«Werden alle ausrotten» Immer Ärger mit Erdogan

Von Philipp Dahm

23.11.2022

Erdogan kündigt Einsatz von Bodentruppen gegen kurdische Miliz in Syrien an

Erdogan kündigt Einsatz von Bodentruppen gegen kurdische Miliz in Syrien an

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat den Einsatz von Bodentruppen gegen kurdische Milizionäre in Syrien angekündigt. Entsprechend äusserte sich Erdogan am Dienstag. Die Türkei gehe schon seit einigen Tagen mit ihren Flugzeugen, Kanonen und Gewehren gegen die Terroristen vor, sagte Erdogan mit Blick auf die Kurden-Miliz YPG. So Gott wolle, werde man sie mit Panzern und Soldaten so schnell wie möglich ausrotten.

22.11.2022

Unverhohlene Drohungen gegen Griechenland, eine beleidigte Reaktion auf eine schwedische Zeichnung und das Versprechen, kurdische Milizen «auszurotten»: Recep Tayyip Erdogan eckt mal wieder überall an.

Von Philipp Dahm

«Eines Nachts werden wir plötzlich da sein. Diese Aussage ist mir wichtig», betont Recep Tayyip Erdogan auf seiner G-20-Pressekonferenz in Bali Mitte November. Der Adressat dieser unverhohlenen Drohung: das Nachbarland im Westen.

«Griechenland muss seine Grenzen und die Regeln in seiner Nachbarschaft kennen», macht der türkische Präsident deutlich. «Es ist egal, ob sie Waffen auf den Inseln anhäufen. Es wird ihnen nicht guttun.» Die unverhohlene Drohung gilt dabei einem Staat, der wie die Türkei Mitglied der NATO ist.

«Eines Nachts werden wir plötzlich da sein«: Recep Tayyip Erdogan gibt am 16. November auf Bali eine Pressekonferenz.
«Eines Nachts werden wir plötzlich da sein«: Recep Tayyip Erdogan gibt am 16. November auf Bali eine Pressekonferenz.
EPA

Ankara und Athen haben genug Gründe für Zank. «Wir haben diverse Streitereien in der Ägäis», fasst es im Juni der frühere Diplomat Hasan Gogus bei «Al Jazeera» zusammen. «Zum Beispiel die Grösse der territorialen Gewässer, die Begrenzung der kontinentalen Platte, die Demilitarisierung der Inseln und die Weite des Luftraums.»

Es geht dabei um jene Inseln nahe der türkischen Küste, die Griechenland in den Friedensverträgen von Paris 1947 unter der Bedingung zugestanden worden sind, dass dort kein Militär platziert sind, so die Interpretation in Ankara. Und nicht zuletzt liegen die Länder in der Zypern-Frage über Kreuz: An einen Ausgleich ist in absehbarer Zukunft nicht zu denken.

Ankara bestellt schwedischen Botschafter ein

Doch Erdogan lässt nicht locker – auch nicht in Sachen Zypern. Gerade erst hat der 68-Jährige durchgedrückt, dass die Organisation der Turkstaaten der Türkischen Republik Nordzypern Beobachterstaus erteilt. Die US-Regierung lehnt das ab, besteht darauf, dass allein die Republik Zypern ihr Ansprechpartner ist und kritisiert, der Vorgang verstosse gegen die UN-Charta.

Doch mit dem Recht hat es der türkische Präsident nicht so – sofern es nicht auf seiner Seite steht. Das zeigt sich am 21. November, als in Ankara der schwedische Botschafter einbestellt wird. Der Grund: Auf das Gebäude der türkischen Botschaft in Stockholm sind zuvor Bilder projiziert worden, die einerseits Präsident Erdogan beleidigen sollen und zum anderen kurdische Propaganda sein.

Erdogan beleidigt? Türkei empört über Kurden-Aktion in Stockholm

Erdogan beleidigt? Türkei empört über Kurden-Aktion in Stockholm

Kurdische Aktivisten haben Bilder und Slogans auf die türkische Botschaft in Stockholm projiziert, mit denen scharfe Kritik am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan geübt wird. Die Türkei stellte daraufhin den schwedischen Botschafter ein.

22.11.2022

Das Problem: In der Türkei sind Gesetze erlassen worden, die eine Diffamierung des Präsidenten, aber auch Kritik an ihm unter Strafe stellt. Dass dieses Mass auch in Nordeuropa gelten soll, wo Meinungs- und Pressefreiheit herrschen, ist vermessen. Dennoch wird der schwedische Botschafter nachdrücklich aufgefordert, eine Untersuchung einzuleiten.

Kurdische Milizen «ausrotten»

Doch Ankara hat Oberwasser, seitdem neben Ungarns – nur noch die türkische Zustimmung zum NATO-Beitritt Stockholms fehlt. Daran hat auch der Besuch des neuen Premiers Ulf Kristersson in Istanbul nichts geändert, obwohl der Schwede ein härteres Vorgehen gegen kurdische Gruppierungen zugesagt hat. Erdogan hat Schweden in der Hand, und das kostet er genüsslich aus.

Und nun ordnet Erdogan Angriffe auf Kurden im Irak und in Syrien an – als Reaktion auf den Bombenanschlag in Istanbul, der sechs Menschenleben gefordert hat. Die neue Kampagne beginnt mit Luftangriffen am Morgen des 20. November.

Wie Erdogan die Attacken seiner Armee begründet, lässt jedoch aufhorchen: Der Jargon erinnert an die Sprache der Nazis. «Seit ein paar Tagen liegen wir den Terroristen mit unseren Flugzeugen, Geschützen und bewaffneten Drohnen im Nacken«, sagt Erdogan am 22. November. «So bald wie möglich werden wir, so Gott will, mit unseren Panzern und Soldaten alle ausrotten.»

Bodenoffensive sei «legitimstes Recht»

Die Türkei lasse sich nicht länger «hinhalten»: «Ab sofort gibt es für uns nur noch ein einziges Mass, ein einziges Limit. Und das ist die Sicherheit unseres eigenen Landes, unserer eigenen Bürger. Es ist unser legitimstes Recht, bis dahin zu gehen, wo diese Sicherheit beginnt.»

Den Luftangriffen soll wohl eine Bodenoffensive folgen, um die PKK und die YPG in Syrien nachhaltig zu treffen. Es müsse verhindert werden, dass die Kurden «einen Terrorstaat errichten». Russland, dass das syrische Regime in Damaskus stützt, äussert zwar Verständnis für «Sicherheitsbedenken» ruft Ankara aber gleichzeitig zur Mässigung auf. Dass der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow damit Gehör findet, darf bezweifelt werden.

Die türkische Oppositionspartei HDP wirft der Regierung vor, «Krieg» aus wahltaktischen Gründen zu treiben. Die ultranationalistischen MHP und Erdogans AKP hätten erkannt, dass ihr Bündnis verlieren werde. «Es hat den Wahlkampf mit seiner Kriegspolitik eröffnet, um seine politische Lebenszeit zu verlängern», kritisiert die Ko-Vorsitzende Pervin Buldan pro-kurdischen HDP im türkischen Parlament.

Jeder solle die «Kriegsgesinnung der AKP-MHP» sehen, die «für den Fortbestand ihrer Herrschaft Menschenleben missachtet», so Buldan. Dass es unmittelbar vor den Luftangriffen auf «zivile Siedlungsgebiete» in Syrien zu einer «dubiosen Explosion» in Istanbul kam, «ist definitiv kein Zufall», so Buldan weiter. Es gebe viel aufzuklären. Doch anstatt aufzuklären, stürze sich die Regierung auf «Kriegspolitik».

Mit Material von dpa.