Visionären Bauern sei Dank So will Europa unabhängig von Russlands Gas werden

Von John Leicester und Frank Jordans, AP

7.5.2022 - 19:45

Noch ist Europa von russischem Gas abhängig. Das könnte sich bald ändern. (Symbolbild)
Noch ist Europa von russischem Gas abhängig. Das könnte sich bald ändern. (Symbolbild)
Bild: Keystone/dpa/Patrick Pleul

Um sich von russischer Energie loszusagen, setzt Europa unter anderem auf Biogas. Wie visionäre Bauern in Frankreich mit Begeisterung ihre neue Anlage in Betrieb nehmen.

7.5.2022 - 19:45

Auf ihren saftigen Äckern südwestlich von Paris unterstützen französische Bauern das Bemühen Europas, sich von russischem Gas frei zu machen. Sie nehmen in Kürze eine neue Biogas-Anlage in Betrieb, in der sie Pflanzen und landwirtschaftliche Abfälle fermentieren wollen. Biomethan ist eine der Energieformen, auf die Europa setzt, um künftig nicht mehr über Milliardenzahlungen für fossile Brennstoffe aus Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine mitzufinanzieren.

Allerdings können kleine ländliche Gaswerke nur Energie für einige Hundert oder Tausend umliegende Häuser liefern. Die riesigen Gaslieferungen aus Russland, die ganze Volkswirtschaften versorgen, werden sie daher zumindest kurzfristig nicht ersetzen können.

Kritiker fordern zudem, dass Bauern sich auf den Anbau von Lebensmitteln konzentrieren sollten, anstatt Pflanzen für die Biogas-Herstellung zu verwenden. Das gilt aus ihrer Sicht vor allem angesichts der steigenden Preise infolge des Kriegs in der Ukraine als einer der Kornkammern der Welt.

Biogas könnte ein Fünftel der Gasimporte ersetzen

Dennoch ist Biogas ein Teil des Puzzles, mit dem Europa seine Energieabhängigkeit verringern will. Nach Angaben des Europäischen Biogasverbands könnte die EU die Herstellung von Biomethan, das in Erdgasnetzwerke eingespeist wird, rasch hochfahren. Eine Investition in Höhe von 83 Milliarden Euro würde demnach zu einer zehnfachen Steigerung der Produktion bis zum Jahr 2030 führen.

Sie könnte nach Angaben des Verbands etwa ein Fünftel der Importe aus Russland im vergangenen Jahr ersetzen. Die notwendige Investition wäre zu aktuellen Marktpreisen geringer als die jährlichen Zahlungen der 27 EU-Mitgliedsstaaten für russisches Erdgas aus Pipelines.

Christophe Robin ist einer der Investoren, die für grüne Energie als Alternative zu russischem Gas kämpfen.
Christophe Robin ist einer der Investoren, die für grüne Energie als Alternative zu russischem Gas kämpfen.
Bild: AP Photo/Thibault Camus

Die Bauern in der französischen Ortschaft Sonchamp hoffen, mit ihrem neuen Gaskraftwerk einen Beitrag zur Loslösung Europas vom Kreml leisten zu können. «Es ist nicht stimmig, diesen Leuten Gas abzukaufen, die Krieg gegen unsere Freunde führen», sagt einer der sechs Investoren, Christophe Robin, der Weizen, Raps und Zuckerrüben anbaut und Hühner züchtet. «Wenn wir grüne Energie nutzen und russisches Gas meiden wollen, haben wir keine echte Wahl. Wir müssen alternative Lösungen finden.»

Biomethan-Produktion boomt

Mit dem Gas aus dem Werk könnten 2000 Haushalte versorgt werden. Es wird zu Biomethan aufbereitet und in eine Pipeline in die nahe gelegene Stadt Rambouillet eingeleitet, wo das Krankenhaus, ein Schwimmbad und Häuser beheizt werden. «Es ist cool», sagt Robin. «Die Kinder werden von lokalem Gas profitieren.»

Wie im übrigen Europa hat die Biomethan-Produktion in Frankreich noch einen kleinen Umfang. Sie boomt aber. Fast drei neue Anlagen gehen jede Woche im Durchschnitt ans Netz. Ihre Zahl stieg von nur 44 Ende 2017 auf 365 im vergangenen Jahr. Das Produktionsvolumen für das nationale Netzwerk verdoppelte sich im Vergleich zum Vorjahr nahezu und reichte für 362'000 Häuser aus.

Die französische Regierung hat seit Kriegsbeginn am 24. Februar verschiedene Massnahmen ergriffen, um die Biomethan-Entwicklung zu beschleunigen. Nach Angaben der Industrie deckte die Energieform 2021 fast ein Prozent des landesweiten Bedarfs. In diesem Jahr soll der Anteil auf mindestens zwei Prozent steigen und bis 2030 auf 20 Prozent. Das würde die Gasmenge übersteigen, die Frankreich im vergangenen Jahr aus Russland importiert hatte.

Auf üppigen Feldern südwestlich von Paris beteiligen sich Landwirte an Europas Kampf, sich von russischem Gas zu befreien.
Auf üppigen Feldern südwestlich von Paris beteiligen sich Landwirte an Europas Kampf, sich von russischem Gas zu befreien.
Bild: Thibault Camus/AP/dpa

«Wir werden keine Milliardäre»

Die Bauern aus Sonchamp stützten sich nach Angaben von Robin auf Kredite in Höhe von fünf Millionen Euro und staatliche Subventionen von einer Million Euro, um ihre Anlage zu bauen. Sie unterzeichneten einen 15-Jahres-Vertrag mit dem Energieversorger Engie, der einen Festpreis für ihr Gas vorsieht. Das schränkt zwar ihre Möglichkeit ein, von den aktuellen hohen Gaspreisen zu profitieren, sichert ihnen aber ein stabiles Einkommen. «Wir werden keine Milliardäre», sagt Robin.

Derzeit werden die letzten Bauarbeiten abgeschlossen, und das Werk ist fast betriebsbereit. Berge von Abfällen aus der Landwirtschaft – darunter Weizenspelzen, eingestampfte Zuckerrüben, Zwiebelschalen und sogar Hühnerkot – liegen zur Fermentierung in den riesigen, blasenförmigen Tanks parat.

Speziell für die Gasproduktion angepflanzte Wintergerste wird etwa 80 Prozent der 30 Tonnen organischen Materials ausmachen, die täglich hier verarbeitet werden sollen. Anders als von Kritikern befürchtet gehe der Anbau der Gerste nicht auf Kosten der Produktion anderer Nahrungsmittel, betont Robin.

«Es ist ein tolles Abenteuer»

In Deutschland als grösstem Biogas-Produzenten in Europa will die Regierung erreichen, dass weniger Pflanzen als bisher für die Energieversorgung angebaut werden. Der erlaubte Anteil soll bis 2030 von 40 Prozent auf 30 Prozent gesenkt werden. Betreiber sollen durch finanzielle Anreize dazu bewegt werden, Abfallprodukte wie Gülle und Stroh zu verwenden. Insgesamt verfügt die Bundesrepublik über schätzungsweise 9500 oft kleinere Biogas-Werke, die ländliche Ortschaften mit Heizwärme und Strom versorgen.

Die Bauern in Sonchamp indes freuen sich über einen weiteren Vorteil ihrer neuen Anlage: Aus den Fermentern werden sie schliesslich auch stickstoff- und kaliumreiche Abfälle bekommen, die sie anstelle von Industriedünger für ihre Felder verwenden können. «Es ist eine Kreislaufwirtschaft, und sie ist grün», sagt Robin. «Das gefällt mir. Es ist ein tolles Abenteuer.»

Von John Leicester und Frank Jordans, AP