Schicksalswahl in der Türkei
Nach 20 Jahren unter Präsident Erdogan steht das Land am Scheideweg. Während Amtsinhaber Erdogan an seinem autoritären Führungsstil festhalten dürfte, hat sein Herausforderer Kilicdaroglu einen demokratischen Neuanfang angekündigt.
14.05.2023
In der Türkei haben die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen begonnen. Umfragen sehen den Oppositionellen Kilicdaroglu knapp vorn. Amtsinhaber Erdogan warnt seine Anhänger vor dem Herausforderer.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Heute finden in der Türkei die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt.
- Recep Tayp Erdogan, seit 20 Jahren und zunehmend autokratischer an der Macht, kämpft um eine weitere, fünfjährige Amtszeit.
- Die Umfragen sehen den Kemal Kilicdarglu von einer oppositionellen Sechs-Parteien-Allianz knapp vorn.
- Erhält kein Kandidat mehr als 50 Prozent der abgegebenen Stimmen, kommt es am 28. Mai zur Stichwahl.
Recep Tayp Erdogan führt die Türkei seit 20 Jahren mit harter Hand. Seine Anhänger*innen verehren ihn glühend. Er habe die Türkei gross und modern gemacht und den Religiösen im Land ermöglicht, den Islam offen zu leben.
Ein wachsender Teil der Bevölkerung aber will eine Wende: Weg von der Machtkonzentration auf den Präsidenten, weg von seinen religiös-konservativen Ideen und vor allem weg von der schweren Wirtschaftskrise, in der die Türkei steckt.
Erdogan tritt für eine weitere fünfjährige Amtszeit als Präsident an. In Umfragen lag der 69-Jährige, zunehmend autoritär regierende, Erdogan hinter seinem grössten Herausforderer Kemal Kilicdaroglu. Der 74-Jährige von der Mitte-Links-Partei CHP ist der gemeinsame Kandidat einer Allianz der Opposition.
Ebenfalls im Rennen ist der frühere Akademiker Sinan Ogan. Er wird von einer einwandererfeindlichen Partei unterstützt. Der Politiker Muharrem Ince hat sich am Donnerstag aus dem Präsidentschaftsrennen zurückgezogen, doch hat die Wahlbehörde seinen Rückzug für ungültig befunden. Deshalb werden Stimmen gezählt, die für ihn abgegeben werden. Wenn kein Kandidat mehr als 50 Prozent der Stimmen erhält, gibt es am 28. Mai eine Stichwahl.
Opfer des Erdbebens kritisieren Erdogans Krisen-Management
Abgestimmt wird am Sonntag auch über Sitze im Parlament. Die Wahllokale schliessen um 17.00 Uhr Ortszeit (16.00 Uhr deutscher Zeit). Medienorganisationen dürfen bis 20.00 Uhr deutscher Zeit nicht über Teilergebnisse berichten, Prognosen gibt es nicht. Die Wahlbeteiligung in der Türkei ist traditionell hoch. Stimmberechtigt sind mehr als 64 Millionen Menschen.
In der Türkei sind noch die Auswirkungen des starken Erdbebens vom Februar zu spüren, bei dem mehr als 50'000 Menschen ihr Leben verloren haben. Die Erdogan-Regierung wird für eine langsame Reaktion auf die Katastrophe kritisiert. Um Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen, die von der Inflation stark betroffen sind, hat Erdogan Löhne und Renten erhöht. Zudem subventioniert er Strom- und Gasrechnungen.
Die Wahlen sorgen international für Aufmerksamkeit, weil sie zeigen werden, ob eine geeinte Opposition Erdogan aus dem Amt verdrängen kann. Dieser hat fast die gesamte Macht des Staates bei sich konzentriert.
Opposition will die Türkei demokratischer machen
Für seinen Wahlkampf hat er staatliche Ressourcen verwendet und wie in vorherigen Jahren seine Macht über die Medien genutzt. Im Wahlkampf setzte er auch auf Spaltung. Erdogan warf der Opposition vor, mit Terroristen zusammenzuarbeiten und an LGBTQ-Rechten festzuhalten, die eine Bedrohung für traditionelle Familienwerte seien.
Die Sechs-Parteien-Allianz von Kilicdaroglu hat versprochen, das Präsidialsystem von Erdogan abzuschaffen, das bei einem Referendum 2017 mit knapper Mehrheit beschlossen wurde. Stattdessen will sie die Türkei wieder in eine parlamentarische Demokratie verwandeln. Die Opposition will nach eigenen Angaben auch für die Unabhängigkeit der Justiz und der Zentralbank und eine Gewaltenteilung sorgen. Sie werde eine Einschränkung der Demokratie und Meinungsfreiheit rückgängig machen, die es unter Erdogan gegeben hat.