Stigmatisiert und ausgegrenzt Südafrika fürchtet sich vor Omikron – und der Reaktion der Welt

Von Sven Hauberg

30.11.2021

Omikron-Variante: WHO warnt vor «sehr hohem Risiko»

Omikron-Variante: WHO warnt vor «sehr hohem Risiko»

of the World Health Organization (WHO) headquarters building in Geneva Die Weltgesundheitsorganisation stuft das Risiko durch die neue Omikron-Variante des Coronavirus weltweit als «sehr hoch» ein. Ein starker Anstieg der Infektionsfälle durch die

29.11.2021

Eigentlich klar: Ein Land ist kein Virus. Doch das Auftreten der Omikron-Variante und der Umgang der Medien mit dieser haben eine erneute Diskussion über Viren und Rassismus ausgelöst.

Von Sven Hauberg

Eine schwarze Frau und ein schwarzes Mädchen blicken aus einem Fenster, man sieht ihnen an, dass sie besorgt sind. In grossen Buchstaben steht über dem Foto, das die deutsche Tageszeitung «Rheinpfalz» am vergangenen Wochenende auf der Titelseite ihrer Sonntagsausgabe abdruckte: «Das Virus aus Afrika ist bei uns.» Was die verantwortlichen Redaktoren meinten: Die Omikron-Variante des Coronavirus hatte Deutschland erreicht. 

Auf Twitter teilte die Landtagsabgeordnete Giorgina Kazungu-Hass ein Foto der Titelseite, verbunden mit dem Hinweis, dass Afrika ein Kontinent sei und kein Land. Noch wichtiger aber war ihr zu betonen, dass es fatal sein könne, ein Virus mit Menschen – in diesem Fall Afrikanern oder Schwarzen ganz allgemein – in Verbindung zu bringen, die sowieso schon unter Diskriminierung litten. «Wir haben ja nicht ohne Grund die Buchstaben des griechischen Alphabets, um Mutationen zu bezeichnen. Und das ist auch richtig», sagte Kazungu-Hass zu «Focus Online».

Die «Rheinpfalz» entschuldigte sich umgehend für den missglückten Titel, der Shitstorm aber war in der Welt. Schliesslich hatte es mit Südafrika ein Land getroffen hat, das eigentlich alles richtig gemacht hatte, als dort Anfang November erstmals die Omikron-Variante identifiziert worden war. Vielleicht aber auch, weil sich manch einer daran erinnert haben dürfte, wie zu Beginn der Pandemie, im Frühjahr 2020, rassistische Angriffe gegen asiatisch aussehende Menschen die Öffentlichkeit schockiert hatten.

Trumps Mantra vom «China-Virus»

Damals, als das erstmals in der chinesischen Stadt Wuhan aufgetretene Virus ganz neu in der Welt war, schlugen Unmut und Angst immer wieder auch in Hass gegenüber Asiaten um. Menschen, die asiatisch aussehen, wurden beleidigt oder körperlich angegriffen, vor allem in den USA kam es zu mehreren hässlichen Vorfällen. Befeuert wurde der Rassismus vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump, der sich beharrlich weigerte, das Wort «Corona» in den Mund zu nehmen und stattdessen immer wieder vom «China-Virus» sprach.



Die Geschichte wiederholte sich, wenn auch nicht ganz so heftig, rund ein Jahr später. In Indien war eine neue Variante aufgetreten, die aufgrund ihrer Mutationen «B.1.617.2» genannt und Mitte Mai 2021 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als «besorgniserregend» eingestuft wurde. Da sich freilich niemand die ungelenke Buchstaben-Zahlen-Kombination «B.1.617.2» merken konnte, war in den Medien schnell von der «indischen Mutante» die Rede. Die Folge: Wer bei Google das Wort «indisch» in die Suchzeile eintippte, erhielt in manchen Ländern den Ergänzungsvorschlag «Variante» oder «Mutante». 

Der internationale Flughafen von Manila: Viele Länder haben Einreisebeschränkungen für das südliche Afrika erlassen, unter ihnen auch die Philippinen.
Der internationale Flughafen von Manila: Viele Länder haben Einreisebeschränkungen für das südliche Afrika erlassen, unter ihnen auch die Philippinen.
Bild: Keystone

Ende Mai zog die WHO dann die Reissleine, um zu verhindern, dass Länder und damit auch ihre Bevölkerungen sprachlich mit Corona-Varianten in Verbindung gebracht werden: Mutanten des Virus werden seitdem mit griechischen Buchstaben bezeichnet, aus der «indischen Mutante» wurde die mittlerweile weltweit dominierende Delta-Variante.

«Unfaire Diskriminierung unseres Landes»

Auf die Ausbreitung der Omikron-Variante reagierte die Welt schnell und zumeist mit Reisebeschränkungen. So verboten viele Länder Flüge ins und aus dem südlichen Afrika oder liessen nur eigene Bürger in ihre Heimatländer zurückkehren – obligatorische Tests und Quarantäne inklusive.



Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa reagierte erzürnt auf die Massnahmen. «Diese Beschränkungen sind eine unfaire Diskriminierung unseres Landes und unserer Schwesterstaaten», sagte Ramaphosa in einer Fernsehansprache am Sonntagabend. Statt sein Land auszugrenzen, sollten sich die Staaten an ihre Erklärung beim G20-Gipfel in Rom erinnern, die unterentwickelten Ländern bei der Bewältigung der Auswirkungen der Pandemie auf ihre Wirtschaft Hilfe versprach. Reisebeschränkungen hingegen schadeten dem Tourismus und der wirtschaftlichen Entwicklung Südafrikas, so Ramaphosa.

Am Montagabend schloss sich UNO-Generalsekretär António Guterres der Kritik an; gleichzeitig lobte er die Regierung Südafrikas für ihre Anstrengungen, die Omikron-Variante identifiziert zu haben, sowie für die offene Kommunikation des Landes. «Die Menschen in Afrika können nicht für das unmoralisch niedrige Level von vorhandenem Impfstoff in Afrika verantwortlich gemacht werden – und sie sollten nicht dafür bestraft werden, dass sie wichtige Wissenschafts- und Gesundheitsinformationen identifiziert und mit der Welt geteilt haben», sagte Guterres in New York.

Wie entstand die Mutante?

Wie eine Virus-Variante entstehen konnte, die derart viele Mutationen aufweist wie Omikron, ist unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern noch umstritten. Eine mögliche Erklärung aber besagt, dass sich das Virus im Körper von unbehandelten HIV-Patienten entwickelt haben könnte. Diese verfügen über ein geschwächtes Immunsystem, das es einem Virus ermöglichen kann, ungestört zu mutieren.

In Südafrika leben etwas mehr als sieben Millionen HIV-positive Menschen, von denen etwa zwei Millionen keine ausreichende Behandlung gegen die Infektion erhalten. Die weltweite Verbreitung von Omikron nun mit diesen ohnehin schon diskriminierten Menschen in Verbindung zu bringen, birgt Zündstoff. Zumal es auch andere Thesen gibt, die erklären könnten, wie Omikron entstanden ist – etwa im Körper eines Krebs-Patienten.



Hinzu kommt, dass nur rund sechs Prozent aller Afrikanerinnen und Afrikaner vollständig gegen das Corona-Virus geimpft sind. Für viele ist das vor allem ein Zeichen für ein Versagen des Westens, der es nicht schaffe, den Kontinent mit ausreichend Impfstoff zu versorgen. Auf den Ausbruch der Omikron-Variante will man in Südafrika nun jedenfalls mit einer teilweisen Impfpflicht reagieren.

Das südafrikanische Aussenministerium rief derweil zur internationalen Kooperation im Kampf gegen das Virus auf. «Die Weltgemeinschaft braucht Zusammenarbeit und Partnerschaften bei der Bewältigung der COVID-19-Pandemie», heisst es in einer Mitteilung vom Wochenende. «Die jüngste Runde von Reiseverboten kommt einer Bestrafung Südafrikas für seine fortschrittliche genomische Sequenzierung und die Fähigkeit, neue Varianten schneller zu erkennen, gleich. Exzellente Wissenschaft sollte gelobt und nicht bestraft werden.»