Brennpunkt Bosnien Menge von Flüchtlingen auf neuer Balkanroute schwillt an

Rusmir Smajlhodzic, AFP

7.6.2018

Bosnien-Herzegowina ist zu einem wichtigen Transitland für Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa geworden. Die Zahl der Flüchtlinge steigt derzeit stetig an. In Bosnien ist schon von einer neuen Balkanroute die Rede.

"Das zehrt an den Kräften. Wir tun unser Möglichstes, aber wir stossen an unsere Grenzen." Jeden Tag nimmt Selam Midzic vom bosnischen Roten Kreuz etwa 100 Flüchtlinge in Empfang, die in Bihac im Nordwesten von Bosnien-Herzegowina aus Bussen aus der Hauptstadt Sarajevo steigen.

Nach Angaben von Peter Van Der Auweraert von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) halten sich derzeit rund 2500 Flüchtlinge in Bosnien auf. Seit Jahresbeginn wurden nach offiziellen Angaben mehr als 5500 Flüchtlinge erfasst, die über Serbien oder Montenegro ins Land kamen. Mitte Mai verzeichneten die Behörden nach Angaben von Sicherheitsminister Dragan Mektic bereits zwischen 80 und 150 Neuankömmlinge pro Tag.

Vor allem junge Männer versuchen, über die bosnische Grenze ins EU-Land Kroatien zu gelangen. Dabei müssen sie an der kroatischen Polizei vorbei, die die Grenze zu Serbien schon weitgehend abgeriegelt hat, und der Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen massive Rechtsverletzungen gegenüber Flüchtlingen vorwerfen.

Iraner und Nordafrikaner

Kroatien liegt auf der sogenannten Balkanroute, über die 2015 hunderttausende Flüchtlinge in die EU gelangt waren. Bosnien lag bisher abseits dieser Route, die seit März 2016 de facto geschlossen ist.

Vor allem Iraner und Nordafrikaner seien in den vergangenen Wochen nach Bosnien gekommen, sagt Van Der Auweraert. Flüchtlinge, die seit Monaten in Serbien festsitzen, seien irgendwann bereit, ein grösseres Risiko einzugehen und neue, schwierigere Wege auszuprobieren.

In Bihac haben Flüchtlinge ein leerstehendes Studentenwohnheim besetzt. Seit einem Monat geben Freiwillige dort jeden Tag eine kostenlose Mahlzeit aus. Vor zwei Wochen haben sie noch 200 Essen gekocht, inzwischen sind es schon 550.

Neben einigen Familien hausen vor allem junge Männer in dem Gebäude ohne Strom und fliessendes Wasser. "Ich werde heute Abend versuchen, über die Grenze zu kommen", sagt Nawab, ein 26 Jahre alter Pakistaner. "Ich gehe zuerst nach Italien. Von da aus gehe ich dann zu meinem Onkel in Spanien, in Barcelona."

Vorwürfe an kroatische Polizei

Hamid, ein anderer Pakistaner, hat schon dreimal versucht, die Grenze zu überqueren. Der 27-Jährige bestätigt die Vorwürfe der Menschenrechtsorganisationen gegen die kroatische Polizei: "Sie nehmen unser Geld und unsere Handys, oder werfen sie ins Wasser, damit sie nicht mehr funktionieren."

In Sarajevo, wo Flüchtlinge wochenlang in Zelten in einem Park im Stadtzentrum campierten, werden die Menschen von Anwohnern und Ehrenamtlichen versorgt. Der Staat stelle nichts bereit, "kein Essen, keine Medikamente, absolut nichts", sagte die Helferin Denisa Steffen.

"Die humanitäre Situation wird schlechter", meint auch Van Der Auweraert. Bosnien müsse dringend offizielle Unterkünfte für die Flüchtlinge schaffen. Ein Auffanglager gibt es bereits in Mostar im Süden Bosniens - es liegt aber weitab der Flüchtlingsroute. Zwei weitere Lager sind in Planung: eins in Sarajevo, das andere im Nordwesten.

Sicherheitsminister Mektic warf den Nachbarländern Bosniens am Mittwoch vor, nicht genug gegen illegale Einreisen zu tun. Er sei sich nicht sicher, ob sich alle betroffenen Länder "ehrlich, korrekt und professionell" verhielten, sagte Mektic vor einem Treffen von Innenministern der Balkan-Staaten am Donnerstag in Sarajevo.

Von Bosnien aus versuchen die Flüchtlinge, durch das bergige Grenzgebiet und den Grenzfluss Korana nach Kroatien zu gelangen. Die Grenze ist schwer zu überwachen - und gefährlich. Immer wieder ertrinken Flüchtlinge.

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