Corona in Israel «Der vierte Lockdown ist derzeit eher als Drohung zu verstehen»

Von Lukas Meyer

11.3.2021

Am Sonntag öffneten in Israel die Restaurants, doch Gesundheitsexperten warnen vor einem nächsten Lockdown. Zwei Schweizer in Tel Aviv über die Lage im Land.

Von Lukas Meyer

Zwei Wochen vor den Wahlen am 23. März öffneten in Israel am Sonntag Restaurants und Cafés ihre Türen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verkündete bereits, dass das Land die Pandemie dank der Impfung hinter sich habe.

Über die Hälfte der Bevölkerung hat die erste Impfdosis bekommen. Fast vier Millionen (43%) haben auch die zweite Dosis erhalten und damit einen «Grünen Pass», mit dem gewisse Erleichterungen verbunden sind. Die Positivitätsrate liegt bei 3,3 Prozent, gestern verzeichnete das Land 1608 neue Corona-Fälle. Das Purim-Fest von Ende Februar habe sich nicht in den Zahlen niedergeschlagen, sagte der Direktor des Gesundheitsministeriums.

Allerdings lag letzten Freitag der R-Wert bei über 1, am Mittwoch bei 0,9 – Gesundheitsexperten sind weiterhin besorgt. Man müsse vorsichtig bleiben, warnte der Arzt Nachman Ash, der die Bekämpfung der Pandemie koordiniert. Die Lage sei unsicher, und es bestehe die Möglichkeit eines vierten Lockdowns. Laut einer Umfrage glauben 62 Prozent der Israeli, dass das nur eine Frage der Zeit ist.

«Ein grosses Stück Lebensfreude»

Die Zürcherin Joëlle Weil  arbeitet als freie Journalistin in Tel Aviv. Sie ist  am Dienstag zum ersten Mal seit sieben Monaten wieder in ein Restaurant gegangen. «Bin ganz aufgeregt», schrieb sie auf Twitter.

Auf Anfrage von «blue News» schreibt sie: «Dass wieder etwas Normalität einkehrt, entspannt die Menschen spürbar. Die neuen Lockerungen kommen hier pünktlich zum Frühlingsbeginn und sie geben den Israelis wieder ein grosses Stück Lebensfreude zurück.»

In einem Restaurant war Alex* noch nicht, er setzt sich aber wieder in Cafés ins Freie. Der schweizerisch-israelische Doppelbürger wohnt in Tel Aviv und bleibt zurückhaltend, obwohl er geimpft ist. Die Restaurants seien alle sehr voll – «so wie früher, vielleicht sogar noch mehr», sagt er gegenüber «blue News».

Bald soll Alex auch wieder an die Universität gehen, an der er forscht. Diese sei zwar grundsätzlich offen gewesen, «aber kaum jemand ging hin, die Veranstaltungen fanden über Zoom statt». Nun gibt es wieder eine gewisse Präsenzpflicht: «Sie sind sich also sehr sicher, dass die Impfung wirkt. Alle sind sehr zuversichtlich und planen entsprechend.» Er rechnet damit, dass auch andere Arbeitnehmende bald wieder zu physischer Präsenz verpflichtet werden.

Viele sind noch nicht geimpft

Ob ein vierter Lockdown bevorsteht, mag Alex nicht so recht einschätzen: «Obwohl sie jetzt alles aufmachen, bleibt ein grosser Teil der Bevölkerung – zum Beispiel die unter 16-Jährigen – ungeimpft, und es ist noch nicht abzusehen, welchen Einfluss neue Virusmutationen auf die Erhöhung des R-Wertes haben werden.»

Joëlle Weil meint dazu: «Der vierte Lockdown ist derzeit eher als Drohung zu verstehen: Das Pessachfest und Ramadan stehen vor der Tür. Beides Feste, an denen grosse Gruppen von Menschen über einen längeren Zeitraum zusammenkommen: Pessach dauert eine Woche, Ramadan einen Monat. Experten wittern da natürlich riesiges Ansteckungspotenzial. Denn obwohl über fünf Millionen Israelis bereits geimpft sind, sind es vier Millionen noch nicht.»

*Voller Name der Redaktion bekannt