Utrecht
Tötet ein Vater seine Frau, verlieren die Kinder oft beide Eltern. Wie schlimm das für sie ist, werde noch unterschätzt, sagen Experten. Vielfach wäre mehr psychologische und soziale Unterstützung nötig.
Kinder eines vom Partner getöteten Elternteils haben mit weit mehr psychischen Problemen zu kämpfen als bisher vielfach angenommen. Zu diesem Schluss kommen Forscher in einer Studie in den Niederlanden, bei der solche Familiendramen zwischen 2003 und 2012 analysiert wurden. Viele der hinterbliebenen Kinder hatten demnach vor der Tat selbst Gewalt erfahren, ein grosser Teil erlebte die Tat direkt mit.
Für die zehn Jahre Studienzeitraum wurden 137 Fälle erfasst, in denen in Familien in den Niederlanden ein Elternteil durch den jeweiligen Partner getötet wurde. 256 Kinder blieben traumatisiert zurück, meist leiden sie unter starken Entwicklungsstörungen und psychischen Belastungen, wie die Forscher um Eva Alisic vom University Medical Centre Utrecht im Fachmagazin "PLOS ONE" berichten. Dennoch seien solche Extremfälle bisher kaum wissenschaftlich untersucht.
Rekonstruktion der Lebensumstände
Da es keine offizielle Erfassung gibt, suchten die Forscher die Fälle aus verschiedenen Quellen zusammen. Sie bezogen Daten der Sozialbehörden, der Justiz und Zeitungsartikel ein und rekonstruierten so die Lebensumstände vor der Tat.
Der Auswertung zufolge verloren die meisten Kinder (87 Prozent) durch den Mord ihre Mutter. Täter war vorwiegend das andere leibliche Elternteil, in einigen Fällen auch der Lebenspartner des Opfers. Über die Hälfte der betroffenen Kinder stammte aus eingewanderten Familien. Im Mittel waren die Kinder zum Tatzeitpunkt knapp siebeneinhalb Jahre alt. Zehn Prozent der Täter töteten sich innerhalb von 24 Stunden nach der Tat selbst.
Von etwa zwei Dritteln der betroffenen Kinder konnten die Forscher in Erfahrung bringen, wie sie vor der Tat lebten. Fast 70 Prozent waren demnach vor der Tat selbst Opfer von Gewalt in der Familie. Bei weiteren 16 Prozent halten die Wissenschaftler dies für wahrscheinlich.
Zu wenig Unterstützung
Von den Kindern, die sicher Gewalt erfuhren, bekamen 43 Prozent weder psychologische noch soziale Unterstützung. Die Wissenschaftler untersuchten auch, inwieweit die Kinder der Tat direkt ausgesetzt waren. Fast sechzig Prozent der Kinder hielten sich während der Tat am gleichen Ort auf wie die Eltern. Von ihnen sahen 36 Prozent die Attacke oder fanden die Leiche.
Die Erkenntnisse müssten künftig bei der Betreuung hinterbliebener Kinder berücksichtigt werden, erklären die Forscher. Es solle erfasst werden, inwiefern die Kinder selbst Gewalt erlitten und ob sie die Tat direkt mitbekamen. Oft gingen Verwandte davon aus, das Kind sei zu klein gewesen, um sich zu erinnern oder habe geschlafen. Auch diese Annahmen sollten den Forschern zufolge hinterfragt werden.
Zu beachten sei auch, dass jüngere Kinder ein unzureichendes Verständnis vom Tod haben. Grundsätzlich sollten die Umstände und Folgen von derartigen Familiendramen konsequenter untersucht und im Ländervergleich analysiert werden.
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