«Mein Körper, meine Sache» Junge Russin kämpft um nackte Tatsachen

Von Ulf Mauder, dpa/uri

17.7.2020

Das undatierte Foto zeigt Künstlerin Julia Zwetkowa während sie vor dem Komsomolsky Bezirksgericht des Chabarowsker Territoriums steht. Monatelang hat die junge russische Künstlerin wegen ihrer Zeichnungen nackter Frauen schon im Hausarrest verbracht.
Das undatierte Foto zeigt Künstlerin Julia Zwetkowa während sie vor dem Komsomolsky Bezirksgericht des Chabarowsker Territoriums steht. Monatelang hat die junge russische Künstlerin wegen ihrer Zeichnungen nackter Frauen schon im Hausarrest verbracht.
Bild: Julia Zwetkowa/dpa

Die Künstlerin Julia Zwetkowa kassiert in Russland Strafen, weil sie etwa gleichgeschlechtliche Paare mit Regenbogen-Motiven malt. Und sie erhält massenhaft Morddrohungen. Der Fall der 27-Jährigen steht beispielhaft für ein System.

Monatelang hat die junge russische Künstlerin Julia Zwetkowa wegen ihrer Zeichnungen nackter Frauen schon im Hausarrest verbracht. «Mir wird vorgeworfen, im Internet Pornografie verbreitet zu haben», sagt die 27-Jährige. Sie sitzt zu Hause in ihrer Heimatstadt Komsomolsk am Amur im äussersten Osten Russlands in einem Video-Chat mit der Deutschen Presse-Agentur. Ihre Zeichnungen sieht sie wie auch viele Kunstexperten, die auf Gemälde grosser Meister von nackten Frauen in den Museen der Welt verweisen, nicht als Pornografie. Aber in Russland setzt bisweilen schon ein gemalter Regenbogen den Staatsapparat in Gang.

Weil sie gleichgeschlechtliche Paare – Frauen und Männer – mit Kindern malt, eckt Julia Zwetkowa immer wieder an. «Familie ist das, wo Liebe ist», steht auf ihrem Bild mit Regenbogenfarben. Eine Richterin verurteilte sie deshalb Anfang des Monats zu 75'000 Rubel (rund 980 Franken) Strafe. Gut zwei Monatsgehälter sind das in der Region. Viel Geld für die arbeitslose Theatermacherin, die wegen der Anklage auch ihren Posten als Direktorin eines Begegnungszentrums verloren hat. Sogar mit dem sonst für die Sicherheit des Landes zuständigen Inlandsgeheimdienst FSB hatte sie es schon zu tun.

Ein undatiertes Bild, das Künstlerin Julia Zwetkowa gezeichnet hat und wofür sie zu einer Geldstrafe verurteilt wurde - «Familie ist da, wo Liebe ist» steht am oberen Rand und «Unterstützen Sie die LGBT+ Familien» steht am unteren Bild-Rand (nicht sichtbar).
Ein undatiertes Bild, das Künstlerin Julia Zwetkowa gezeichnet hat und wofür sie zu einer Geldstrafe verurteilt wurde - «Familie ist da, wo Liebe ist» steht am oberen Rand und «Unterstützen Sie die LGBT+ Familien» steht am unteren Bild-Rand (nicht sichtbar).
Bild: Julia Zwetkowa/dpa

«Sexuelle Orientierung ist keine Idee, keine Überzeugung», sagte Zwetkowa vor Gericht. «Und mir persönlich ist kein Fall bekannt, in dem ein Junge beim Anblick einer Regenbogenfahne schwul wurde.» Die Richterin sah das anders. Sie verurteilte Zwetkowa, weil sie Kinder in ihrer Entwicklung schade. Dabei hatten die Bilder im Netz die Altersangabe 18+. In einem anderen Verfahren lag die Strafe bei 50'000 Rubel, ein drittes steht noch aus.



Das Schlimmste steht Zwetkowa noch bevor

Längst ist die Feministin aus der Region Chabarowsk, wo es acht Stunden später als in der Schweiz ist, für ihren Einsatz um die Rechte von Schwulen, Lesben, Bi-, Trans- und Intersexuellen (LGBTI) landesweit bekannt. Auch die Europäische Union schaut auf den Fall. Doch das Schlimmste steht Julia Zwetkowa noch bevor. Weil sie Bilder von nackten Frauen gemalt hat, muss sie sich nun bald noch wegen Verbreitung von Pornografie verantworten. Bis zu sechs Jahren Straflager drohen ihr deshalb.

Die Bilder gehören zu einer Sammlung mit dem Titel «Eine Frau ist keine Puppe». Viele prominente Russen aus dem Show- und Mediengeschäft, Menschenrechtler und Politiker verurteilen das Vorgehen der Justiz gegen die Künstlerin. «Freiheit für Julia Zwetkowa!», fordern Aktivisten mit Plakaten bei Strassenprotesten. Immer wieder kommt es dabei zu gewaltsamen Festnahmen.

Russische Prominente unterstützen Julia Zwetkowa auf YouTube.

YouTube

Auch das Internet – Facebook, Telegram, Instagram, Youtube – ist voll mit beissender Kritik an den Behörden. Auch Julia Zwetkowa selbst informiert und mobilisiert über die sozialen Netzwerke. Feministinnen landauf, landab demonstrieren gegen Gewalt an Frauen – und für mehr Rechte. «Mein Körper, meine Sache» ist inzwischen der Leitspruch einer ganzen Bewegung. Die Frauen wollen sich nicht vom Staat vorschreiben lassen, was gezeigt werden darf.

«Wenn ich keine Angst hätte, wäre das schon seltsam»

«Diese Unterstützung tut gut, weil ich mich dann nicht allein fühle», sagt Zwetkowa. «Es gibt aber auch viel Hass gegen mich und meine Mutter. Das ist schwer auszuhalten. Gedroht wird, uns zu erschiessen oder zu verbrennen. Und es gibt genaue Beschreibungen, wo ich wohne.» Auch die Polizei selbst habe anfangs von ihren Vernehmungen Videos ins Netz gestellt mit Kommentaren. Die Absender der Hassbotschaften gegen Homosexuelle sind namentlich bestens bekannt. Eine Verfolgung aber wie die Zeichnerin Zwetkowa müssen sie kaum befürchten.

Die Menschenrechtsorganisationen Memorial und Amnesty International haben Julia Zwetkowa offiziell auf die Liste der politisch Verfolgten gesetzt. «Sie wurde zur Zielscheibe einer langen, diskriminierenden und klar homophoben Kampagne», heisst in einem Memorial-Dossier. «Die Behörden haben ihr einen Schlag nach dem nächsten versetzt, indem sie sie willkürlich verhafteten, verhörten und einschüchterten.»



Julia Zwetkowa weiss, dass sie einen langen und gefährlichen Kampf vor sich hat. «Wenn ich keine Angst hätte, wäre das schon seltsam.» Immer wieder hat die Künstlerin, die in London und Moskau studiert hat, daran gedacht, der Provinz den Rücken zu kehren. Doch die Stadt darf sie wegen der Verfahren nicht mehr verlassen.

Regenbogen-Eis als Gefahr für Kinder

«Für die LGBTI-Bewegung wird sich die Lage im Land weiter verschärfen», sagt sie. Zum einen wird das international umstrittene Gesetz 2013 zum Verbot von «Homo-Propaganda» breit angewendet. Es verbietet, sich in Gegenwart von Kindern positiv über gleichgeschlechtliche Liebe zu äussern. Zum anderen liess Präsident Wladimir Putin gerade erst eine neue Verfassung mit konservativen Werten verabschieden. Sie schliesst die gleichgeschlechtliche Ehe aus.

Als die Botschaften der USA und Grossbritanniens im Juni in Moskau aus Solidarität mit der LGBTI-Bewegung Regenbogenfahnen hissten, kritisierte der Kreml das als Verstoss gegen russische Gesetze. Das Riesenreich mit seiner einflussreichen russisch-orthodoxen Kirche sieht sich zunehmend im Kampf mit dem Regenbogen, dem internationalen Symbol für Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten.

Gerade erst hörte sich Kremlchef Putin bei einem Treffen mit Funktionären an, dass die beliebte Eiscreme Raduga eine Gefahr für Kinder sei. Raduga ist Russisch für Regenbogen –  die Eisverpackung entsprechend bunt. Kinder würden so an das Regenbogen-Motiv gewöhnt, warnte die Politikerin Jekaterina Lachowa. Putin widersprach nicht. Er regte vielmehr mit Blick auf das Eis des Anstosses sogar eine «gesellschaftliche Kontrolle» rund um den Regenbogen an.

Das russische Eis «Raduga» (Regenbogen) liegt auf einem Tisch. 
Das russische Eis «Raduga» (Regenbogen) liegt auf einem Tisch. 
Bild: Ulf Mauder/dpa
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