Afghanistan US-Militärs widersprechen Biden bei Anhörung zum Afghanistan-Abzug

SDA

29.9.2021 - 09:49

dpatopbilder - Mark Milley, Generalstabschef der USA, nimmt an einer Anhörung des Senatsausschusses für Streitkräfte über den Truppenabzug aus Afghanistan teil. Bei der Anhörung am Dienstag haben oberste US-Militärs Angaben von Präsident Joe Biden zum Truppenabzug aus Afghanistan widersprochen. Foto: Stefani Reynolds/Pool The New York Times/AP/dpa
dpatopbilder - Mark Milley, Generalstabschef der USA, nimmt an einer Anhörung des Senatsausschusses für Streitkräfte über den Truppenabzug aus Afghanistan teil. Bei der Anhörung am Dienstag haben oberste US-Militärs Angaben von Präsident Joe Biden zum Truppenabzug aus Afghanistan widersprochen. Foto: Stefani Reynolds/Pool The New York Times/AP/dpa
Keystone

Oberste US-Militärs haben Angaben von Präsident Joe Biden zum Truppenabzug aus Afghanistan widersprochen.

Bei einer Anhörung im US-Senat am Dienstag sagten Generalstabschef Mark Milley und General Kenneth McKenzie, der zuständige US-Kommandeur für die Region, sie persönlich hätten es für besser gehalten, 2500 US-Soldaten in Afghanistan zu lassen. Beide wollten sich nicht dazu äussern, was sie dem Präsidenten im vertraulichen Gespräch geraten hätten.

McKenzie machte aber klar, seine persönliche Einschätzung habe seine Empfehlung an den Präsidenten geprägt. Milley betonte, er habe bereits im Herbst 2020 vor einem zu schnellen Truppenabzug gewarnt – und sei bis heute dabei geblieben. Biden hatte im August in einem Interview ausdrücklich gesagt, keiner seiner Top-Militärberater habe ihm gesagt, er solle 2500 Soldaten im Land behalten.

Die letzten US-Truppen hatten Afghanistan Ende August verlassen. Damit endete der internationale Militäreinsatz in dem Land nach fast 20 Jahren – und auch die militärische Evakuierungsmission für westliche Staatsbürger und schutzbedürftige Afghanen. Die Taliban hatten Mitte August die Macht in Kabul übernommen. Der internationale Abzug wurde durch ihren rasanten Eroberungsfeldzug erschwert und gestaltete sich chaotisch. Insgesamt stiess der Afghanistan-Abzug der Amerikaner international auf einige Kritik und Unverständnis.

Bidens Amtsvorgänger Donald Trump hatte den Grundstein dafür gelegt – durch ein Abkommen mit den Taliban, das einen Abzug ursprünglich bis zum 1. Mai vorsah. Diese Vereinbarung hatte eigentlich eine politische Lösung zum Ziel. Biden kündigte mehrere Monate nach seinem Amtsantritt dann im April an, alle US-Soldaten spätestens bis zum 11. September bedingungslos aus Afghanistan abzuziehen. Im Juli zog Biden das Datum für den vollständigen Abzug auf den 31. August vor.

Mitte August, kurz nach dem Fall Kabuls, hatte Biden dem Fernsehsender ABC ein Interview gegeben. Darin sagte er auf die Frage nach Warnungen militärischer Berater vor einem zu schnellen Truppenabzug, hierzu habe es verschiedene Standpunkte gegeben. Auf Nachfrage betonte Biden aber klar, «niemand» seiner militärischen Berater habe ihm empfohlen, 2500 Soldaten in Afghanistan zu lassen.

Die Aussagen aus der Anhörung stehen im Widerspruch dazu. McKenzie sagte, er werde nicht offenlegen, welche Empfehlung er dem Präsidenten gegeben habe. Er schob allerdings nach: «Aber ich sage Ihnen meine ehrliche Meinung, und meine ehrliche Meinung und Sichtweise haben meine Empfehlung geprägt.» Er sei der Ansicht gewesen, 2500 US-Soldaten sollten in Afghanistan bleiben. Im Herbst 2020, also noch zu Trumps Amtszeit, sei er auch dafür gewesen, die zu dem Zeitpunkt noch 4500 in Afghanistan stationierten US-Soldaten dort zu lassen. Er habe die Meinung vertreten, dass der Abzug der Truppen unausweichlich zum Kollaps der afghanischen Sicherheitskräfte und letztlich der afghanischen Regierung führen würde.

Milley schloss sich der Einschätzung an. Auch er habe bereits im Herbst 2020 davor gewarnt, dass ein zu schneller Abzug der Truppen aus Afghanistan die Gefahr einer «vollständigen Übernahme durch die Taliban» berge oder zu einem «allgemeinen Bürgerkrieg» führen könnte. «Das war vor einem Jahr, und meine Einschätzung ist bis heute gleich geblieben», betonte er. Den derart raschen Zusammenbruch des afghanischen Militärs und der Regierung habe man allerdings «absolut» nicht kommen sehen. Geheimdienste hätten eine Machtübernahme der Taliban im Spätherbst oder Winter erwartet, vielleicht auch im kommenden Frühjahr.

McKenzie sagte generell mit Blick auf die Einschätzungen, die Biden zu Afghanistan bekommen habe: «Ich bin sicher, dass der Präsident alle Empfehlungen gehört hat und ihnen sehr aufmerksam zugehört hat.»

Die Sprecherin des Weissen Hauses, Jen Psaki, wies den Vorwurf zurück, Biden habe die Öffentlichkeit darüber in die Irre geführt, was hochrangige Militärs ihm geraten hätten. Es habe verschiedene Standpunkte gegeben, und das habe der Präsident auch klar gemacht. Mit Blick auf einen möglichen fortdauernden Einsatz von 2500 Soldaten argumentierte sie, dies hätte angesichts der Vereinbarung mit den Taliban eine Eskalation bedeutet, und am Ende wäre eine Verstärkung der Truppen darüber hinaus nötig geworden. Niemand habe gesagt, dass auch in fünf Jahren noch 2500 US-Soldaten ausreichend wären.

Auch Psaki wollte sich nicht genau dazu äussern, welche konkreten Empfehlungen Biden von wem vor seiner Entscheidung bekommen habe. Sie sagte lediglich, der Präsident habe klare Empfehlungen ohne Beschönigungen erbeten, er begrüsse Offenheit und Debatten mit seinen Beratern. Aber er stimme nicht immer mit jedem Ratschlag überein. «Am Ende, unabhängig von den Ratschlägen, liegt die Entscheidung bei ihm. Er ist der Oberbefehlshaber. Er ist der Präsident», sagte Psaki. Und Biden habe entschieden, den Krieg nach 20 Jahren zu beenden.

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin gestand bei der Anhörung im Senat ein, man habe das Ausmass der Korruption und der schlechten Führung in der afghanischen Führung nicht erkannt. Auch habe man nicht gesehen, dass die von der Trump-Regierung geschlossene Vereinbarung mit den Taliban die afghanischen Streitkräfte demoralisiert habe. Auch Milley sagte: «Es ist klar, es ist offensichtlich, dass der Krieg in Afghanistan nicht zu den Bedingungen geendet hat, die wir wollten.»