil es die Investitionsentscheidungen von Anlegern beeinflussen und damit zum Beispiel Auswirkungen auf Finanzierungskosten von Projekten haben könnte. Investoren sollen zudem in die Lage versetzt werden, Investitionen in klimaschädliche Wirtschaftsbereiche zu vermeiden.

In einem ersten Schritt wurde bereits im vergangenen Jahr entschieden, die Stromproduktion mit Solarpaneelen, Wasserkraft oder Windkraft als klimafreundlich einzustufen. Zudem wurden Kriterien für zahlreiche andere Wirtschaftsbereiche festgelegt. Sie regeln beispielsweise, dass der Personen- und Güterzugverkehr ohne direkte CO2-Abgasemissionen als klimafreundlich eingestuft werden kann.

Unter dem Druck einiger Mitgliedstaaten schlug die für Gesetzesvorschläge zuständige EU-Kommission dann Ende vergangenen Jahres zusätzlich vor, auch Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich einzustufen. Eine entscheidende Rolle spielte dabei Frankreich, das in der Atomkraft eine Schlüsseltechnologie für eine CO2-freie Wirtschaft sieht und die Technik gerne auch weiter in andere Länder exportieren will. Deutschland setzte sich im Gegenzug für ein grünes Label für Gas als Übergangstechnologie ein.

Umsetzung des Vorschlags kann noch verhindert werden

Die Umsetzung des Kommissionsvorschlags kann noch verhindert werden, wenn sich bis zum 11. Juli mindestens 20 EU-Staaten zusammenschliessen, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten. Dass eine entsprechende Mehrheit im Rat der EU zustande kommt, gilt allerdings wegen des Interesses von vielen Staaten an der Nutzung von Kernkraft als ausgeschlossen.

Umweltschützer hatten die EU-Abgeordneten vor der Abstimmung aufgefordert, gegen den neuen Rechtsakt zur Taxonomie zu stimmen. Sie kritisieren unter anderem, dass Treibhausgase ausgestossen werden, wenn Energie mit Erdgas erzeugt wird. Bei Atomkraft gelten hauptsächlich der Abfall, aber auch mögliche Unfälle als problematisch. Zuletzt argumentierten Gegner zudem, dass Anreize für Investitionen in den Bau neuer Gaskraftwerke in starkem Kontrast zu den Bemühungen stehen, unabhängig von russischem Gas zu werden.

Greenpeace kündigte mögliche Klagen an

Die Umweltorganisation Greenpeace stellte bereits eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Entscheidung der EU-Kommission zur Einstufung von Gas und Atom als nachhaltige Energie in Aussicht gestellt. Die Klage werde eingereicht, sollte die Kommission den Beschluss nicht ändern oder zurückziehen, erklärte Greenpeace am Mittwoch.

Zuvor wolle die Organisation noch einmal den Versuch unternehmen, die Kommission zu überzeugen, dass ihr Beschluss gegen Unionsrecht verstosse, erklärte sie. «Erdgas und Atomenergie ökologisch nachhaltig zu nennen, ist mit der Taxonomie-Verordnung nicht zu vereinbaren.»

Befürworter verweisen hingegen auf die Notwendigkeit von Übergangstechnologien und darauf, dass für den Betrieb von Gaskraftwerken auch Flüssiggas zum Beispiel aus den USA oder Wasserstoff genutzt werden kann.