Deutsches SuperwahljahrDie CDU verliert in zwei Hochburgen und muss mit dem Machtverlust rechnen
Anne Funk/mit Material der dpa
15.3.2021
Die Partei von Angela Merkel hat bei den Landtagswahlen in Deutschland mit herben Verlusten zu kämpfen. Die Sorge darum, ob die CDU nach dem Ende der Amtszeit der Kanzlerin noch an der Regierung beteiligt sein wird, wächst.
15.03.2021, 16:00
Anne Funk/mit Material der dpa
Mit den wichtigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist Deutschland ins Superwahljahr gestartet. Für die CDU entwickelte sich der Wahlsonntag zum Wahldebakel, die Christdemokraten sehen sich mit einem historisch schlechten Ergebnis konfrontiert. Die bisher mitregierende CDU stürzte in ihrer einstigen Hochburg Baden-Württemberg auf 24,1 Prozent, auch in Rheinland-Pfalz konnte sie sich mit 27,7 Prozent der Stimmen nur bis auf Platz 2 vorarbeiten.
An sich ist das Ergebnis kein schlechtes, geht die CDU doch jeweils als zweitstärkste Partei aus dem Rennen. Doch sie schneidet damit so schlecht ab wie nie zuvor. In beiden Ländern könnten SPD, FDP und Grüne nun Ampel-Bündnisse schmieden – und die CDU aussen vor lassen. In der Union wachsen Befürchtungen, dies könne ein Signal auch für den Bund sein. Das Undenkbare wird denkbar – und eine Regierung ohne Beteiligung der CDU liegt nach 16 Jahren Bundeskanzlerin Angela Merkel plötzlich im Bereich des Möglichen.
Was hat die CDU falsch gemacht?
Die CDU/CSU hat aktuell ein grosses Paket an Problemen. Die Frage der Kanzlerkandidatur ist noch nicht geklärt. Die Corona-Politik der Bundesregierung sorgt für immer mehr Frust bei den Bürgern, ein nicht enden wollender Lockdown steigert den Unmut. Bei der Impfstrategie fühlen sich die Deutschen im Vergleich zu anderen Ländern deklassiert. Obendrein wird das Vertrauen in die CDU durch die sogenannte Masken-Affäre zusätzlich schwer erschüttert.
Bis zur Bundestagswahl am 26. September sind es nur noch sechs Monate, das Rennen um das Kanzleramt ist noch immer vollkommen offen. Welche Parteien im Herbst die Regierung bilden werden, darüber lässt sich heute weniger denn je eine Prognose machen. Die Siege der Grünen in Baden-Württemberg und der SPD in Rheinland-Pfalz lassen Politiker ausserhalb der CDU hoffen, den zukünftigen deutschen Kanzler zu stellen.
So erklärte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz nach der Wahl kämpferisch, eine Regierungsbildung, «bei der die SPD führen kann und den Kanzler stellen kann», sei möglich. Diese für die CDU und ihre Schwesterpartei CSU harte Realität musste auch der CSU-Parteivorsitzende Markus Söder nach den Wahlergebnissen eingestehen.
Es brauche eine grundlegende Überlegung, wie sich die Partei in den nächsten Wochen aufstellen und verbessern könne, erklärte er am Montag in einem Pressestatement. «Denn eines ist seit gestern Abend klar: Es gibt theoretisch Mehrheiten jenseits der Union.» Der Glaube, wenige Prozent würden nichts ausmachen, die CDU/CSU werde auf jeden Fall den Kanzler stellen, sei «seit gestern Abend nicht mehr zu 100 Prozent sicher».
Die Grünen werden wohl nach ihrem Rekordergebnis in Baden-Württemberg auch auf Bundesebene zulegen können, wenn sie ihre möglichen Kanzlerkandidaten Annalena Baerbock oder Robert Habeck erst ausgerufen haben und geschickt in Szene setzen.
Hinzu kommt: Die Beliebtheit des neuen CDU-Chefs Armin Laschet hält sich derzeit in Grenzen, weder innerhalb noch ausserhalb der Partei sorgt der amtierende Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen für Begeisterung, wie der «Tages-Anzeiger» kommentiert. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder werden aktuell höhere Chancen als Kanzlerkandidat ausgerechnet – was für die grosse Schwester CDU allerdings einer Demütigung gleichkäme. Wer Kanzlerkandidat wird, das soll sowohl bei der CDU als auch bei den Grünen nach Ostern entschieden werden.
Was hat die Pandemie mit dem Wahlergebnis zu tun?
Wäre es allein die Kanzlerfrage, die Probleme der CDU wären wohl einigermassen überschaubar. Doch zu Buche schlägt vor allem auch die Pandemie. Die Corona-Politik lässt immer mehr Bürger, die der deutschen Regierung lange ein gutes Zeugnis ausstellten, ratlos zurück.
Vor allem an CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn und CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier wurde die Kritik zuletzt lauter: schleppende Corona-Impfungen, verschobene Massentestungen sowie verzögerte Nothilfezahlungen an Firmen und Selbstständige werfen kein gutes Licht auf die CDU. Besserung ist kaum in Sicht, denn die dritte Pandemie-Welle baut sich auf, trotz langer Wintermonate im Lockdown.
Einen Imageschaden grösseren Ausmasses wird die CDU aber wohl durch die Korruptions- und Lobbyismus-Affäre nehmen – die erste Quittung dafür hat sie bereits bei den Landtagswahlen kassiert. Mehrere bisherige Bundestagsabgeordnete stehen unter Korruptionsverdacht, weil sie bei Geschäften mit Masken Hunderttausende Euro Provision kassiert oder Zuwendungen aus dem autokratischen Aserbaidschan angenommen haben sollen.
Wieso gewannen die Kandidaten von SPD und den Grünen?
Entschieden wurden die Wahlen vor allem auch durch Persönlichkeit. Die Wahlsiege vom Sonntag gehen zu einem grossen Teil aufs Konto der populären und über Parteigrenzen hinweg beliebten Regierungschefs. Sogar die meisten CDU-Sympathisanten in Baden-Württemberg wünschten sich laut Umfragen vorab, dass Winfried Kretschmann weiter Ministerpräsident bleibt – er tritt nun seine dritte Amtszeit an.
Gleiches gilt für Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz. Seit Jahren sind die Beliebtheitswerte der amtierenden Ministerpräsidentin unverändert hoch, schreibt der «Spiegel». Kein Wunder, dass die SPD sich den «Malu-Effekt» zunutze machte und ihren Wahlkampf komplett auf sie abstimmte.
Dass die Wahlsiege an die Personen gebunden sind, zeigt zusätzlich der Blick ins jeweils andere Land: Die SPD in Baden-Württemberg kommt dort nur knapp über 10 Prozent, die Grünen in Rheinland-Pfalz landen trotz starker Zugewinne knapp unter der 10-Prozent-Marke.
Profitierten die Rechten vom Corona-Frust?
Abseits des Kampfes um die Führungspositionen zeigt sich ein weiterer, durchaus bemerkenswerter Ausgang der Wahl. Auch wenn sich nach einem Jahr Coronakrise der Frust bei der Bevölkerung aufgestaut hat, hatte dies keine Stärkung der extremen politischen Ränder zur Folge.
Die rechte AfD blieb in beiden Ländern deutlich hinter den Ergebnissen von 2016 zurück, die damals aber auch stark unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise standen. Bei der Wahl am Sonntag holte die AfD in Baden-Württemberg 11 Prozent (2016: 15,1), in Rheinland-Pfalz 10 (2016: 12,6). Die Gründe für die Verluste liegen laut der «FAZ» unter anderem in der sorglosen Haltung in der Coronakrise.
Ausserdem würden radikalere AfD-Anhänger der Partei vorwerfen, zu viele Kompromisse einzugehen, statt ingesamt die Corona-Politik der Regierung zu verdammen. 2016 war das «Gewinnerthema» die Migrationspolitik, ein neues habe die AfD bisher nicht gefunden.
Deutschland befindet sich 2021 in einem Superwahljahr: Die Bundestagswahl, bei der sich auch die Nachfolge von Angela Merkel entscheiden wird, findet am 26. September statt. Zeitgleich wird in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt, zuvor finden am 6. Juni in Sachsen-Anhalt Landtagswahlen statt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bereits vor einiger Zeit erklärt, dass sie sich nach vier Amtszeiten aus der aktiven Politik zurückziehen werde.