Machtkampf in Grossbritannien Mögliche Johnson-Nachfolger bringen sich in Stellung

AP/tpfi

9.7.2022

Das Rennen um die Nachfolge des britischem Premierministers Boris Johnson ist eröffnet. (Archiv)
Das Rennen um die Nachfolge des britischem Premierministers Boris Johnson ist eröffnet. (Archiv)
Bild: Justin Tallis/PA Wire/dpa

Dass er vorerst britischer Premier bleiben will, bis die Nachfolge an der Parteispitze der Konservativen geregelt ist, sehen viele mit Argwohn. Während Einzelne das Vorgehen verteidigen, bringt die Opposition ein Misstrauensvotum ins Spiel.

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In Grossbritannien beginnt sich das Kandidatenfeld für die Nachfolge von Boris Johnson als Parteichef der Konservativen abzuzeichnen. Der britische Premierminister hatte am Donnerstag unter grossem Druck und nach einem von Skandalen befeuerten Exodus von Mitgliedern seiner Regierung seinen Rückzug eingeleitet. Er trat als Parteichef zurück, erklärte aber, er wolle zunächst Regierungschef bleiben, bis ein neuer Vorsitzender der Konservativen gewählt sei. Nach zahlreichen Rücktritten aus Protest gegen seine Amtsführung bildete er sein Kabinett um.

Als erste warf die Generalstaatsanwältin Suella Braverman bereits vor dem Rücktritt des Premiers ihren Hut für die Johnson-Nachfolge an der Parteispitze in den Ring. Ihr folgte der Vorsitzende im Aussenpolitischen Ausschuss des Unterhauses, Tom Tugendhat. Am Freitag erklärte dann auch Ex-Finanzminister Rishi Sunak seine Kandidatur. Sein Rücktritt sowie der Rücktritt des früheren Gesundheitsministers Sajid Javid am Dienstag hatten den Sturz Johnsons befördert. Javid galt ebenfalls als wahrscheinlicher Kandidat, ausserdem Aussenministerin Liz Truss, Verteidigungsminister Ben Wallace und Verkehrsminister Grant Shapps.

Nachfolger bis Sommerende gesucht

Sunak startete seine Kampagne mit einem Video, in dem er sich als seriösen Politiker darstellte, der «diesen Moment ergreifen und die richtigen Entscheidungen treffen» könne.

Am Montag sollte ein Zeitplan für das Nachfolgerennen festgelegt werden, mit dem Ziel, dass bis Ende des Sommers ein Sieger feststeht. Der zweistufige Prozess sieht vor, dass die Tory-Abgeordneten das Feld via Abstimmung auf zwei Kandidaten eingrenzen, über die die Parteimitglieder dann landesweit abstimmen können.

Kandidaten rühren die Trommel

Ein Regierungssprecher dementierte unterdessen einen Bericht des «Mirror», wonach Johnson vor allem wegen der geplanten Party auf dem Gelände des grosszügigen Herrenhauses in der Grafschaft Buckinghamshire noch im Amt bleiben wollte. Der Premier habe ein starkes Pflichtgefühl und werde den Dienst an seinem Land fortsetzten, bis ein neuer Regierungschef gefunden sei, sagte der Sprecher. Das Blatt zitierte jedoch auch Tory-Insider, die das Vorhaben als «krass» bezeichneten und einen unverzüglichen Amtsverzicht Johnsons forderten.

Am Freitagabend berichteten dann mehrere britische Medien unter Berufung auf Regierungskreise, die Party-Pläne seien geändert worden. Das Fest solle nun an einem anderen Ort stattfinden.

Unterdessen nahm das Rennen um die Nachfolge Johnsons Fahrt auf. Bis Freitagabend hatten Ex-Finanzminister Rishi Sunak, Chefjustiziarin Suella Braverman und Tom Tugendhat, der Chef des Auswärtigen Ausschusses im Parlament, ihre Kandidatur erklärt. Weitere dürften hinzukommen. In den Umfragen führt Verteidigungsminister Ben Wallace. Er wolle aber zuvor seine Familie konsultieren, war zu hören. Es wurde erwartet, dass unter anderem auch Aussenministerin Liz Truss und Handelsministerin Penny Mordaunt ihre Kandidatur erklären dürften.

Johnson klammert sich an das Amt des Regierungschefs

Wenngleich die Kandidaten ihre Kampagnen beginnen, bleibt Johnson an der Spitze einer Übergangsregierung vorerst im Amt, die sich aus rarer werdenden Loyalisten und Ministern zusammensetzt, die sich bereiterklärt haben, weiterzumachen, um die Regierung am Laufen zu halten. Diese Entscheidung kam bei einigen der Konservativen nicht gut an. Sie befürchten, dass Johnson die Autorität fehlt, um weiter zu regieren, oder dass er sogar in vorrangig geschäftsführender Funktion weiteren Schaden anrichten könnte.

James Cleverly, der nach dem Rücktritt seiner Vorgängerin Michelle Donelan nach weniger als 48 Stunden im Amt am Donnerstag zum Bildungsminister ernannt wurde, verteidigte Johnsons Entscheidung, zu bleiben. «Es ist richtig, dass er zurückgetreten ist, und es ist richtig, dass er ein Team zusammengestellt hat, das weiter regiert, während das Auswahlverfahren für seinen Nachfolger läuft», sagte Cleverly dem Sender Sky News. «Und wir sollten das, denke ich, ziemlich schnell, ziemlich prompt tun.»

Die oppositionelle Labour-Partei nannte Johnsons vorläufigen Amtsverbleib als Premier inakzeptabel und sprach sich dafür aus, ein Misstrauensvotum im Unterhaus in der kommenden Woche anzustrengen. Die Erfolgsaussichten waren jedoch unklar.