AusgegrenztKante zeigen gegen Homophobie – 28 frauenliebende Sportlerinnen legen los
Von Marianne Meier
8.5.2020
Frau liebt Frau, Mann liebt Mann – ja und? Für Homophobie darf es keinen Platz geben. 28 frauenliebende Schweizer Sportlerinnen berichten.
Die mächtigen Sportverbände halten sich zurück, wenn es darum geht, für die Rechte von schwulen Athleten und lesbischen Athletinnen einzustehen. In der Schweiz werden nun homosexuelle Sportstars wie die Fussballerin Lara Dickenmann oder der Schwinger Curdin Orlik endlich sichtbar. Das Buch «Vorbild und Vorurteil» porträtiert Dickenmann und 27 weitere frauenliebende Athletinnen, die über ihre Erfahrungen im Spitzensport erzählen.
Hehre Versprechungen über Nichtdiskriminierung und Schutz der Menschenwürde stehen heute zwar in den Statuten und Chartas der bedeutendsten nationalen und internationalen Sportverbände, aber bei der konkreten Umsetzung hapert es.
Wirtschaftliche Überlegungen haben immer noch Vorrang. Oder entspricht es ethischen Grundwerten, wenn 2022 in Katar eine FIFA Fussball-WM austragen wird, wo dort doch homosexuelles Verhalten mit der Todesstrafe sanktioniert wird?
Auch die Vergabe von Mega-Sportanlässen an Russland mit seiner homophoben Gesetzgebung erscheint absurd. Die grössten Sportverbände haben mittlerweile Menschenrechte in ihre Richtlinien aufgenommen, auch wenn es dabei primär ums eigene Image geht. Dies geschah vor allem auf Druck der Zivilgesellschaft und Sponsoren. Dabei hätte gerade der Sport und seine einflussreichen Organe weltweit die Chance, eine Vorreiterrolle einzunehmen.
Homophobie in der Charta nicht erwähnt
Das Internationale Olympische Komitee (IOK) nimmt in der Sportwelt eine gewichtige Position ein. Der olympische Gedanke steht für Fairplay, Frieden, Respekt, Chancengleichheit und Solidarität. Dabei gilt die «Olympische Charta» als Schlüsseldokument für unzählige Sportverbände weltweit. Trotz Reformbestrebungen gilt das IOC nach wie vor als konservative, überalterte, elitäre, eurozentrische und von Männern dominierte Organisation.
Zur Autorin: Marianne Meier
Bild: Weina Venetz Zhang
Dr. Marianne Meier ist Historikerin und Sportpädagogin. Sie hat an den Universitäten Freiburg, Siena und North Carolina studiert und in München promoviert über afrikanische «Vorbilder im Sportkontext». Sie forscht und lehrt am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung (IZFG) der Universität Bern im Bereich Sport im In- und Ausland. Sie hat das Buch «Zarte Füsschen am harten Leder» geschrieben und ist Co-Autorin von «Vorbild und Vorurteil».
Die Charta sprach sich zwar gegen «jede Form von Diskriminierung eines Landes oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Gründen» aus, doch Homophobie wurde dabei nicht erwähnt. Auf diese Kritik antwortete das IOC stets beschwichtigend, dass die sexuelle Orientierung unter «sonstigen Gründen» mitgemeint sei.
Erst die Erfahrungen rund um die Olympischen Winterspiele 2014 im russischen Sotschi hatten endgültig gezeigt, dass dies nicht ausreichend war. Das IOC wurde international scharf kritisiert, dass es öffentlich schwieg, als vor den Spielen in Sotschi LGBTIQ-Aktivistinnen und -Aktivisten bei Protesten in St. Petersburg und Moskau festgenommen wurden. Im Juni 2013 hatte Präsident Putin, unter dem Vorwand des Kinder- und Jugendschutzes, ein neues Gesetz gegen «LGBT-Propaganda» erlassen.
Ein erster formaler Meilenstein
Der internationale Druck auf das IOC stieg weiter an. Ende 2014 wurde der Anti-Diskriminierungsparagraph der Charta durch «sexuelle Orientierung» ergänzt. Ein erster formaler Meilenstein war damit gelegt, doch die konkrete Umsetzung muss sich noch beweisen.
Eine Schwierigkeit besteht darin, dass sich unter den 204 IOC-Mitgliedländern im Jahr 2019 immer noch Staaten wie Iran, Sudan, Nigeria, Saudi-Arabien oder Jemen befinden, Länder, die Homosexualität mit dem Tod bestrafen. Gemäss Amnesty International stellten 2015 insgesamt noch 76 Länder gleichgeschlechtliche Beziehungen und nichtgeschlechtskonformes Verhalten unter Strafe.
Mit ähnlichen Widersprüchen muss sich auch der Weltfussballverband FIFA mit seinen 211 Mitgliedländern auseinandersetzen. Nichtdestotrotz wurde beim Kongress im Februar 2016 erstmals ein Artikel in den FIFA-Statuten verankert, der «Menschenrechte» explizit benannte. Auch die FIFA agierte dabei nicht aus freien Stücken, sondern sah sich vom öffentlichen Druck dazu gedrängt. Durch die publik gewordenen Korruptionsfälle und Verhaftungen drohte auch ein Rückzug der Sponsoren wegen dem zunehmend schlechteren Image.
Falls die FIFA-Statuten ernst gemeint sind, wie ist es angesichts der öffentlich gezeigten Homophobie anlässlich der Winterspiele in Sotschi 2014 möglich, dass die FIFA eine Weltmeisterschaftsendrunde 2018 nach Russland vergibt? Und wie steht es mit der FIFA-WM 2022 in Katar?
Auf diese Missstände angesprochen, empfahl der damalige FIFA-Präsident Sepp Blatter 2011 gegenüber der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» den homosexuellen Fussballfans, «für die Dauer der WM auf Sex zu verzichten».
Blatter hat sich zwar im Nachhinein für seine Aussage entschuldigt, doch dies ändert nichts daran, dass sowohl seine gleichgültige und ignorante Haltung zur Realität im Wüstenstaat als auch zur Homophobie im Allgemeinen zum Ausdruck kam. Da verwundert es auch kaum, dass sich keine schwulen Profifussballer outen.
In der Sportwelt kann nach wie vor eine Art Hierarchisierung von Diskriminierungen festgestellt werden. So bestehen etwa gegen Rassismus seit Jahrzehnten breit angelegte Kampagnen, wohingegen Sexismus und Homophobie kaum Beachtung finden. Ein Vorfall anlässlich eines Bundesliga-Spiels zwischen Schalke und Dortmund im Jahr 2007 illustriert diese Sachlage:
Dabei soll Torhüter Roman Weidenfeller den dunkelhäutigen Schalke-Stürmer Gerald Asamoah als «schwarzes Schwein» beschimpft haben. Für diese rassistische Beleidigung wurde Weidenfeller vom Deutschen Fussball-Bund (DFB) für sechs Wochen gesperrt. Um weiteren Sanktionen zu entgehen, konnten Weidenfeller und sein Klub glaubhaft machen, dass er «schwules Schwein» gesagt habe und nicht «schwarzes Schwein». In der Folge wurde das Strafmass von sechs auf drei Spielsperren reduziert, weil dies offensichtlich vom DFB-Sportgericht als strafmildernd eingestuft wurde.
«Jugendgefährdende lesbische Aktivitäten auf dem Spielfeld»
Mittlerweile haben grosse Sportverbände wie der europäische Fussballverband UEFA schon Strafen ausgesprochen wegen homophoben Äusserungen. So wurde der ehemalige österreichische und albanische Fussball-Nationaltrainer Otto Baric wegen diskriminierenden Aussagen 2004 zu Geldbussen verurteilt. Auch der kroatische Verbandspräsident Vlatko Marković wurde 2010 von der UEFA gebüsst. In einem Interview hatte er öffentlich erklärt, dass er in seinem Team keine Homosexuellen zulassen würde.
Während homophobe Fangesänge von der FIFA bei der WM-Endrunde in Brasilien 2014 noch nicht sanktioniert wurden, hat sich dies bei den Vorrundenspielen der Fussball-WM 2018 geändert. Gegen mehrere Fussballverbände eröffnete die FIFA Verfahren wegen diskriminierenden und unsportlichen Verhaltens von Fans. Die Sanktionen betrafen die Verbände von Chile, Paraguay, Peru, Mexiko, El Salvador, Honduras und Kroatien.
In der Schweiz ereignete sich der wohl bekannteste Fall von Diskriminierung durch einen Fussballklub aufgrund von sexueller Orientierung 1994 im Kanton Zürich.
Und zwar suspendierte der männliche Vorstand des FC Wettswil-Bonstetten die 2. Liga-Frauenabteilung seines Vereins. In einer Pressemitteilung begründete der Vorstand seinen Entscheid so:
«Der Verein wird ausgenützt für das Ausleben von abnormalen Veranlagungen». Dem Team wurde vorgeworfen, dass zwei Drittel der Spielerinnen homosexuell wären und somit «jugendgefährdende lesbische Aktivitäten auf dem Spielfeld und in den Garderoben» stattfinden würden.
Der Trainer und seine Fussballerinnen legten beim Zürcher Fussballverband Rekurs ein. Die Intervention beim Regionalverband lohnte sich, wie es die NZZ formulierte, denn «die Auflösung [wurde] niedergeschmettert».
Der Verbandssekretär rechtfertigte den positiven Entscheid: «Der Fussballverband ist schliesslich eine in jeder Beziehung neutrale Institution». Dass dieser in der Öffentlichkeit ausgetragene Diskriminierungsskandal die damals noch junge Lesbenorganisation Schweiz (LOS) auf einen Schlag bekannt machte, war ein positiver Nebeneffekt.
«Gleichbehandlung für alle!»
In der Schweiz haben 2002 Swiss Olympic und das Bundesamt für Sport eine Ethik-Charta im Sport eingeführt. Dabei lautet das erste Prinzip: «Gleichbehandlung für alle! Nationalität, Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, soziale Herkunft, religiöse und politische Ausrichtung führen nicht zu Benachteiligungen». Dabei haben sich alle Mitgliedsverbände von Swiss Olympic verpflichtet die Ethik-Charta in ihren Statuten zu integrieren. Bei der Umsetzung kommt somit den Verbänden und Vereinen eine wichtige Vermittlerrolle zu.
Der Schweizer Fussballverband (SFV) hat sich stets nur zögerlich gegen Homophobie ausgesprochen. Der ehemalige SFV-Generalsekretär Peter Gilliéron vertrat auch 2007 noch die Meinung, dass Homophobie im helvetischen Fussball gar kein Thema sei. Zudem sagte er gegenüber der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA), dass er noch nie homophobe Sprechgesänge in Schweizer Stadien gehört hätte.
Diese Aussage mutete doch sehr weltfremd an, denn das Gegenteil liess sich ja einfach belegen. Ab 2009 amtete Gilliéron übrigens für zehn Jahre als SFV-Präsident.
Im SFV-Leitbild steht: «Wir verurteilen jede Form von Diskriminierung und Gewalt auf und neben den Fussballplätzen.» Zudem gibt es seit 2016 in der «Trainerausbildung» für das C-Diplom ein Modul, das sich mit Homophobie im Fussball befasst. Aber in den SFV-Statuten fehlt noch heute «sexuelle Orientierung» im Nichtdiskriminierungsartikel.
Mit der ehemaligen Fussballnationalspielerin Tatjana Hänni wurde 2020 erstmals eine Frau in die SFV-Geschäftsleitung gewählt. Die Tatsache, dass die erfahrene Fussballfunktionärin öffentlich zu ihrem Lesbischsein steht, macht sie als Vorbild noch viel wertvoller. Sie liess sich auch im Buch «Vorbild und Vorurteil» porträtieren.
«Homosexualität ist kein Problem, Homophobie schon»
Mehr als 20 Jahre nach dem Skandal in Wettswil-Bonstetten, wurde im Schweizer Sport 2015 erstmals eine Kampagne gegen Homophobie lanciert von Swiss Olympic und zwar in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Dachverband der Schwulen Pink Cross sowie der Lesbenorganisation Schweiz.
Dabei stand auf dem Merkblatt: «Homosexualität ist kein Problem, Homophobie schon. Schwul oder lesbisch zu sein lässt einen nicht langsamer laufen, weniger weit werfen oder springen – die sexuelle Orientierung hindert niemanden an seiner sportlichen Leistungsfähigkeit - die Homophobie schon!»
Neben den Fussballstars Lara Dickenmann und Ramona Bachmann sind auch die schnellste Schweizer Marathonläuferin Maja Neuenschwander, die Downhill-Mountainbikerin Emilie Siegenthaler oder die Bob-Pionierin Katharina Sutter vertreten.
Die Tatsache, dass sich Homosexuelle in den letzten 30 Jahren durch eigene Sportklubs eine Parallelstruktur aufgebaut haben, unterstreicht die Tatsache, dass sich viele in den «regulären» Vereins- und Verbandsstrukturen nicht aufgehoben gefühlt haben.
Es mag ja diplomatisch klingen, wenn sich Sportverbände zum Thema Homosexualität als «wertneutral» bezeichnen. Doch wenn Vielfalt und der Schutz der Menschenwürde auf dem Spiel stehen, geht es darum klare Kante zu zeigen und explizit Farbe zu bekennen.
Bibliografie:Vorbild und Vorurteil – Lesbische Spitzensportlerinnen erzählen, Corinne Rufli, Marianne Meier, Monika Hofmann, Seraina Degen und Jeannine Borer, 272 Seiten, Hier und Jetzt, ca. 39 Fr.
Coco – der Engel aus Bern, den die Welt nicht verstand
Coco – der Engel aus Bern, den die Welt nicht verstand
Performance-Künstlerin, selbstbekennende transsexuelle Anarchistin, Macho-Frau, seelisch Heimatlose, Model, Lieblings-Zielscheibe der Schweizer Boulevardpresse – Coco.
Bild: Olivier G. Fatton, «Coco», Edition Patrick Frey, 2019
Olivier G. Fatton begegnete Coco im November 1989 zum ersten Mal. Dieser «lichte und doch so schwermütige Engel» faszinierte den Fotografen vom ersten Moment an.
Bild: Olivier G. Fatton, «Coco», Edition Patrick Frey, 2019
Bei einem Kaffee in einem Berner Schwulenlokal schliessen sie einen fotografischen Vertrag: Coco posiert für ihn und dafür dokumentiert Fatton ihre Geschlechtsanpassung.
Bild: Olivier G. Fatton, «Coco», Edition Patrick Frey, 2019
Aus dem Pakt wurde eine Liebesbeziehung, in deren Verlauf Fatton zahlreiche Aufnahmen von Coco machte. Intime Porträts, ...
Bild: Olivier G. Fatton, «Coco», Edition Patrick Frey, 2019
... inszenierte Modefotografie, zuhause, unterwegs, in Clubs und in den Bergen zeigen die zahlreichen Facetten der schillernden Coco.
Bild: Olivier G. Fatton, «Coco», Edition Patrick Frey, 2019
Und immer wieder diese grossen, melancholischen Augen. Ihre Augen seien ihr zweiter Mund geworden, sagte Coco einmal.
Bild: Olivier G. Fatton, «Coco», Edition Patrick Frey, 2019
Und weil ihre tausendseitige Autobiographie von Dieben gestohlen wurde, erzählen uns diese Augen vom Leben einer Kameliendame des 20. Jahrhunderts – im Bildband «Coco», der dieser Tag erschienen ist.
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