Konfliktende in Sicht? So könnte eine «Denuklearisierung» Nordkoreas gelingen

Eric Talmadge, AP

31.5.2018

Die Forderung der USA ist klar: Nordkorea soll sein Atomprogramm vollständig aufgeben. Aber selbst wenn das Land einwilligen würde, blieben noch viele Fragen zu klären. Ohne gegenseitiges Vertrauen dürfte das kaum gelingen.

Die Latte liegt hoch. US-Präsident Donald Trump erwartet mehr, als was auf kurze Sicht realistisch erscheint. Pjöngjang mag zwar durchaus zu Kompromissen bereit sein. Mit einer «kompletten, nachprüfbaren und unumkehrbaren Denuklearisierung» würde Staatschef Kim Jong Un aber alle Trümpfe auf einmal aus der Hand geben. Bei dem für Juni geplanten Gipfel in Singapur dürfte es daher vor allem um Bilder gehen. Sollte tatsächlich auch ein Deal verkündet werden, gäbe es für die Umsetzung verschiedene Möglichkeiten – und keine davon wäre einfach.

«Libyen-Modell» für die Kameras?

Von seinem Treffen mit Kim Jong Un erhofft sich US-Präsident wohl vor allem medienwirksame Bilder.
Von seinem Treffen mit Kim Jong Un erhofft sich US-Präsident wohl vor allem medienwirksame Bilder.
Keystone

Unbestätigten Berichten zufolge könnte Nordkorea anbieten, einen Teil des eigenen Atomwaffen-Arsenals an die USA zu übergeben. Was die theatralische Wirkung angeht, wäre diese Option wohl kaum zu überbieten. Es wäre eine handfeste Geste, die sich relativ schnell inszenieren liesse – und sicher wäre sie ganz nach dem Geschmack des ehemaligen Reality-TV-Stars im Weissen Haus.

Auch Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton deutete eine Lösung in dieser Art an, als er vor einigen Wochen von dem «Libyen-Modell» sprach. Das nordafrikanische Land hatte sich im Jahr 2003 zur Aufgabe des eigenen Atomprogramms bereit erklärt. Daraufhin wurden gewaltige Mengen an Dokumenten, Ausrüstung und sogar Zentrifugen von den amerikanischen Streitkräften ausgeflogen und ins Oak Ridge National Laboratory im Staat Tennessee gebracht.

Zweifelhafte Erfolgsaussichten

Wohl kein Fan des Lybien-Modells: Kim Jong Un drohte mit der Absage des Gipfels, nachdem die Pläne der US-Regierung publik wurden.
Wohl kein Fan des Lybien-Modells: Kim Jong Un drohte mit der Absage des Gipfels, nachdem die Pläne der US-Regierung publik wurden.
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Zu dem Zeitpunkt mag dies für den libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi eine kluge Lösung gewesen sein. Angesichts der späteren Entmachtung und Ermordung des Diktators kam der Verweis auf dieses historische Beispiel in Pjöngjang aber überhaupt nicht gut an – prompt wurde mit einer Absage des Gipfels gedroht. Experten betonen zudem, dass Nordkorea, anders als damals Libyen, den Status einer Atommacht bereits erreicht hat. Die Voraussetzungen sind also gänzlich andere.

Die Übergabe von einigen Bomben – so spektakulär sie auch wäre – würde den Konflikt auf der Koreanischen Halbinsel zudem kaum entschärfen. Kim verfügt nach allgemeinen Schätzungen über mehrere Dutzend Atomwaffen. Solange er einige davon behielte, könnte er also jederzeit zur alten Strategie zurückkehren und erneut auf martialische Drohungen setzen. Gleichzeitig könnten die Amerikaner eine erhaltene Bombe natürlich analysieren und entsprechende Rückschlüsse ziehen. Auch deswegen gilt eine solche Vereinbarung als eher unwahrscheinlich.

Mit Blick auf den Gipfel in Singapur hat Kim bereits versprochen, von weiteren Tests mit Atombomben und Interkontinentalraketen abzusehen. Vor wenigen Tagen wurden sogar Bilder von der mutmasslichen Zerstörung des Testgeländes Punggye-ri verbreitet. Ein erster Schritt hin zu einer möglichen Einigung mit den USA wäre damit getan. Allerdings hat Nordkorea schon öfter ähnliche Dinge angekündigt oder versprochen – und es sich später dann doch anders überlegt.

US-Aussenminister Mike Pompeo traf Kim Jong Un bereits vor wenigen Wochen.
US-Aussenminister Mike Pompeo traf Kim Jong Un bereits vor wenigen Wochen.
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Atomprogramm auf Eis?

Da eine «vollständige Denuklearisierung» in jedem Fall nicht über Nacht umzusetzen ist, dürfte Washington zunächst auf ein «Einfrieren» des Atomprogramms bestehen. Konkret müsste nicht nur die Produktion neuer Bomben gestoppt werden, sondern auch die von Raketen und spaltbarem Material. Dies wäre aber nur schwer zu überprüfen. Denn neben den bekannten Standorten könnte Nordkorea über weitere, bisher geheime Anlagen verfügen. Und ob Kim sich auf unbeschränkten Zugang für internationale Kontrolleure einlassen wird, scheint fraglich.

Vor allem aber kann Trump nicht ernsthaft erwarten, dass Kim keine Gegenleistungen fordert. Realistisch ist daher wohl nur ein Szenario, bei dem die beiden Seiten stufenweise aufeinander zugehen – und dabei allmählich Vertrauen aufbauen. Wie dies konkret aussehen könnte, haben die amerikanischen Kernphysiker und Nordkorea-Experten Siegfried Hecker und Robert Carlin in einem am Montag veröffentlichten Konzept dargelegt.

Schrittweise Abrüsten

Eine vollständige Denuklearisierung Nordkoreas ist vermutlich nur schrittweise zu erreichen.
Eine vollständige Denuklearisierung Nordkoreas ist vermutlich nur schrittweise zu erreichen.
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Demnach könnte der Prozess der Denuklearisierung Nordkoreas etwa zehn Jahre in Anspruch nehmen. Im ersten Jahr würde das «Einfrieren» der bisherigen Aktivitäten im Mittelpunkt stehen, schreiben die Wissenschaftler in dem für das kalifornische Center for International Security and Cooperation verfassten Papier. In den folgenden zwei bis fünf Jahren könne ein «Rückfahren» des Programms erfolgen. Erst in einer dritten Phase sei dann mit einer «Eliminierung» des Arsenals oder mit einem Rückbau auf ein vereinbartes Niveau zu rechnen, heisst es.

Den Nordkoreanern empfehlen die Experten, mit weiteren Schritten praktisch in «Vorleistung» zu gehen. Um die eigene Entschlossenheit zu demonstrieren, könnten sie etwa ihren Reaktor zur Herstellung von Plutonium zügig ausser Betrieb nehmen, schreiben sie. Sollten die USA von aussen auf sofortige vollständige Denuklearisierung bestehen, würden sie Pjöngjang damit zu einer Art Kapitulation auffordern, heisst es. Die Idee, Nordkoreas Atomwaffen in Anlehnung an das «Libyen-Modell» ausser Landes zu transportieren, bezeichnen die Wissenschaftler dagegen als «naiv und gefährlich».

Der schwierige Weg vom Nordkorea-Konflikt zum Frieden
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