Nach dem Scheitern einer RegierungsbildungKrise in Italien spitzt sich zu - Turbulenzen an Märkten
DPA
29.5.2018
Es sind äusserst beunruhigende Zeiten für Italien - und damit für ganz Europa. Die Finanzmärkte lassen sich von der Aussicht auf eine Übergangsregierung nicht beruhigen. Und der Staatspräsidenten gerät immer mehr unter Beschuss.
Nach dem Scheitern einer Regierungsbildung in Italien spitzt sich die Krise in dem angeschlagenen Land immer mehr zu. An den Anleihemärkten kam es wegen der Unsicherheit in der drittgrössten Volkswirtschaft der Eurozone am Dienstagmorgen zu Turbulenzen mit starken Kurseinbrüchen, die teils an die Verwerfungen der schweren Euro-Krise 2011/2012 erinnerten. Die Europäische Zentralbank (EZB) warnte vor einer Eskalation der Lage, die italienische Notenbank vor einer Vertrauenskrise.
Die geplante europakritische Koalition der Fünf-Sterne-Bewegung und der rechtspopulistischen Lega war am Sonntag geplatzt. Staatspräsident Sergio Mattarella hatte angesichts der Unruhe an den Märkten die Berufung des Euro-Kritikers Paolo Savona zum Finanzminister abgelehnt. Vor allem die hohen Mehrausgaben in dem hochverschuldeten Land, die im Koalitionsvertrag festgeschrieben waren, und die euroskeptische Haltung hatten international grosse Sorgen ausgelöst. Nun soll eine Übergangsregierung das Land zu einer Neuwahl führen, vermutlich schon nach dem Sommer.
Zudem zieht nun auch eine institutionelle Krise herauf. Die Sterne haben mit einem Amtsenthebungsverfahren gegen Staatschef Mattarella gedroht. Parteichef Luigi Di Maio kündigte an, er wolle sicherstellen, dass bei der nächsten Wahl «nicht derselbe Präsident» an der Macht sei, der eine «Regierung des Wandels» verhindern wolle. Den nächsten Präsidenten müssten die Bürger wählen, «nicht die Ratingagenturen, die Banken oder die Deutschen», so Di Maio.
Er rief für kommenden Samstag zu einer grossen Demonstration im Herzen Roms auf. Er will nach eigenen Worten damit ein Zeichen für die Demokratie setzen. Der 2. Juni ist der Tag der Republik, der Nationalfeiertag Italiens, der in der Hauptstadt mit einer grossen Militärparade gefeiert wird. Für Freitag riefen die Sozialdemokraten, die bei der Wahl am 4. März eine schwere Niederlage einstecken mussten, zu Demonstrationen in Rom und Mailand auf. Sie wollen damit die Institutionen und den Präsidenten verteidigen.
Mattarella hat dem parteilosen Finanzexperten Carlo Cottarelli den Regierungsauftrag gegeben. Es wird erwartet, dass der bald ein verschlanktes Kabinett vorschlägt. Anschliessend muss dieses vereidigt werden und sich im Parlament einer Vertrauensabstimmung stellen. Es ist wahrscheinlich, dass Cottarelli diese verliert, da die Lega und die Sterne dort die Mehrheit haben. Für diesen Fall hatte er angekündigt, das Land bis zu einer Neuwahl ab September zu führen.
Die Initiative des Präsidenten beruhigte die Märkte nicht. So sackte der Mailänder Leitindex FTSE MIB im frühen Handel um bis zu 2,18 Prozent ab. Bankaktien wie Ubi Banca, Unicredit oder Intesa Sanpaolo büssten bis zu 3,6 Prozent ein. Auch der Euro geriet unter Druck und fiel unter die Marke von 1,16 US-Dollar. Italienische Staatstitel mit einer Laufzeit von zehn Jahren warfen bis zu 2,9 Prozent Rendite ab. Das war der höchste Stand seit Mitte 2014. Zum Vergleich: Deutschland geniesst an den Finanzmärkten viel mehr Vertrauen - der Bund kann sich schon für 0,31 Prozent Geld über zehnjährige Bundesanleihen besorgen.
EZB-Vizepräsident Vitor Constâncio warnte Italien vor einer erneuten Staatsschuldenkrise. «Als 2012 Finanzmärkte das Land attackiert haben, hat das gezeigt: Sie können in ihrer Wahrnehmung sprunghaft sein und die Risikoeinschätzung für einen Schuldner abrupt und schnell ändern, manchmal mit gravierenden Folgen», sagte er dem Nachrichtenmagazin «Spiegel».
Der Gouverneur der italienischen Notenbank, Ignazio Visco, forderte die Politik in Rom auf, die Reformpolitik fortzusetzen. Die europäischen Vorgaben müssten akzeptiert werden. «Die Zukunft Italiens ist in Europa», sagte Visco. Für die aktuelle Entwicklung seien nicht die Vorgaben der EU oder Spekulanten, sondern die Italiener selbst verantwortlich. Mit Blick auf die Turbulenzen betonte er aber zugleich: «Es ist schlimm, was wir heute beobachten (...). Es gibt keine Rechtfertigung für das, was an den Märkten passiert.»
Lega-Chef Matteo Salvini sieht vor allem die Finanzbranche und die EU als «dunkle Mächte» hinter dem Scheitern der geplanten Koalition. Diese Rhetorik dürfte sich nun noch verschärfen. Es stehe ein «rücksichtsloser Kampf Establishment versus Anti-Establishment bevor, mit Italiens Staatschef als Verkörperung des Establishments und als angeblicher Handlanger der Deutschen», sagte Politanalyst Francesco Galietti.
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