Putins Krieg Tote Generäle, unwillige Soldaten und militarisierte Agenten

Von Philipp Dahm

10.5.2022

Biden unterzeichnet Gesetz für schnellere Waffenlieferungen an die Ukraine

Biden unterzeichnet Gesetz für schnellere Waffenlieferungen an die Ukraine

US-Präsident Joe Biden hat ein Gesetz unterzeichnet, das schnellere Waffenlieferungen an die Ukraine ermöglichen soll. Die USA würden damit den Kampf der Ukraine unterstützen, «ihr Land und ihre Demokratie gegen Putins brutalen Krieg zu verteidige

10.05.2022

Es läuft nicht gut für Wladimir Putin: Weil die Soldaten unmotiviert sind, schickt der Kreml hohe Militärs in die Ukraine, die dort teils getötet werden. Nun soll der militärische Geheimdienst das Ruder herumreissen.

Von Philipp Dahm

10.5.2022

Joe Biden ist besorgt: «Putin hat gerade keinen Ausweg, und ich versuche, herauszufinden, was wir deswegen tun sollen», sagt der US-Präsident am 9. Mai in Washington. Und Joe Biden ist sauer – weil Medien in der ganzen Welt berichtet haben, seine Geheimdienste würden Kiew dabei helfen, russische Generäle aufzuspüren, damit Ukrainer sie töten können.

Obwohl seine Sprecherin seinen Unmut kundtut und sagt, die Informationen seien «fehlerhaft», regt sich der 79-Jährige laut CNN derart auf, dass er selbst zum Telefonhörer greift. Nacheinander müssen sich Verteidigungsminister Lloyd Austin, CIA-Chef William Burns und Avril Haines, die Direktorin der Nationalen Geheimdienste, eine Standpauke anhören. «Keine Leaks mehr», fordert Biden furios.

Wladimir Putin hingegen kann von solchen Problemen nur träumen. Für den russischen Präsidenten läuft kaum etwas nach Plan: Obwohl Russland seine Truppen im Norden der Ukraine abgezogen hat, um sie im Donbass zu konzentrieren, macht die Armee kaum Geländegewinne. Das ist schlecht für die Moral der Soldaten, um die es ohnehin nicht gut bestellt sein soll.

Truppe ohne Moral – Generäle im Visier

Es gebe diverse «anekdotische Berichte» über Befehlsverweigerungen, nach denen «Offiziere mittleren Grades und sogar auf Niveau der Bataillone es entweder ablehnen, Befehle zu befolgen, oder nicht mit der Bereitwilligkeit durchführen, die man bei einem Offizier erwartet», sagt eine Quelle aus dem Pentagon dem «Washington Examiner». Die Offensive verlaufe daher «stufenweise und irgendwie blutleer».

Moral der Russen im Visier: Ein Ukrainer schiesst am 9. Mai nahe Charkiw einen Mörser ab.
Moral der Russen im Visier: Ein Ukrainer schiesst am 9. Mai nahe Charkiw einen Mörser ab.
EPA

Und wenn man dem US-Sender ABC News Glauben schenkt, bedingt ein Problem das andere: Die miese Moral der Truppe zwingt demnach den Kreml dazu, hohe Offiziere an die Front zu schicken, um die Soldaten auf Linie zu bringen. Zwölf Generäle will die ukrainische Armee nach eigenen Angaben bereits getötet haben. Die Zahl wurde weder von Moskau noch von Washington kommentiert.

Ein solcher Verlust wäre «ziemlich ungewöhnlich», ordnet der frühere Army-Offizier Steve Ganyard ein: «Man muss vielleicht bis zum Zweiten Weltkrieg zurückgehen, um solche Proportionen zu haben.» Der Umstand zeige zum einen, dass die Generäle an die Front müssten, um sicherzustellen, dass der Schlachtplan so vollzogen wird, wie es geplant war. «Aber er impliziert auch fehlendes Vertrauen in die Truppe, wenn sie mit so vielen hohen Offizieren so weit vorne sein müssen.»

Militärgeheimdienst übernimmt

Weiterhin habe der Kreml nicht in die Kommando- und Kommunikationsstrukturen investiert, weiss Ganyard. «Die Russen nutzen nicht einmal Verschlüsselungen, sodass jeder zuhören kann, sofern man die Frequenz findet», so der frühere Colonel. Das passe zu den «sehr glaubwürdigen» Berichten, nach denen Moskaus Soldaten der Zivilbevölkerung im grossen Stil die Handys abnähmen.

Ihre Social-Media-Posts würden ebenfalls helfen, die russischen Soldaten zu lokalisieren. Doch die Probleme beschränken sich nicht auf die unteren Dienstgrade. Die Armee hat ein Problem mit ihrer Führungsstruktur, glaubt Mick Mulroy, ein früherer Pentagon-Mitarbeiter: «Dass nicht delegiert wird, ist ein weiterer Grund, dass das Militär so schlecht abschneidet.»

Dass seinem Einmarsch nur schlechte Noten gegeben werden können, weiss auch Wladimir Putin. Und der Kreml-Chef reagiert, wie die russischen Investigativ-Journalisten Irina Borogan und Andrei Soldatow beim Center for European Policy Analysis schreiben: Demnach hat Putin dem FSB die Verantwortung für die Aufklärung in der Ukraine entzogen und dem Militärgeheimdienst GRU übertragen.

Ziviles GPS mit Tape ans Cockpit geklebt

Der FSB ist analog zur CIA der grösste russische Geheimdienst, der GRU die militarisierte Variante. Das Sagen habe nun der stellvertretende Leiter des GRU. Wladimir Aleksejew, der bei der Spetsnaz-Spezialeinheit und in Syrien gedient hat, soll die Verantwortung für die chemischen Angriffe auf russische Oppositionelle im britischen Salisbury 2018 tragen. Er steht wegen Cyberattacken seit Jahren auf einer US-Sanktionsliste.

Speznaz des GRU im Dagestan-Krieg 1999.
Speznaz des GRU im Dagestan-Krieg 1999.
Commons/Aleksey Yermolov

Der Kreml hat im Krieg in der Ukraine ausserdem die Führungsstruktur verändert. Während vor dem April noch die Generäle der Militärbezirke West und Süd gemeinsam für die Kampagne zuständig waren, liegt die Befehlsgewalt nun allein beim Chef des Letzteren: Der 60 Jahre alte Alexander Dwornikow, ein Held der Russischen Föderation, soll dem Vorstoss neuen Schwung geben.

Doch auch ein als kalt und brutal geltender Agent wie Aleksejew und ein Veteran wie General Dwornikow können wenig ausrichten, wenn die Soldaten unwillig und das Material von gestern ist. Bezeichnend ist die Meldung, dass in abgeschossenen russischen Flugzeugen angeblich zivile GPS-Geräte gefunden werden, die plump mit Klebeband am Cockpit befestigt worden sein sollen.

Ganz aktuell sieht es eher danach aus, als könnte es Grabenkämpfe wie im Ersten Weltkrieg geben. Der Westen versucht offenbar, Kiew mit der Lieferung diverser Artilleriesysteme darauf vorzubereiten. Dass Moskau in dieser Phase schneller vorankommt, darf bezweifelt werden.