Wirtschaftskrise auf Sri Lanka: Demonstrierende fordern weiter Rücktritt der Regierung
Den sechsten Tag in Folge gingen am Freitag Menschen auf die Strasse. Sie fordern den Rücktritt von Staatspräsident Gotabaya Rajapaksa, der Inselstaat steckt mitten in einer ökonomischen Krise.
13.04.2022
Drei Jahre nach den verheerenden Osteranschlägen spielt sich in Sri Lanka eine neue Tragödie ab. Weniger laut, weniger beachtet, aber nicht minder verheerend: Der Inselstaat steht vor einer Zerreissprobe.
gbi/DPA
15.04.2022, 10:47
15.04.2022, 12:49
gbi/DPA
Es ist ziemlich genau drei Jahren her, dass die Welt mit Entsetzen nach Sri Lanka blickte. Dschihadisten hatten bei einer koordinierten Serie von Bombenanschlägen immenses Leid über den Inselstaat gebracht und mehr als 250 Menschen in den Tod gerissen. Die Bilder des Terrors vom Ostersonntag 2019 sorgten auch in der Schweiz für Entsetzen.
Heute spielt sich in Sri Lanka erneut eine Katastrophe ab – nur ohne internationale Beachtung. Doch wer die Schlagzeilen der letzten Tage verfolgt, erkennt die Tragweite der Ereignisse.
31. März: Vor dem Haus des Präsidenten geraten wütende Bürger*innen und Polizei aneinander, mehr als 50 Menschen werden verletzt. 2. April: Die Regierung verhängt eine Ausgangssperre. 3. April: Soziale Medien werden gesperrt. 4. April: Fast die gesamte Ministerriege reicht ihren Rücktritt ein. 8. April: Mediziner*innen warnen vor dem Kollaps des Notaufnahme-Systems der Spitäler. 11. April: Der Premierminister warnt vor einem Rückfall in die Zeiten des Bürgerkrieges. 12. April: Sri Lanka stoppt die Rückzahlung ausländischer Kredite.
Das Land schlittert ungebremst von einer Wirtschafts- in eine Regierungskrise und steht kurz vor dem Staatsbankrott. Wie konnte es nur so weit kommen? Ein Überblick.
Worum geht es?
Sri Lanka durchlebt die schlimmste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Es mangelt an so gut wie allem: Lebensmitteln, Treibstoff, Benzin, Gas, Medikamenten. Die 22 Millionen Einwohner*innen ächzen unter steigenden Lebenshaltungskosten, stundenlangen Stromausfällen und Engpässen aller Art.
Seit Monaten müssen die Sri Lanker Schlange stehen, wenn sie alltägliche Güter wie Benzin, Kochöl, Essen und Medikamente kaufen wollen. Und vor allem: Der Regierung fehlen die nötigen US-Dollar, um Importe aus dem Ausland zu bezahlen oder ihre Schulden abzustottern.
Was sind die Gründe der Krise?
Sie sind vielfältig. Beobachter*innen sprechen von einer unglücklichen Kombination aus Fehlern der Politik und Pech. So habe sich die Regierung im letzten Jahrzehnt massiv im Ausland verschuldet, erklärte Murtaza Jafferjee vom srilankischen Thinktank Advocata Istitute der BBC. Es folgten eine Reihe von ungünstigen Naturereignissen, die Pandemie, die den so wichtigen Tourismussektor lahmlegte, und zuletzt auch noch der Ukraine-Krieg: Die Rechnung ging nicht mehr auf.
Die Regierung hat sich zunächst damit beholfen, ihre Devisen-Reserven aufzubrauchen, um ihre Schulden zu bezahlen. Die Devisen sanken von 7 Milliarden Dollar im Jahr 2018 auf zuletzt noch weniger als 2 Milliarden Dollar. Das ist bedeutend weniger, als in diesem Jahr an Rückzahlungen fällig ist.
Dass gleichzeitig die Steuern gesenkt wurden, macht die Sache nicht besser. Diese Misere vermindert Sri Lankas Spielraum, um etwa Treibstoff zu importieren. All dies führt zu einem Teufelskreis: Die Preise im Land steigen, die Landeswährung – die Rupie – geht gleichzeitig auf Talfahrt.
Wie schlimm steht Sri Lanka da?
Finanziell: richtig schlecht. Das Land hat bereits angekündigt, seine hohen Schulden im Ausland vorerst nicht mehr zurückzuzahlen. Man stehe kurz vor der Zahlungsunfähigkeit, warnte Zentralbankchef Nandalal Weerasinghe am Dienstag in Colombo. Das Land hat nach Angaben der Zentralbank Schulden in Höhe von mehr als 50 Milliarden Dollar angehäuft.
Sri Lanka wolle nun mit Kreditgebern verhandeln, um seine Schulden zu restrukturieren, teilte das Finanzministerium mit. Dies sei der letzte Ausweg, um zu verhindern, dass sich die finanzielle Situation weiter verschlechtert – was einem Staatsbankrott gleichkäme.
Zuletzt hatte Sri Lanka immer weitere Kredite aufgenommen und auch beim Internationalen Währungsfonds (IWF) um Hilfe gebeten. Kommende Woche soll es Gespräche mit dem IWF in Washington geben.
Was macht die Regierung?
Zunächst versuchte die Regierung von Präsident Gotabaya Rajapaksa und dessen Bruder, Premierminister Mahinda Rajapaksa, mit Ausgangssperren und dem Blockieren von Social-Media-Diensten, Bürgerproteste zu verhindern. Das klappte aber nur bedingt: Demonstrant*innen belagern seit Tagen den Amtssitz des Präsidenten, fordern dessen Rücktritt und Neuwahlen. Der Hashtag #GoHomeGota macht in den mittlerweile wieder freigegebenen sozialen Medien die Runde.
Die Rajapaksas sind eine einflussreiche Politiker-Familie, die die Geschicke des Landes seit Jahrzehnten bestimmt. Unter ihrer Führung wurde 2009 auch der 26 Jahre währende Bürgerkrieg gegen die tamilischen Rebellen der Tamil Tigers blutig beendet. Vielen in der singhalesischen Mehrheit im Land gelten die Rajapakses daher als Kriegshelden. Doch ebensoviele machen den Clan auch für die wirtschaftliche Misere verantwortlich.
Präsident Rajapaksa wehrt sich gegen die Rücktrittsforderungen, selbst nachdem die Minister seines Kabinetts geschlossen ihren Rücktritt bekannt gegeben haben – darunter sogar sein Neffe, der das Amt des Sportministers inne hatte.
Und warum sollte das dich interessieren?
Vielleicht bist du einer/eine der vielen Schweizer Tourist*innen, die das Fernwehland gleich unterhalb Indiens schon besucht haben. 29'981 Tourist*innen aus der Schweiz zählte Sri Lanka allein im Jahr 2019.
Und selbst falls nicht: Sri Lanka dürfte kein Einzelfall bleiben.
Die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen setzen ärmere Staaten weltweit besonders unter Druck. Davor warnte Robert Koopman, Chefökonom der Welthandelsorganisation WTO, in dieser Woche. Die Omikron-Variante des Coronavirus, das Auslaufen von Corona-Hilfen, hohe Inflation und steigende Zinsen hätten die Konjunktur bereits getrübt, noch bevor der russische Krieg gegen die Ukraine begonnen habe.
WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala betonte, dass ärmere Länder besonders unter den Folgen des Krieges für die Weltwirtschaft zu leiden hätten. Allein in Afrika importierten 35 Länder Weizen und andere Güter aus Russland oder der Ukraine. «Ärmere Länder sind durch den Krieg grossen Risiken ausgesetzt, weil sie im Vergleich zu reicheren Ländern einen grösseren Teil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben», schreibt die WTO. «Das könnte Folgen für die politische Stabilität haben.»
Ngozi warnte vor Nahrungsmittelunruhen – und verwies dabei explizit auf die Proteste in Sri Lanka.