Tod in der WüsteFamilienvater: «Ich hätte an ihrer Stelle dort sein sollen»
tgab
29.9.2023
Zweimal versuchten Pato Crepin und seine Familie, die Grenze von Libyen nach Tunesien zu überqueren, zweimal wurden sie zurückgedrängt. Nun sind seine Frau und seine Tochter tot.
tgab
29.09.2023, 20:48
Gabriela Beck
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Ein Familienvater versucht mit seiner Frau und seiner Tochter von Libyen nach Tunesien zu gelangen.
Viermal werden die Eltern von den libyschen Behörden abgefangen und inhaftiert, zweimal schieben tunesische Grenzer die Familie ab in abgelegene Grenzgebiete in der Wüste.
Am Ende sind die Frau und die Tochter tot, vermutlich verdurstet, der Vater überlebt – und macht sich Vorwürfe.
Pato Crepin erfuhr vom Tod seiner Frau Fati Dosso und seiner sechsjährigen Tochter Marie aus den sozialen Netzwerken. Ein Foto ging viral, das eine Frau und ein Mädchen zeigte, die tot in der Wüste an der Gressnze zu Tunesien lagen. Crepin erkannte sie sofort. Eine Woche zuvor hatte er die beiden weitergeschickt, auf dem Weg von Libyen nach Tunesien und von dort vielleicht nach Europa.
Auf dem Weg in ein besseres Leben. Als ihm selbst nach einer Infektion und drei Tagen in der glühenden Hitze der Wüste die Beine versagten. Er wollte sie nicht bremsen und seine Familie später in Tunesien treffen, falls er es denn schaffen sollte. In jenem Augenblick glaubte er nicht recht daran. Und nun waren sie tot und er lebte.
«Ich hätte an ihrer Stelle dort sein sollen», sagt Crepin dem «Guardian» in dem Telefoninterview, in dem er seine Flucht beschreibt.
Liebesgeschichte im Flüchtlingslager
Pato Crepin und Fati Dosso lernten sich in einem Internierungslager in Libyen kennen, das jahrelang das wichtigste Tor für Migranten und Flüchtlinge war, die ein besseres Leben in Europa suchen.
Beide hatten bereits weite Strecken zurückgelegt, um dorthin zu gelangen: Dosso aus ihrem Zuhause in der Elfenbeinküste, Crepin aus einem Teil Kameruns, wo der Konflikt zwischen anglophonen Separatisten und der Regierung schwelt und in dem bereits Dutzende Menschen starben und Hunderte inhaftiert wurden. Auch Crepins ältere Schwester wurde getötet, sein Haus niedergebrannt.
Crepin flüchtete nach Nigeria, wo er in einem Dorf an der Grenze zu Kamerun Arbeit als Mechaniker fand. «Da waren Migranten, die von Arbeitsplätzen im Maghreb-Gebiet erzählten», erzählt er dem «Guardian». Ein Schmuggler brachte ihn nach Algerien und dann nach Libyen.
Dosso wuchs im Westen der Elfenbeinküste als Waise ohne Geschwister auf. Die einzigen Menschen, die sich um sie kümmerten, waren eine Tante und eine Cousine.
Mindestens viermal versuchte das Paar, Libyen nach Europa zu verlassen, und jedes Mal wurden sie von den libyschen Behörden abgefangen und in verschiedene Haftanstalten geschickt, wodurch sie monatelang getrennt lebten. Doch trotz der unzähligen Schwierigkeiten gelang es dem Paar, zusammen zu bleiben.
Nach fast sieben Jahren in Libyen waren sie noch am Leben. Und im März 2017 wurde ihre Tochter Marie geboren. Die Sehnsucht des Paares, Europa zu erreichen – auf der Suche nach Frieden und menschenwürdiger Arbeit – wurde umso dringlicher. Von den Berichten über Tausende von Vermissten auf See liessen sie sich nicht abschrecken.
Halbverdurstet durch die Wüste
Crepin und Dosso beschlossen am 13. Juli dieses Jahres schliesslich, mit ihrer inzwischen sechsjährigen Tochter Marie die beschwerliche Reise von Libyen durch die Wüste in die tunesische Stadt Ben Gardane anzutreten.
«Wir sind die ganze Nacht gelaufen, bevor wir Tunesien nicht weit von uns sehen konnten», berichtet Crepin. «Uns war das Wasser ausgegangen. Also wollten wir zur tunesischen Küste in Richtung der tunesischen Grenze weiter. Dabei wurden wir von drei tunesischen Soldaten erwischt. Sie schlugen uns und drängten uns zurück in die Wüste.»
Beim zweiten Versuch am 15. Juli gelang es der kleinen Familie, die Grenze nach Tunesien zu überqueren. Eine Tunesierin gab ihnen etwas Wasser.
«Und dann kam die Polizei. Sie brachten uns zu etwas, das wie ein Polizeikontrollpunkt aussah», erinnert sich Crepin. Am nächsten Tag wurden sie in einen Lieferwagen gezwungen und in die Wüste zurückgebracht.
Ein tödlicher Glücksfall
Dosso und Marie weinten vor Verzweiflung. Sie wollten es noch einmal versuchen, doch Crepin spürte, wie sein Körper rebellierte. Er fragte eine andere Gruppe von Flüchtenden, ob seine Frau und seine Tochter sich ihnen anschliessen könnten, und zu seiner Erleichterung war das möglich. Jede Minute war kostbar. Wenn seine Frau und seine Tochter nicht bald Tunesien erreichten, würden sie verdursten. Sie hatten eine letzte Chance, dachte er.
«Ich sagte ihr, sie solle gehen und ich würde sie in Tunesien einholen», erzählt Crepin. «Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.»
Crepin träume immer noch davon, eines Tages Europa zu erreichen, aber er habe nicht genug Geld für die Reise, berichtet der «Guardian». Entgegen seiner Befürchtungen sei es ihm gelungen, sich selbst zu retten, dank einer Gruppe sudanesischer Passanten, die ihm Wasser angeboten und ihn zu Fuss nach Tunis mitgenommen haben. Doch Crepin sei von den tunesischen Behörden bald wieder nach Libyen ausgewiesen worden. Als er mit dem Guardian sprach, befand er sich immer noch dort, im nordwestlichen Bezirk von Tripolis.