Die Macht der Finanzmärkte Mehr als eine Männerfehde: Die wahren Ursachen der Türkei-Krise

dpa

21.8.2018

Ein Streit zwischen Trump und Erdogan ist scheinbar verantwortlich für die Lira-Krise. Doch es es geht um mehr als Politik-Zoff: Was wirklich hinter der Lira-Krise steckt.

Anscheinend ist es der Konflikt zwischen zwei machtbewussten Staatschefs um einen Pastor, der die Währungskrise in der Türkei verursacht hat. Doch die diplomatische Auseinandersetzung zwischen US-Präsident Donald Trump und dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan waren nur der Auslöser.

Hinter der Krise steckt eine Fehlentwicklung, von der die türkische Wirtschaft schon seit Jahren geprägt ist und um die Macht der internationalen Finanzmärkte. Die Lösung der Krise könnte zu einer internationalen Aufgabe werden. Das sind die wichtigsten Fakten im Überblick.

Der kurzfristige Auslöser

Scheinbar dreht sich alles um den US-Pastor Andrew Brunson, der in der Türkei unter Hausarrest steht und dem bis zu 35 Jahre Gefängnis drohen. Trump fordert die sofortige Freilassung, liess Sanktionen gegen zwei türkische Minister verhängen und bestehende Strafzölle auf Stahl- und Aluminium-Importe verdoppeln.

Zwei Männer, eine Krise? Hinter dem Währungsverfall der türkischen Lira steckt mehr, als der präsidiale Politik-Zoff zwischen Recep Tayyip Erdogan (links) und Donald Trump. (Archiv)
Zwei Männer, eine Krise? Hinter dem Währungsverfall der türkischen Lira steckt mehr, als der präsidiale Politik-Zoff zwischen Recep Tayyip Erdogan (links) und Donald Trump. (Archiv)
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Die Fronten sind verhärtet. Zuletzt entschied ein türkisches Gericht abermals gegen Brunsons Freilassung. Die Türkei verhalte sich «nicht wie ein Freund», sagte Trump - und droht mit weiteren Sanktionen.

Der US-Pastor Andrew Brunson bleibt nach einem Gerichtsurteil in der Türkei im Hausarrest. (Archivbild)
Der US-Pastor Andrew Brunson bleibt nach einem Gerichtsurteil in der Türkei im Hausarrest. (Archivbild)
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Die wahren Ursachen

Dass die türkische Wirtschaft aber derart empfindlich auf den Streit mit den USA reagiert, hat tieferliegende Gründe. Im Zuge der jüngsten Finanzkrise hatten führende Notenbanken ihre Zinsen auf Rekordtiefs gesenkt, um die heimische Wirtschaft mit billigen Krediten zu versorgen. Das hat viele Investoren in Schwellenländer gelockt, wo die Zinsen höher waren.

Doch inzwischen hat sich der Wind gedreht: Die US-Notenbank Fed hebt ihre Zinsen wieder an und die Europäische Zentralbank (EZB) dürfte in absehbarer Zeit folgen. Viele Investoren ziehen ihr Geld daher wieder aus Schwellenländern ab. So steht nicht nur in der Türkei die Währung unter Druck, sondern - in geringerem Ausmass - auch etwa in Argentinien, Südafrika und Indien.

Jahrelange Fehlentwicklungen in der Türkei

Der Absturz der Lira ist ausserdem ein besonders drastischer Ausdruck jahrelang aufgebauter Fehlentwicklungen in der Türkei. Schon seit mehr als einem Jahrzehnt importiert die Türkei viel mehr Waren und Dienstleistungen aus dem Ausland als sie exportiert. Das wird auf Pump aus dem Ausland finanziert.

Die US-Ratingagentur Fitch schätzt den Finanzierungsbedarf der Türkei allein für dieses Jahr auf 229 Milliarden Dollar. Vor allem die türkischen Unternehmen sind hoch verschuldet; und das zum grossen Teil in Fremdwährungen wie Euro oder Dollar. Das macht es den Firmen in der Lira-Krise noch schwerer, ihre Schulden zu begleichen.

Die Krisenbekämpfung

Die Türkei versucht nun, den Brand zu löschen. Der Industrieminister stellt einen 16-Punkte-Plan zur Unterstützung kleinerer Betriebe vor, der Finanzminister beruhigt Investoren und der Staatschef konsultiert seine Amtskollegen aus Deutschland und Frankreich.

Jedoch sind sich die meisten Ökonomen einig, dass vor allem eine Zinsanhebung notwendig wäre, um die Lage in den Griff zu bekommen. Doch Erdogan ist dagegen. Die türkische Notenbank erhöhte zwar indirekt den Zins, indem sie Banken auf einen höheren Leitzins verwies. Laut Fitch kann aber nur eine offizielle Leitzinsanhebung wieder mehr Geld ins Land locken.

Der ungeliebte IWF

Als möglicher Helfer wird der Internationale Währungsfonds (IWF) ins Spiel gebracht. «Wenn das Land Notkredite braucht - und darauf deutet vieles hin -, bleibt Erdogan keine andere Wahl, als den IWF um Hilfe zu bitten», sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, der «Passauer Neuen Presse».

Allerdings dürften sich die USA dagegen stemmen, und Erdogan lehnt IWF-Hilfen bislang ab. Denn die Programme des Fonds sind mit harten Auflagen wie Sparmassnahmen verbunden, die auch unter Ökonomen umstritten sind. So bleibt der Türkei bislang lediglich eine 15 Milliarden Dollar schwere Investitionshilfe aus Katar - ein Tropfen auf den heissen Stein.

Die Rolle der Fed

Wenn sich in den kommenden Tagen führende Notenbanker der Welt zu ihrem alljährlichen Branchentreffen im US-Örtchen Jackson Hole zusammenfinden, dürften die Schwellenländer eines der grossen Gesprächsthemen sein. Eine Korrektur am Zinserhöhungskurs der Fed mit Rücksicht auf die Türkei wird es aber laut Ulrich Leuchtmann, Experte bei der Commerzbank, nicht geben.

«Die Fed hat ein nationales Mandat und ist nicht bekannt dafür, sich als Entwicklungshelfer für schwächelnde Schwellenländer zu verstehen.» Dies gelte zumindest, solange es nicht zu einer breit angelegten Schwellenländerkrise komme, die das US-Finanzsystem belasten würde. Oder anders formuliert: Allen globalen Abhängigkeiten zum Trotz - es herrscht das Eigeninteresse.

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