PolitikParlamentsneuwahl in Frankreich: Hält die Mauer gegen rechts?
SDA
22.6.2024 - 10:24
Kämpferisch und entschlossen demonstrierten in Frankreich zuletzt Hunderttausende vor der Parlamentsneuwahl gegen die Rechtspopulisten um Marine Le Pen. Auch bei Streiks an diesem Donnerstag und Demonstrationen am Wochenende wollen sich abermals etliche Menschen in Frankreich gegen die Rechtsnationalen stellen, die die Europawahl in Frankreich klar gewonnen haben und auf dem Vormarsch sind.
Keystone-SDA
22.06.2024, 10:24
SDA
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hofft, ihnen mit dem neuen Votum Einhalt zu gebieten. Dabei setzt er wohl massgeblich auf den vielbeschworenen Schutzwall gegen die extreme Rechte. Doch das Bild der Massen auf der Strasse gegen Rechts darf nicht trügen. Die Brandmauer hat längst zu bröckeln begonnen.
Eine zerstrittene Linke, eine Rechte als Schreckgespenst und in der Mitte einzig Macron als wählbare Alternative – so hatte sich der Staatschef die Wahl wohl vorgestellt. Nur: das Bild sieht anderthalb Wochen vor der ersten Wahlrunde ganz anders aus. Das linke Lager hat im Eiltempo ein Bündnis geschmiedet. Auch die Konservativen nahmen Macrons ausgestreckte Hand nicht an. Dieser hatte im Grunde das gesamte politische Spektrum – abgesehen vom rechtsnationalen Rassemblement National (RN) und der Linkspartei La France Insoumise – dazu aufgerufen, gemeinsame Sache zu machen – gegen die extremen Kräfte.
Das Kalkül des Staatschefs könnte es sein, auf eine Zusammenarbeit in der zweiten Wahlrunde zu setzen, zumindest informell, um die Rechtsnationalen zu verhindern. Denn das Unterhaus wird im Mehrheitsrecht gewählt. Kaum ein Abgeordneter kommt in der ersten Wahlrunde über die erforderlichen 50 Prozent von einem Mindestsatz der eingeschriebenen Wähler. In der zweiten Runde gewinnt in einer Stichwahl dann die Person im Wahlkreis mit den meisten Stimmen. Macron dürfte hoffen, dass alle demokratischen Kräfte dann gegen die Wahl eines RN-Kandidaten in Runde zwei aufrufen, die Brandmauer gegen rechts zur Wirkung kommt.
Dieses Bündnis über Parteigrenzen hinweg war in Frankreich lange Zeit fest verankert. Es verhalf dem Konservativen Jacques Chirac bei der Präsidentschaftswahl 2002 in der Endrunde gegen den Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen zum Sieg. Auch Macron profitierte bei den Wahlen 2017 und 2022 von den Stimmen derer, die Marine Le Pen auf keinen Fall im Élyséepalast sehen wollten und daher – mitunter zähneknirschend – ihn wählten.
Doch solide ist die Brandmauer längst nicht mehr. Während Jean-Marie Le Pen lediglich 17,79 Prozent der Stimmen einholte, kam seine Tochter Marine 2017 auf 33,9 Prozent. Vor zwei Jahren landete sie mit 41,45 Prozent nur relativ knapp hinter Macron. Ein Grund dafür ist, dass Macron viele Wähler aus dem linken Spektrum bitter enttäuscht und desillusioniert hat. Ein anderer ist der allgemeine Rechtsruck in Europa und die erfolgreiche Wandlung Le Pens.
Denn während Le Pen vor wenigen Jahren noch als rechter Haudegen auftrat, zeigt sie sich mittlerweile betont sanft. Im letzten Präsidentschaftswahlkampf sagte sie gar, sie wolle Frankreich wie eine Mutter führen. Erfolgreich hat sie das RN «entteufelt» und von dem radikalen Image gelöst, das mit ihrem Vater und dessen Holocaust-Verharmlosung einherging. Längst hat sie sich und ihre Partei bis weit in die bürgerliche Mitte wählbar gemacht und das Schreckgespenst des Rassemblement National für viele verpuffen lassen.
Wie salonfähig das RN mittlerweile ist, sieht man auch darin, dass der Chef der konservativen Républicains, Éric Ciotti, kurzerhand ein Bündnis mit ihnen für die Parlamentswahl ankündigte. Ein grosser, empörter Teil der einstigen Volkspartei versucht nun, Ciotti als Vorsitzenden loszuwerden, denn eine Allianz wäre ein Dammbruch.
Und noch ein weiteres Problem gibt es, sollte Macron wirklich auf die Brandmauer setzen. Umfragen sehen sein Lager zurzeit hinter RN und dem linken Lager nur auf Platz drei. Die Frage wird also auch sein, in wie vielen Wahlbezirken die Mitte-Kandidaten überhaupt in die zweite Wahlrunde einziehen, und ob Macron für den Kampf gegen RN im Zweifel auch selbst bereit ist, gegen seine Überzeugungen zur Wahl eines linken Kandidaten aufzurufen. Das zumindest könnte man als nötige Konsequenz sehen, wenn er mit Blick auf die nächste Präsidentschaftswahl, bei der er nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten darf, sagt: «Ich will genau nicht 2027 die Schlüssel der Macht an die Rechtsextreme geben.»
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