Belarus Krise in Kasachstan spitzt sich zu – Russland greift ein

SDA

6.1.2022 - 17:01

Das Bild der russischen Staatsagentur Tass zeigt das brennende Bürgermeisteramt. In ganz Kasachstan kommt es zu Protesten gegen die steigenden Treibstoffpreise, Demonstranten drangen in das Büro des Bürgermeisters von Almaty ein und setzten es in Brand. Foto: Valery Sharifulin/TASS/dpa
Das Bild der russischen Staatsagentur Tass zeigt das brennende Bürgermeisteramt. In ganz Kasachstan kommt es zu Protesten gegen die steigenden Treibstoffpreise, Demonstranten drangen in das Büro des Bürgermeisters von Almaty ein und setzten es in Brand. Foto: Valery Sharifulin/TASS/dpa
Keystone

Am Anfang stand in Kasachstan der Unmut über gestiegene Gaspreise – doch der entpuppte sich schnell nur als Auslöser für beispiellose Proteste in dem autoritär geführten Land in Zentralasien.

In der Millionenstadt Almaty ging das Militär gegen Demonstranten vor, es gab Tote und Verletzte.

Präsident Kassym-Jomart Tokajew bat ein von Russland geführtes Militärbündnis um Hilfe. Kurz darauf machten sich bereits die ersten Soldaten auf den Weg. Es werden Erinnerungen wach – auch an die Niederschlagung der Proteste vor rund anderthalb Jahren in Belarus.

Der Auslöser: Gas-Proteste

Weil die Preise an den Tankstellen im öl- und gasreichen Kasachstan deutlich in die Höhe gingen, kam es am Wochenende zu teils gewalttätigen Protesten. Vor allem in der Wirtschaftsmetropole Almaty gab es Krawalle. Tokajew entliess die Regierung und versprach Reformen – es half nicht. Nun gilt im ganzen Land der Ausnahmezustand. In Almaty ging das Militär gegen Demonstranten vor. Offiziellen Angaben zufolge wurden mindestens 13 Sicherheitskräfte getötet. Befürchtet wird, dass es auch viele zivile Todesopfer gab. Insgesamt wurden in verschiedenen Städten mehr als 1000 Menschen verletzt.

Unmut richtet sich auch gegen Ex-Machthaber Nasarbajew

«Die Proteste stehen exemplarisch für eine Unzufriedenheit, die sich über die Jahre hinweg in der Bevölkerung angestaut hat», sagt Andrea Schmitz, Zentralasien-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Viele sind frustriert von Korruption und Machtmissbrauch. Der Unmut richtet sich auch gegen den autoritären Ex-Langzeit-Machthaber Nursultan Nasarbajew. Der heute 81-Jährige trat zwar 2019 zurück. Er galt aber weiterhin als mächtigster Mann im Staat. Die Hauptstadt Nur-Sultan ist nach ihm benannt.

In sozialen Netzwerken kursieren nun Fotos und Videos von einer gestürzten Nasarbajew-Statue. Unter dem Druck aus der Bevölkerung entzog Tokajew seinem Vorgänger jetzt den Posten als Chef des einflussreichen Sicherheitsrats. Der heutige Präsident wurde von Nasarbajew als Nachfolger aufgebaut. Schon nach seiner Wahl gab es grössere Proteste. Schmitz sagt: «Es war von Anfang an klar, dass Tokajew, ein politischer Zögling des Altpräsidenten, dessen Politik nahtlos fortsetzen würde.» Kritiker beklagen immer wieder Verstösse gegen demokratische Grundrechte im neuntgrössten Land der Welt mit seinen rund 18 Millionen Einwohnern.

Die derzeitigen Demonstrationen wirken ungelenkt. Einheitliche politische Forderungen gibt es nicht. In sozialen Netzwerken kursieren Videos von gestürmten Verwaltungsgebäuden, Geschäftsplünderungen und brennenden Autos. Es ist schwer, Informationen unabhängig zu überprüfen. Immer wieder funktioniert das Internet nicht, Kasachstan hat die Grenzen für Ausländer geschlossen.

Russland verlegt Truppen nach Kasachstan

Tokajew bat nun das von Russland geführte Militärbündnis Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit um Hilfe. Dazu gehören neben Russland und Kasachstan auch Armenien, Belarus, Kirgistan und Tadschikistan. Das Bündnis sagte umgehend Unterstützung zu. Moskau schickte auch schon erste Fallschirmjäger ins Nachbarland. Auch andere Staaten kündigten die Verlegung von Truppen an. Die Soldaten sollen zeitlich befristet vor allem wichtige staatliche und militärische Einrichtungen schützen.

Kommentatoren werten den Hilfseinsatz als historisch – und als Eingeständnis der Schwäche Tokajews. «Er hat die Verantwortung für ein gewaltsames Aufräumen im Land von seinen Soldaten genommen und sie an Russland übertragen», so der russische Politologe Alexej Naumow.

Erinnerungen an Belarus werden wach

Innerhalb von nicht einmal zwei Jahren steckt mit Kasachstan nun bereits zum wiederholten Mal eine autoritär geführte Ex-Sowjetrepublik in einer innenpolitischen Krise. In Belarus war der oft als «letzter Diktator Europas» kritisierte Alexander Lukaschenko 2020 monatelang brutal gegen friedliche Demonstranten vorgegangen, die ihm eine Fälschung auch der jüngsten Präsidentenwahl vorwerfen.

Die Protestbewegungen sind aus Sicht von SWP-Expertin Schmitz aber nur bedingt vergleichbar. Kontext und Dynamik seien verschieden. Gleich ist jedoch, dass beide Machthaber Hilfe beim grossen Nachbarn Russland suchen. Vermutlich würden die Ereignisse in Kasachstan das prorussische Lager stärken, schreibt die russische Tageszeitung «Moskowskaja Prawda».

Mahnungen aus dem Ausland

International sorgte der Einsatz russischer Soldaten in Kasachstan für Besorgnis. Tokajew begebe sich «als zweiter postsowjetischer Autokrat nach Lukaschenko in die komplette Abhängigkeit von Wladimir Putin», meinte die FDP-Bundestagsabgeordnete Renata Alt. Der CDU-Aussenpolitiker Norbert Röttgen sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: «Ein Eingreifen Russlands könnte die Situation weiter verschärfen.» Sowohl die Europäische Union als auch die USA riefen dazu auf, die Lage friedlich zu lösen.