Durchlässige Pufferzone Neue Flüchtlingsroute nach Europa – Zypern im Fokus

Von Menelaos Hadjicostis, AP

12.12.2018

Flüchtlinge in Nikosia: Pro Kopf nimmt derzeit kein anderes EU-Land so viele von ihnen auf wie Zypern.
Flüchtlinge in Nikosia: Pro Kopf nimmt derzeit kein anderes EU-Land so viele von ihnen auf wie Zypern.
dpa

Die Einreise in den von der Türkei besetzten Teil ist oft ohne Visum möglich. Und die Grenze, die quer durch die Insel verläuft, ist kaum bewacht. Tausende Migranten wählen daher diesen Weg. Pro Kopf nimmt derzeit kein anderes EU-Land so viele von ihnen auf wie Zypern.

Die letzte Etappe nach Europa war nur ein Katzensprung. Für 400 Euro wurde Hauje Rassul Saleh über die Grenze gebracht. «Du kennst mich nicht, ich kenne dich nicht», habe der Schlepper ihm eingeschärft, sagt der 32-jährige Iraker. Dann sei er mit ihm vom türkisch kontrollierten Nordzypern in die Republik Zypern gefahren, die Mitglied der Europäischen Union ist. Dort hat Saleh inzwischen Asyl beantragt – so wie viele in den vergangenen Monaten.

Der Grenzübertritt auf der Insel im Mittelmeer ist für Flüchtlinge relativ einfach. Sie müssen kein klappriges Boot besteigen und auch keinen Stacheldrahtzaun überwinden. Auf der türkischen Seite hätten zwei Soldaten sich kurz den Ausweis des Fahrers angeschaut und den Wagen dann einfach durchgewunken, sagt Saleh. Über die von den Vereinten Nationen gesicherte Pufferzone habe er schliesslich die EU erreicht.

Die meisten Flüchtlinge stammen aus Syrien

Nach Angaben der zyprischen Regierung sind auf diese Art allein von Januar bis August dieses Jahres etwa 5000 Flüchtlinge ins Land eingereist. Die meisten von ihnen stammen aus Syrien, dessen Küste nur knapp 100 Kilometer östlich von Zypern liegt. Viele kommen aber auch aus deutlich weiter entfernten Ländern wie Somalia, Pakistan, Indien, Bangladesch, Vietnam oder Kamerun.

Bis Ende 2018 werden nach Schätzung der Behörden etwa 8000 Menschen in Zypern einen Antrag auf Asyl gestellt haben. Noch 2016 waren es nur 3000. In absoluten Zahlen ist dies zwar nur ein Bruchteil der insgesamt in Europa ankommenden Flüchtlinge. Doch bei weniger als einer Million Einwohnern ist die Belastung für das Land gewaltig. Und es kommen immer mehr, seit die meisten anderen EU-Länder ihre Grenzkontrollen verschärft haben.

Zypern ist seit 1978 geteilt. Über die  von den Vereinten Nationen gesicherte Pufferzone erreichen derzeit viele Flüchtlinge Europa.
Zypern ist seit 1978 geteilt. Über die  von den Vereinten Nationen gesicherte Pufferzone erreichen derzeit viele Flüchtlinge Europa.
Keystone

«Wir bemühen uns, die Situation einigermassen zu bewältigen», sagt der zyprische Innenminister Constantinos Petrides der Nachrichtenagentur AP. «Aber seit geraumer Zeit haben wir weit mehr als den verhältnismässigen Anteil zu schultern.»

Nord-Zypern wird nur von der Türkei anerkannt

Seit 1974 durchzieht eine 180 Kilometer lange Grenze die Insel. Nach einem Putsch von Unterstützern eines Anschlusses an Griechenland besetzte Ankara den schon damals von vielen Türken bewohnten Norden Zyperns. Der dort ausgerufene Staat wird zwar bis heute allein von der Türkei als solcher anerkannt; aus Sicht der internationalen Gemeinschaft gehört weiterhin die gesamte Insel zur Republik Zypern. De facto ist die Insel aber geteilt.

Trotz der geografischen Nähe zu den Krisenherden im Nahen Osten kamen in den vergangenen Jahren vergleichsweise wenige Flüchtlinge nach Zypern. Das Land hatte wirtschaftlich lange Zeit schwer zu kämpfen und galt daher trotz der EU-Mitgliedschaft als wenig attraktives Ziel. Die meisten setzten lieber direkt nach Griechenland über, um von dort über die Balkanroute weiter in Richtung der nördlicheren Staaten Europas zu ziehen.

Doch inzwischen erlebt das kleine Land einen wirtschaftlichen Aufschwung. Gleichzeitig ist die Einreise in die EU sowohl über den Balkan als auch über Italien deutlich schwieriger geworden. Laut Petrides wissen die Behörden zudem von mindestens einem Schlepperring, der sich auf die Route von Syrien über die Türkei nach Zypern spezialisiert hat. Die meisten Flüchtlinge würden den Norden der Insel mit regulären Flügen oder Fähren erreichen, sagt der Innenminister. Nur wenige kämen von der Türkei oder aus dem Libanon mit Booten direkt im Süden an.

Hilfe für 40 Millionen Euro aus Brüssel

Der Iraker Saleh ist nach eigenen Angaben von Erbil in der Autonomen Region Kurdistan nach Ankara geflogen und von dort weiter zum Flughafen Ercan in Nordzypern. In den meisten Fällen verlangen die türkisch-zyprischen Behörden von Passagieren, die aus der Türkei ankommen, kein spezielles Visum. Nach seiner Überquerung der Grenze zum Süden wurde der 32-Jährige in einer Einrichtung am Rande der Hauptstadt Nikosia untergebracht, wo er nun auf die Bearbeitung seines Asylantrags wartet.

Das kann allerdings dauern. Nach Angaben von Corina Drousiotou, Leiterin der Organisation Cyprus Refugee Council, gibt es bei den Behörden einen Rückstau von 8000 Fällen. Bis zu einer endgültigen Entscheidung dauere es oft, inklusive möglicher Berufungsverfahren, drei bis fünf Jahre, sagt sie. Aus Brüssel erhält Zypern zur Bewältigung des Flüchtlingsaufkommens für den Zeitraum von 2014 bis 2020 Finanzhilfe in Höhe von fast 40 Millionen Euro. Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen stellt zudem 29 Fachkräfte sowie Übersetzer zur Verfügung.

Drousiotou bezeichnet die Lage als «handhabbar», solange Zypern auf die Unterstützung von anderen EU-Staaten und internationalen Organisationen zählen könne. Im florierenden Tourismus-Sektor der Insel gebe es zudem grossen Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften, sagt sie. Wichtig sei aber, dass von Seiten der Behörden geeigneter Wohnraum geschaffen werde.

Innenminister Petrides betont, dass die Regierung für den Ausbau der Flüchtlingsunterkünfte, für besseren Grenzschutz sowie zur Bewältigung der vielen Anträge weitere EU-Mittel beantragt habe. Zur Beschleunigung der Asylverfahren sei ausserdem die Einrichtung von Sondergerichten geplant.

Saleh hofft derweil, möglichst bald einen Job bekommen zu können. Einen «Plan B» habe er nicht, sagt der Iraker, der nach eigenen Angaben vor religiösen Fundamentalisten geflüchtet ist. «In meine Heimat kann ich nicht mehr zurück.»

Zurück zur Startseite