Wahl-Eklat in Thüringen «Schlechter Tag für die Demokratie» – Bundeskanzlerin Merkel kritisiert Wahl scharf

dpa/SDA/tafu

6.2.2020

Die Wahl im deutschen Bundesland Thüringen sorgt für ein politisches Beben. Während Ex-Ministerpräsident Ramelow mit einem Hitler-Zitat kommentiert, meldet sich nun auch Kanzlerin Merkel – mit deutlichen Worten.

Selten sind in Deutschland Menschen auf die Strassen gegangen, um gegen die Wahl eines Ministerpräsidenten zu protestieren. Am Mittwochabend aber taten sie es doch: Nur wenige Stunden, nachdem der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Stimmen von CDU und AfD zum neuen Regierungschef des Bundeslands Thüringen gewählt wurde, machten deutschlandweit mehrere tausend Menschen ihrem Ärger Luft.

Vor der Thüringer Staatskanzlei versammelten sich rund tausend Menschen und bildeten eine Menschenkette. Einige skandierten: «Wer hat uns verraten? Freie Demokraten!» und «Nicht mein Ministerpräsident!» Vor dem Eingang des Gebäudes brannten Kerzen, Demonstranten hielten ein Transparent «FDP und CDU: Steigbügelhalter des Faschismus».

Vor allem CDU und FDP geraten durch diese Wahl unter Druck – und mit der CDU auch die Grosse Koalition im Bund.

Demonstranten protestieren in Berlin vor der Bundesgeschäftsstelle der FDP gegen das Verhalten bei der Wahl zum Ministerpräsidenten des Bundeslandes Thüringen.
Demonstranten protestieren in Berlin vor der Bundesgeschäftsstelle der FDP gegen das Verhalten bei der Wahl zum Ministerpräsidenten des Bundeslandes Thüringen.
Bild: Keystone

Was war geschehen?

Die Wahl von Kemmerich war völlig überraschend gekommen. Sie kam nur dank Stimmen von Liberalen, CDU und der rechtsextremen AfD zustande – und genau an deren Unterstützung entzündet sich nun die Empörung. Es war das erste Mal überhaupt, dass die AfD einem Ministerpräsidenten ins Amt verhalf. Das rief bei SPD, Grünen, Linken, aber auch bei CDU und CSU massive Empörung hervor.

Dass Kemmerich den bisherigen Regierungschef Bodo Ramelow von den Linken aus dem Amt verdrängte, verglichen deutsche Medien mit einem «Erdbeben». Denn Kemmerich hatte im Herbst nur denkbar knapp überhaupt den Sprung in den Landtag geschafft. Nun will er eine Minderheitsregierung mit CDU, SPD und Grünen bilden. SPD und Grüne haben aber bereits abgesagt.

Wie fallen die Reaktionen aus?

Linken-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow zeigte bereits direkt im Anschluss an die Wahl sehr deutlich, was sie von dem neuen Ministerpräsidenten Thüringens hält. Statt Kemmerich die Hand zu schütteln und zu beglückwünschen, wirft sie ihm den Blumenstrauss, von dem sie dachte, sie würde ihn an diesem Tag Bodo Ramelow überreichen, vor die Füsse. Das, was im Erfurter Landtag passiert sei, sei «von langer Hand geplant» gewesen, so Hennig-Wellsow.

Statt in den Händen von Thomas Kemmerich landet der Blumenstrauss von Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow vor den Füssen des neugewählten Ministerpräsidenten.
Statt in den Händen von Thomas Kemmerich landet der Blumenstrauss von Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow vor den Füssen des neugewählten Ministerpräsidenten.
Bild: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Die Linken trifft diese Wahl am härtesten: Sie verlieren mit der Abwahl von Bodo Ramelow ihren ersten Ministerpräsidenten. Entsprechend gedrückt und geschockt war die Stimmung. Auf der anderen Seite sind sie fein raus bei der Diskussion, wer Verantwortung für den Wahlausgang trägt. Sie haben versucht, mit Rot-Rot-Grün eine Regierung ohne AfD-Beteiligung auf die Beine zu stellen – und haben vergeblich um Unterstützung von FDP oder CDU geworben.

Ramelow zitiert Hitler

Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow zeigte noch am Mittwochabend auf Twitter, wie die Wahl seines Nachfolgers sieht – und zitiert Adolf Hitler.

‹«Den grössten Erfolg erzielten wir in Thüringen. Dort sind wir heute wirklich die ausschlaggebende Partei. [...] Die Parteien in Thüringen, die bisher die Regierung bildeten, vermögen ohne unsere Mitwirkung keine Majorität aufzubringen.› A. Hitler, 02.02.1930», schreibt er in seinem Tweet.

Dazu stellte er zwei Fotos: eines zeigt Adolf Hitler, wie er dem ehemaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg die Hand schüttelt. 1933 hatte von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannt. Auf dem zweiten Bild ist der neu gewählte Ministerpräsident Kemmerich zu sehen, wie er vom AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Hoecke beglückwünscht wird. Deutlicher lässt sich wohl der Vergleich zur deutschen Geschichte nicht ziehen. Hoecke ist der Gründer des rechtsnationalen «Flügels» der AfD. Dieser wurde vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall Rechtsextremismus eingestuft.

CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer rief am Mittwoch das Parteipräsidium zu einer Telefonschalte zusammen, um sich Rückendeckung für die Forderung nach einer Neuwahl in Thüringen zu holen. Doch die Thüringer CDU erklärte sich am Abend bereit für Gespräche mit Kemmerich. «Voraussetzung dafür ist aber, dass jede Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen sein muss», betonte CDU-Generalsekretär Raymond Walk. Wie es ausgeht, ist offen. Kramp-Karrenbauer sagte im ZDF, es gehe nicht um sie, es gehe um die Glaubwürdigkeit der CDU insgesamt.

«Ein schlechter Tag für die Demokratie»

Bundeskanzlerin Angela Merkel schwieg eine Weile zum Ausgang, kritisiert die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten mit AfD-Stimmen nun aber als «unverzeihlich». Das Ergebnis dieses Vorgangs müsse rückgängig gemacht werden, sagte Merkel am Donnerstag bei einem Besuch in Südafrika und stellte sich damit indirekt hinter Neuwahl-Forderungen. Sie nannte die Wahl einen «einzigartigen Vorgang».

Merkel betonte: «Es war ein schlechter Tag für die Demokratie. Es war ein Tag, der mit den Werten und Überzeugungen der CDU gebrochen hat.» Es müsse jetzt alles getan werden, damit deutlich werde, dass dies in keiner Weise mit dem in Übereinstimmung gebracht werden könne, was die CDU denke und tue. «Daran wird in den nächsten Tagen zu arbeiten sein», sagte Merkel.

Bundeskanzlerin Angela Merkel meldete sich aus Südafrika, um die Wahl in Thüringen zu kommentieren und bezeichnet den Vorgang als «unverzeihlich».
Bundeskanzlerin Angela Merkel meldete sich aus Südafrika, um die Wahl in Thüringen zu kommentieren und bezeichnet den Vorgang als «unverzeihlich».
Bild: Keystone

Christian Lindner, Chef der FDP, versuchte zunächst, auf Distanz zu Kemmerich zu gehen. Seit dieser aber klarstellte, dass der Parteichef im Voraus in die strategischen Überlegungen eingeweiht gewesen sei, nimmt der Druck auf Lindner erkennbar zu. Lindner ist zwar unbestritten die Nummer eins in der FDP. Aber sein Licht leuchtet nicht mehr ganz so hell wie vor zweieinhalb Jahren nach dem Wiedereinzug in den Bundestag. Die Taktiererei in Thüringen dürfte eine bisher schon spürbare Unzufriedenheit bei manchen Mitgliedern nicht unbedingt ausräumen.

Bei den Reaktionen der SPD  liest man zwischen den Zeilen: Wir haben es doch immer gesagt. Parteichef Walter-Borjans betonte gleich, die SPD müsse sich keine Vorwürfe machen und bleibe ein Bollwerk gegen rechts. Vor allem kann die SPD nun aber im Bund wieder mehr Druck auf die den Koalitionspartner ausüben.

Was sind die Folgen für die Parteien?

Die Sozialdemokraten könnten – trotz aller Bestürzung über den indirekten Erfolg der AfD – von dem Wahl-Eklat profitieren. Sie haben kurzfristig für Samstag einen Koalitionsausschuss durchgesetzt, bei dem sie ihre drängenden Fragen direkt an den Koalitionspartner stellen wollen. Pikant dabei: Ausgerechnet am Sonntag und Montag will der neu gewählte SPD-Parteivorstand ohnehin darüber beraten, mit welchen Themen es in der Koalition weitergehen könnte.

In den Reihen der CDU geht es erneut um das Vertrauen in die Spitze. War die Parteivorsitzende Kramp-Karrenbauer nicht deutlich genug, als sie den Thüringer Fraktionschef Mike Mohring vor einer Zusammenarbeit mit der rechten AfD warnte? Kaum dass sie wieder Oberwasser in der Partei bekommen hat, nachdem sie auf dem Leipziger Parteitag im November erfolgreich die Vertrauensfrage gestellt hatte, werden nun wieder Fragen laut, ob sie die richtige für die Parteiführung ist.

Ganz unverhohlen wirft die SPD-Spitze, vor Kurzem noch selbst unter Druck, der CDU-Chefin vor, die eigene Mannschaft nicht im Griff zu haben. Was in Thüringen passiert sei, sei «keine regionale Angelegenheit», sagte Norbert Walter-Borjans dem ZDF. Die CDU müsse jetzt Konsequenzen ziehen, statt nur zu reden.

Auf die Thüringer CDU wächst nun der Druck, den Weg für Neuwahlen freizumachen. Dazu ist sie im Moment nicht bereit: «Wir sehen unsere Verantwortung darin, Stillstand und Neuwahlen zu vermeiden», sagte ein Fraktionssprecher am Mittwoch. Doch nach dem desaströsen Wahlergebnis bei der Landtagswahl im Herbst steht  Mike Mohring bei Teilen seines Landesverbandes und der Fraktion massiv in der Kritik. Einige Abgeordnete in der Fraktion monieren Führungslosigkeit und kritisieren den unklaren Kurs ihres Landesverbandes. Die Wahl dürfte seine Position nicht unbedingt gefestigt haben. 

Partnersuche bei der FDP

Für die FDP gilt es nun zu handeln: Seit der überraschenden Wahl Kemmerichs hat Thüringen keine Minister mehr. Es dürfte also zu seinen ersten Aufgaben gehören, ein Kabinett zu bilden und Minister zu benennen. Die wären aber auch erst im Amt, wenn sie in einer Sitzung des Thüringer Landtages vereidigt worden sind.

Völlig unklar ist bislang, mit welchen Partnern Kemmerich die Regierung bilden will. Linke, SPD und Grüne haben bereits abgewunken. Mit der AfD zusammenzuarbeiten, schloss Kemmerich nach seiner Wahl selbst kategorisch aus.

Die Wahl Thomas Kemmerichs zum neuen Ministerpräsidenten hat ein politisches Beben verursacht.
Die Wahl Thomas Kemmerichs zum neuen Ministerpräsidenten hat ein politisches Beben verursacht.
Bild: Keystone

Die Thüringer FDP schaffte es bei der Landtagswahl im Herbst nur knapp mit 73 Stimmen über der Fünf-Prozent-Hürde den Einzug ins Parlament. Nun stellt sie auf so dramatische Weise den Ministerpräsidenten. Ob sie das durchhält? Schon am Mittwoch gab es auch aus der FDP Forderungen nach einem Rücktritt Kemmerichs.

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