Sexuelle BelästigungCuomo tritt zurück, weil «die Grenze neu gezogen worden ist»
Von Christina Horsten, dpa
11.8.2021 - 11:53
Nach zehn Jahren tritt Andrew Cuomo als New Yorks Gouverneur ab – mit einem eher halbherzigen Schuldeingeständnis. Sein Amt übernimmt mit Kathy Hochul nun erstmals in der Geschichte des Bundesstaates eine Frau.
DPA, Von Christina Horsten, dpa
11.08.2021, 11:53
11.08.2021, 12:07
dpa/phi
«Meiner Meinung nach habe ich niemals bei irgendjemandem eine Grenze überschritten – aber mir war nicht bewusst, in welchem Ausmass die Grenze neu gezogen worden ist.»
Die Kehrtwende im Fall Andrew Cuomo kam mitten in seiner Rede, aus der obiges Zitat stammt, und letztlich überraschend. «Ich liebe New York und ich liebe euch», sagte Cuomo – und verkündete seinen Rücktritt von dem Amt, das er als «Ehre seines Lebens» bezeichnete.
Erst hatte New Yorks Gouverneur seine Anwältin Rita Glavin erneut eine Dreiviertelstunde lang die Vorwürfe sexueller Belästigung gegen ihn öffentlich auseinander nehmen lassen, dann wehrte er sich selbst noch einmal eine halbe Stunde lang dagegen – um dann in derselben Videoansprache doch noch klein beizugeben.
Eine Woche lang hatte sich der 63-Jährige gewehrt, nachdem eine offizielle Untersuchung ihn der sexuellen Belästigung mehrerer Frauen für schuldig befunden hatte.
Der Gouverneur stand mit dem Rücken zur Wand: Immer mehr Verbündete entzogen ihm öffentlich das Vertrauen oder traten aus seinen Diensten zurück, ein Amtsenthebungsverfahren nahm Fahrt auf und von gleich mehreren Seiten drohen strafrechtliche Konsequenzen.
Trotzdem wies der Demokrat, der sich selbst als «Kämpfer» bezeichnet, die Vorwürfe bis zuletzt zurück und suchte nach strategischen Auswegen und politischen Deals – aber der Druck wurde schliesslich zu gross.
Mit dem Rückzug Cuomos geht in dem Bundesstaat nun eine Ära zu Ende – und es folgt eine Premiere: In rund zwei Wochen wird mit der bisherigen Stellvertreterin Kathy Hochul zumindest übergangsweise erstmals eine Frau als Gouverneurin von New York amtieren. Es wird erwartet, dass die Juristin und zweifache Mutter die noch verbliebene Amtszeit Cuomos bis zum kommenden Jahr komplett übernimmt.
Wahlen in gut einem Jahr
Im November 2022 stehen die nächsten Gouverneurswahlen an, und schon wird diskutiert, ob Hochul antreten wird. Zahlreiche weitere Demokraten haben ebenfalls bereits Interesse signalisiert. Von republikanischer Seite hat unter anderem der Sohn von Trump-Anwalt Rudy Giuliani, Andrew Giuliani, bereits seine Kandidatur erklärt.
Nun aber ist zunächst Hochul dran. «Ich bin bereit, den Bundesstaat New York als 57. Gouverneurin anzuführen», stellte die 62-Jährige, die schon seit Jahrzehnten verschiedene politische Ämter innehat, klar – und kündigte gleich eine erste Pressekonferenz für diese Woche an
Vertreter*innen der #MeToo-Bewegung gegen sexuelle Belästigung, die Cuomo einst öffentlich gepriesen hatte, hatten lauthals seinen Rücktritt gefordert – und feiern nun seinen Rückzug als Sieg ihrer Bewegung. «Er ist weg», kommentierte Mitgründerin Tarana Burke bei Twitter. Das sei auch Beleg dafür, dass Frauen endlich mehr Gehör geschenkt werde.
Parteifreunde erleichtert
Das erklärte Ziel Cuomos, seinen Vater Mario zu übertreffen, der zwischen 1983 und 1994 drei Amtszeiten lang Gouverneur von New York war, hat der seit zehn Jahren amtierende Gouverneur damit verfehlt. Politiker*innen beider Parteien begrüssten den Rückzug des Gouverneurs, Parteifreunde zeigten sich überrascht und erleichtert.
US-Präsident Joe Biden erinnerte auch daran, dass der Gouverneur bei vielen Sachthemen seiner Einschätzung nach sehr gute Arbeit geleistet habe. Vielen Menschen wird wohl vor allem Cuomos hemdsärmelige Organisation des Kampfs gegen die Coronavirus-Pandemie samt Emmy-gekrönter Pressekonferenzen im Gedächtnis bleiben.
Die New Yorker fügen dem die Durchsetzung von gleichgeschlechtlicher Ehe und Mindestlohn sowie einige schlagzeilenträchtige Infrastruktur-Projekte hinzu – wie die neue Tappan-Zee-Brücke über den Hudson River, die Moynihan-Zugabfertigungshalle an der Penn Station in Manhattan oder die noch andauernde Renovierung des Flughafens La Guardia.
Cuomos Zukunft ungewiss
Cuomo wurde von vielen respektiert, aber so richtig geliebt wurde er von seiner Stadt nie – auch weil er sich oft stur, arrogant, streitlustig und machtbesessen zeigte. Seine Zukunft scheint nun völlig ungewiss. Das Amt des Gouverneurs von New York hatte er immer als höchstes Ziel gepriesen.
Nun muss der geschiedene Vater dreier erwachsener Töchter – laut Twitter-Selbstbeschreibung «Vater, Angler, Motorrad-Fan» – aus der Gouverneurs-Villa in Albany, der Hauptstadt des Bundesstaates New York, ausziehen. Die strafrechtliche Verfolgung der Vorwürfe gegen ihn läuft weiter, mehrere Stimmen fordern zudem, dass auch das Amtsenthebungsverfahren trotz des Rücktritts durchgezogen werden solle.
Cuomo ist bereits der neunte Gouverneur in der Geschichte des Bundesstaats, der zurücktritt – und der dritte, der dies unter Anschuldigungen von Fehlverhalten tut. Zuletzt war 2008 Eliot Spitzer nach einer Prostituierten-Affäre als Gouverneur von New York zurückgetreten.