Pipeline-Explosion US-Journalist beschuldigt das Weisse Haus, Kreml pflichtet bei

SDA, smi

9.2.2023 - 16:05

Die Lecks sind gestopft, wer sie in die Gasleitungen gerissen hat, ist unklar. Daran ändert der Beitrag des Star-Journalisten wenig.
Die Lecks sind gestopft, wer sie in die Gasleitungen gerissen hat, ist unklar. Daran ändert der Beitrag des Star-Journalisten wenig.
Danish Defence Command/dpa

Russland hat mit Genugtuung auf die Verbreitung einer unbelegten Behauptung reagiert, wonach die USA hinter der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines stecken sollen.

Keystone-SDA, SDA, smi

Die russische Führung hat den Blog-Beitrag des US-Journalisten Seymour Hersh aufgegriffen, der ohne jeden Beleg und unter Berufung auf eine einzelne anonyme Quelle schrieb, US-Marinetaucher seien für die Explosionen der Gaspipelines in der Ostsee im vergangenen September verantwortlich.

Das Weisse Haus hat das als freie Erfindung abgetan. Der Vorsitzende des russischen Parlaments erhebt dennoch schwere Vorwürfe gegen US-Präsident Joe Biden, der Kreml fordert Aufklärung. Dabei steht Moskau selbst im Verdacht, die Pipelines sabotiert zu haben.

Explosionen hatten Ende September 2022 in der Nähe der dänischen Ostsee-Insel Bornholm vier Lecks in die beiden Pipelines Nord Stream 1 und 2 gerissen, die von Russland nach Deutschland führen. Die Gaslecks waren in internationalen Gewässern aufgetreten, jeweils zwei in den Ausschliesslichen Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens.

Wer steckt hinter dem Sabotageakt?

Russland hatte Nord Stream 1 zum Zeitpunkt der Explosionen wegen angeblicher technischer Probleme abgeschaltet. Die nach Angaben aus dem Kreml trotz Beschädigung weiter einsatzfähige Leitung Nord Stream 2 hat bis heute keine Zulassung von deutschen Behörden erhalten.

Schwedens Staatsanwaltschaft war im November zu dem Schluss gekommen, die Lecks an den Pipelines seien auf schwere Sabotage zurückzuführen. Damit bestätigte sie den schon länger im Raum stehenden Verdacht, dass die Explosionen vorsätzlich mit Sprengladungen herbeigeführt wurden. Tatverdächtige wurden bislang noch nicht benannt. Auch deutsche Ermittler gehen den Hintergründen nach.

Mithilfe zweier Forschungsschiffe seien Wasser- und Bodenproben sowie Reste der Pipelines entnommen worden, der Tatort sei auch umfassend dokumentiert worden, sagte Generalbundesanwalt Peter Frank vor wenigen Tagen der «Welt am Sonntag». «Das alles werten wir derzeit kriminaltechnisch aus.» Die Ermittlungen dauerten an.

Russland wehrt sich gegen die Vorwürfe, die Sabotage verursacht zu haben. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte in der Vergangenheit stattdessen angedeutet, die USA oder Grossbritannien seien für die Tat verantwortlich. Mit entsprechend grossem Interesse reagierte Moskau nun auf die These des US-Journalisten Hersh.

Star-Journalist hat keine Belege und nur eine anonyme Quelle

Der bekannte Investigativ-Journalist schreibt in seinem Blog, US-Spezialtaucher hätten die Sprengsätze bei einer Nato-Übung im Juni an den Leitungen in der Ostsee angebracht und später – unterstützt durch Norwegen – per Fernzündung detonieren lassen. In seinem langen Text beruft er sich aber lediglich auf eine einzelne, nicht näher genannte «Quelle mit direkter Kenntnis der operativen Planung».

Der 85-Jährige war vor Jahrzehnten durch die Aufdeckung des My-Lai-Massakers in Vietnam durch US-Truppen bekannt geworden, ist zuletzt aber immer wieder mit fragwürdigen Recherchen aufgefallen. Er nennt sich selbst «den weltweit führenden Enthüllungsjournalisten».

Seriöse US-Medien haben Hershs These nicht aufgegriffen. Die US-Regierung weist seine Recherche scharf zurück. «Das ist völlig falsch und eine vollkommene Erfindung», erklärt die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates, Adrienne Watson. Auch Norwegen dementiert.

Kreml will mitermitteln

In Moskau allerdings wurde der Bericht in Medien und Politik breit diskutiert. «Biden schreibt sich in die Geschichte als Terrorist ein», schrieb der Vorsitzende des russischen Parlaments, Wjatscheslaw Wolodin, am Donnerstag in seinem Telegram-Kanal. Nach den veröffentlichten «Fakten» sei eine internationale Aufklärung des Falls und die Bestrafung der Verantwortlichen nötig.

Der Kreml forderte erneut eine Beteiligung an den internationalen Ermittlungen zu dem Fall. Sowohl Schweden als auch Dänemark hatten gemeinsame Untersuchungen mit Russland abgelehnt. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte am Donnerstag der Nachrichtenagentur Interfax zufolge: «Sie wissen, dass es auch von unserer Seite Erklärungen zu Informationen gab, die auf eine Beteiligung der Angelsachsen an der Organisation dieses Sabotageakts hindeuten.» Leider sei Russland nicht gehört worden, doch die neuen Informationen sollten als Grundlage für eine internationale Aufklärung dienen, verlangte er.

Selbst Peskow räumte aber Schwächen bei der Quellenlage in Hershs Text ein. «Einige Momente (in dem Artikel) kann man bestreiten, andere brauchen Beweise», sagte er, «aber er ist bedeutsam durch die Tiefe der Analyse und die Klarheit der Auslegung.» Gerade Deutschland als Geschädigter dürfe nicht über den Bericht hinwegsehen.