Diese fünf Folgen der Attacke auf das World Trade Center sind kaum bekannt
Der Tag, an dem der Himmel über New York grau wurde: Die Bilder von 9/11 sind in das Gedächtnis ganzer Generationen eingebrannt. So manche Folge des Anschlags war dabei nicht vorhersehbar. Fünf Fakten im Video.
09.09.2021
Tragische Ereignisse brennen sich ein: Jeder erinnert sich zum Beispiel an die Umstände, unter denen er von den Anschlägen des 11. September vor exakt zwanzig Jahren erfuhr. Schweizer Zeitzeug*innen erzählen.
Am 11. September 2001 verliess Romain, damals noch Student zusammen mit seinem Freund Nicolas die Berufsschule in Lausanne. «Wir warteten in Malley auf die Strassenbahn in Richtung Flon», erinnert er sich. Der Bruder seines Freundes, ein Super-Puma-Hubschrauberpilot der Schweizer Armee, rief ihn an und teilte ihm mit, dass «Amerika angegriffen wird» und dass er im Falle eines Angriffs mobilisiert werde. «Erst als wir nach Hause kamen, wurde uns klar, was hier los war...»
Wie bei allen anderen hat sich auch bei diesem Waadtländer die Erinnerung an die Ereignisse vor zwanzig Jahren und an die genauen Umstände, in denen er sich befand, als das Grauen über New York hereinbrach, eingebrannt.
Romain lebt heute in Kalifornien, was ihm eine andere Perspektive auf die Geschehnisse aufzeigt. «Es ist klar, dass die Menschen hier sensibler auf das Thema reagieren», sagt er, «aber gesprochen wird darüber nicht wirklich». Er vermute, dass einige von ihnen unter dem Tag selbst und den darauf folgenden Folgen psychisch sehr gelitten hätten, insbesondere die Soldaten, die nach Afghanistan und in den Irak gingen, und ihre Familien.
Von daher habe er das Gefühl, dass die Mehrheit der Bevölkerung das Geschehene lieber vergessen würde. «Natürlich spielen einige Leute immer noch mit diesen Empfindlichkeiten, um den ‹Krieg gegen den Terror› zu fördern», sagt er. «In Kalifornien hatten wir die einzige Abgeordnete, die gegen eine Invasion in Afghanistan gestimmt hat», sie habe die Meinung der Mehrheit vertreten, nämlich dass die Regierung viel mit Emotionen spiele, «um die Menschen zu kontrollieren und von den Aufrüstung zu profitieren.»
Der Ausgewanderte stellt auch eine Art «schleichenden Scham» fest, da der Krieg «am Ende kein klares Ziel hatte» und man Afghanistan nach zwanzig Jahren Krieg und Ausgaben für nichts verlassen habe.
Das Undenkbare in den Kinder-Augen
Lorène war erst siebeneinhalb Jahre alt, als die Zwillingstürme fielen. Aber sie hat nichts vergessen: Als sie mit ihrer Mutter nach der Schule zu Hause angekommen sei, habe ihr Bruder den Fernseher mit dem Sender Euronews angelassen, der zeigte, was in New York passiert war. «Damals wurde mir klar, dass die Welt, in der wir leben, verrückt ist und dass nicht alles rosig sein wird», sagt Lorène.
Im Alter von zwölf Jahren verbrachte Circé jenen Tag damit, wie üblich Radio zu hören, um ihre Hausaufgaben zu machen. «Dort wurde mein Programm entgegen der Gewohnheit auf den Kopf gestellt und ich erfuhr gegen 16 Uhr von den Anschlägen». Sie sei geschockt gewesen, wäre es doch das erste Mal gewesen, dass sie von einem solchen Ereignis im Westen hörte.
«Vor allem habe ich nicht verstanden, warum dieser Angriff wichtiger war als alle anderen». Im Radio sei alles auf den Kopf gestellt worden, ganz anders als bei der Berichterstattung über andere Kriege. Ihre Mutter, Professorin an der Universität Lausanne, half ihr, die Dinge klarer zu sehen: «Wir diskutierten darüber, als meine Mutter nach Hause kam». Sie habe ihr vor dem Fernseher erklärt, welche Auswirkungen die Geschehnisse auf die Gesellschaft hatten.
«Pentagon Boom»
Valerie war Mitte August 2001 mit ihrem Partner auf einer einjährigen Reise aufgebrochen. Sie sagt: «Im September waren wir in der Türkei und am 11. September in einer Stadt namens Kutahya.» Als sie zu ihrem Hotel zurückgekehrt seien, habe der Rezeptionist mit Gesten und Grimassen gesagt: «Pentagon-Boom!» «Er sprach kein Englisch, und das war die einzige Möglichkeit, uns den Ernst der Lage zu verdeutlichen», so Valerie.
Da sie nicht wirklich verstanden hätten, wovon er sprach, suchte das Paar ein Internetcafé auf, um weitere Informationen zu erhalten. «Es war seltsam, von unserer Familie und unseren Freunden getrennt zu sein. Wir konnten nur zu zweit und per E-Mail mit unseren Verwandten darüber sprechen. Wir fühlten uns in diesem Moment ziemlich allein.»
Aline und ihr Mann waren auf ihrer Hochzeitsreise in den Vereinigten Staaten: Sie wollten von Connecticut in die Innenstadt von New York fahren, «der Bus fuhr nie ab». Eine Woche seien sie festgesessen, bis sie endlich einen Flug zurück in die Schweiz bekommen konnten. «Für die Flitterwochen haben wir schon Besseres gesehen», auch für die Familie sei es sehr schwer gewesen, erinnert sie sich.
Ein so schöner Moment auf dem Grossen St.Bernhard
Am Arbeitsplatz. Wie bei Brigitta, Angestellte eines Dienstleistungsunternehmens, wo die Nachrichten vorübergehend die für die Kunden reservierten Informationen und Statistiken auf den Bildschirmen des Personals ersetzten. In einer Arztpraxis. Wie bei Melanie, die besorgt feststellte, dass ihr Zahnarzt sich mehr auf den Nachrichtensender als auf ihre Zähne konzentrierte. Auf der ganzen Welt verfolgte man das Ereignis live und entgeistert.
Es war, als wäre die Zeit stehen geblieben. «Die Bilder, unerträglich wie sie waren, werden bleiben», sagt Francine: «Es hat mir das Blut in den Adern gefrieren lassen. Mir wurde schlecht, als wir sahen, wie die Leichen vom Turm fielen, es war unwirklich. Ich war schockiert.»
Zum selben Moment schaute Didier in den Himmel und lachte: «Ich liess mit einem Freund einen Drachen über dem Grossen St. Bernhard in etwa 3000 Metern Höhe steigen». Sein Freund habe den Drachen auf ihn springen lassen und er versuchte, ihn zu fangen – ein Spass. Dann kehrten sie zurück ins Hospiz und tranken etwas im Bistro, der Fernseher lief. «Wir sahen die Türme fallen», erinnert sich Didier. Sie hätten sich wie Kinder amüsiert, während gleichzeitig andere den Tod gesät hätten. «Diese beiden Extreme haben mich oft angezogen.»