Kabadiwala In Indien trennt die Schattenwirtschaft den Müll

von Nick Kaiser, dpa

5.6.2018

In Indien trennt man seinen Abfall nicht selbst - dafür gibt es Müllsammler. Sie sind ein unverzichtbares Glied des indischen Recycling-Systems. Der Staat hingegen hält sich raus.

Ram Naresh und sein Sohn hocken in einer schmalen Gasse im Zentrum der indischen Hauptstadt Neu Delhi und wühlen mit blossen Händen durch Müll. Sie leben von dem bisschen Geld, das ihnen der Verkauf von Plastik und Papier einbringt. Dies finden sie in dem Abfall, den sie Büros und Restaurants abkaufen.

Das 1,3-Milliarden-Einwohner-Land - Schirmherr des diesjährigen Weltumwelttages am 5. Juni - gibt an, eine der höchsten Recycling-Quoten der Welt zu haben. Mit Zahlen kann es das nicht belegen, denn das Recycling-System ist praktisch nicht staatlich geregelt. Die Arbeit erledige zu 60 bis 70 Prozent der informelle Sektor, sagt die Expertin Chitra Mukherjee von der indischen Umweltorganisation Chintan.

Dazu gehören vor allem sogenannte Kabadiwalas (Deutsch: Müllmänner) wie Ram Naresh. Sein Sohn, Ajay Kumar, hilft ihm seit ein paar Jahren. Der 25-Jährige hat einen Bachelor-Abschluss im Fach Hindi-Literatur, findet aber keinen anderen Job als diesen, wie er erzählt: «Arbeit ist Arbeit. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt, dafür schäme ich mich nicht.»

Arbeit für die unterste Stufe des Kastensystems

Als schmutzig betrachtete Arbeit wie diese ist in Indien in der Regel Angehörigen der unteresten Stufe des Kastensystems und der muslimischen Minderheit vorbehalten. Ram Naresh kam vor 34 Jahren dazu, als er als frisch verheirateter Zwölfjähriger von seinem Schwiegervater angeheuert wurde. Seitdem sammelt er Müll am Connaught Place, dem Herzen der Hauptstadt, die zu den grössten Städten der Welt gehört. Mit dem Aufkommen von Computern sei der Papiergebrauch gesunken, erzählt er. Dafür gebe es jetzt mehr Plastikverpackungen. Umweltverschmutzung durch Plastik ist in diesem Jahr das Thema des Weltumwelttags.

Mülltrennung in Indien ist Aufgabe der Schattenwirtschaft

Ram Naresh und Ajay Kumar sammeln nach eigenen Angaben etwa 40 Kilo Papier und fünf bis sechs Kilo Plastik am Tag. Gewogen wird mit einer Handwaage. Für gemischten Abfall bezahlen sie drei Rupien pro Kilo, für Zeitungen und Plastik jeweils zehn (etwa 14 Rappen). Für 13 Rupien das Kilo verkaufen sie die Sachen weiter an den Betreiber eines Depots am Rande der Stadt.

Dort wird der Plastikabfall noch einmal in mehrere Kategorien getrennt - wieder per Hand. Die Frauen, die hier zum Schutz vor der Sonne unter einer Plane hocken und sortieren, bekommen dafür 200 Rupien (2,90 Franken) am Tag, ihre männlichen Kollegen 450 Rupien - weil sie auch Schweres schleppen können, wie es heisst. Den Abfall kauft dann ein weiterer Mittelsmann, der etwa Plastikflaschen maschinell zerkleinert und sie schliesslich - ebenfalls mit einem Gewinn von wenigen Cent pro Kilo - an eine Recycling-Fabrik weiterverkauft.

Eineinhalb Millionen Inder arbeiten im Recycling-Sektor

Aus dem Kunststoff werden in der Regel nicht neue Flaschen oder Verpackungen, sondern etwa Textilien und Puppen. Auch im Strassenbau wird Plastikmüll verwendet. Und manche vermeintlich recycelte Flaschen werden illegal wiederverwendet. Das treffe auf die Hälfte aller in Indien gebrauchten PET-Flaschen zu, betont Prashant Rana, Chef der Recycling-Firma Green-O-Tech Services - ihm zufolge eine der grössten Indiens. Die Flaschen würden etwa mit - dem in Indien extrem ungesunden - Leitungswasser wiederaufgefüllt und verkauft oder zum Abfüllen von selbstgebranntem Schnaps benutzt.

Nach offiziellen Zahlen werden in Indien 75 bis 80 Prozent der jährlich mehr als 60 Millionen Tonnen Abfall gesammelt. Der Rest bleibt einfach am Rande von Strassen und Gewässern liegen. Oft stehen darin streunende Kühe und fressen.

Rund eineinhalb Millionen Inder arbeiten nach Angaben der Umweltexpertin Mukherjee im informellen Recycling-Sektor. Sie seien das «Rückgrat des Recycling-Systems in Indien». Dennoch würden sie ausgegrenzt und ausgebeutet. «Das Problem ist, dass die Verwaltungen ebenso wie die Leute denken, die Müllsammler würden die Städte dreckig machen», meint sie. «Das ist absolut lächerlich. Wir alle sind es, die das machen, indem wir unseren Müll nicht trennen.»

«Niemand erkennt unsere Rolle an»

Die Städte müssten die Arbeit der Kabadiwalas anerkennen und ihnen geregelte Anstellung geben, findet Mukherjee. Tatsächlich hat Indiens Regierung im Jahr 2016 deren Integration in ein formelles System beschlossen. Wie so viele Vorschriften und Regeln in Indien - etwa ein von einigen Bundesstaaten erlassenes Verbot von Plastiktüten - wird auch diese Vorgabe bislang nicht durchgesetzt.

Die Stadtverwaltung von Neu Delhi hat nicht einmal einen Überblick über das Ausmass des informellen Recycling-Sektors in der Stadt. Es gebe weder Zahlen zur Menge an gesammeltem Plastik, noch zur Zahl der Müllsammler oder der Recycling-Anlagen, sagt Devender Kumar, Chef für Umweltmanagement der Stadtverwaltung.

Ein paar Mal pro Jahr verdonnere die Stadtverwaltung ihn zur Zahlung eines Bussgeldes von 500 Rupien wegen Verschmutzung eines öffentlichen Ortes, erzählt Ram Naresh. Hinzu kämen monatliche Schmiergeldzahlungen von 200 bis 300 Rupien an die Polizei. Das sind zwar umgerechnet nur wenige Franken, im Monat verdienen Vater und Sohn zusammen aber nach eigenen Angaben nur etwa 15'000 Rupien (rund 214 Franken). «Was wir machen, nutzt der Regierung und dem Volk», sagt Ram Naresh. «Alle haben was davon, aber niemand erkennt unsere Rolle an.»

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