Warschau erblüht in neuem Glanz Vom hässlichen Entlein zur modernen Metropole

von Vanessa Gera, AP

12.6.2018

Die polnische Hauptstadt boomt. Getragen vom Wirtschaftswachstum entwickelt sich Warschau zur internationalen Metropole in Osteuropa. Aber nicht alle können am neuen Wohlstand teilhaben.

Warschau erlebt gerade seine zweite Wiedergeburt seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Nazis hatten die historische Stadt in Schutt und Asche gelegt, die Kommunisten errichteten dann ein neues Warschau als Beispiel sozialistischer Städteplanung, das zum grauen und trostlosen Symbol ihrer Herrschaft wurde. Doch fast drei Jahrzehnte nach dem Ende des Kommunismus ist Warschau zu einer boomenden Stadt aufgeblüht - mit schicker Glas-Architektur, modernen Museen und restaurierten historischen Gebäuden.

«Das ist eine komplett andere Stadt im Vergleich zu vor 20 Jahren», sagt Joanna Kedzierska. Sie war sechs Jahre alt, als 1989 der Kommunismus zusammenbrach. Sie erinnert sich an viele Jahre danach, in der Warschau eine chaotische, schmutzige und in einigen Stadtteilen auch von Kriminalität erschütterte Stadt war. «Warschau ist sehr lebhaft und international geworden», sagt die 34-Jährige, die die Öffentlichkeitsarbeit für ein Software-Startup betreut. «Und es gibt kaum noch Gegenden, die gefährlich sind.»

Mehr als vier Milliarden Euro kamen aus der EU

Nach dem Ende des Kommunismus floss ausländisches Geld nach Warschau. Es entstanden Hochhäuser, internationale Hotels und Einkaufszentren. Beschleunigt wurde diese Entwicklung, als Polen 2004 EU-Mitglied wurde. Seit 2007 wurden mehr als vier Milliarden Euro von der EU in Hunderte Projekte investiert, wie Stadtsprecher Bartosz Milczarczyk sagt.

Rund 1,7 Millionen Menschen leben heute in Warschau. Eine zweite U-Bahn-Linie wurde gebaut, rund 400 Kilometer Radwege entstanden und die Wasserversorgung wurde grundlegend modernisiert. Zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt hat das Wasser in den Häusern und Wohnungen der Warschauer Trinkwasserqualität.

An der Skyline wird das Ausmass der Veränderung besonders deutlich. Im Zentrum steht noch immer der Kulturpalast, ein zwischen 1952 und 1955 im Stil des Sozialistischen Klassizismus errichteter 237 Meter hoher Wolkenkratzer, der die Polen daran erinnern sollte, dass Moskau das Sagen hat. Um ihn herum sind in den vergangenen Jahren jedoch zahlreiche Hochhäuser aus dem Boden geschossen.

Luxushochhaus in Segelform

Da gibt es zum Beispiel das Luxushochhaus des polnisch-amerikanischen Stararchitekten Daniel Libeskind, das fast so hoch ist wie der Kulturpalast und die Form eines Segels hat. In der einstigen Parteizentrale der Kommunistischen Partei befindet sich heute ein Showroom mit Edelkarossen des Autobauers Ferrari - so als würde man sich damit über die gefallene Ideologie lustig machen.

Die museumsreifen Strassenbahnen wurden langsam ausrangiert, inzwischen verkehren moderne Züge mit Klimaanlage. Grosse Museen haben in den vergangenen gut zehn Jahren geöffnet, etwa das Museum des Warschauer Aufstands, die Kopernikus-Wissenschaftszentrum und das POLIN-Museum zur Geschichte der polnischen Juden. Historische Schätze wie der barocke Wilanow-Palast wurden mit EU-Geldern umfassend restauriert.

Das Wachstum der Stadt wird befeuert von der boomenden polnischen Wirtschaft. Seit 1990 hat sich das Bruttoinlandsprodukt versiebenfacht, das Land hat seitdem keine einzige Rezession erlebt. Auch die Sorgen vor einer Schwächung der Demokratie und vor Russlands Erstarken haben dem keinen Abbruch getan. Im ersten Quartal wuchs die Wirtschaft um 5,2 Prozent.

Trendige Gastronomie und Michelin-Sterne

Die gute Wirtschaftslage hat auch die Bevölkerung in der Stadt verändert. Polen aus kleineren Orten, aber auch Ukrainer, Russen, Deutsche und sogar Inder sind nach Warschau gekommen. Die Arbeitslosenquote liegt bei nur 1,9 Prozent, nochmals weit unter dem landesweiten Schnitt von 6,3 Prozent, der einen historischen Tiefstand bedeutet.

Der neue Wohlstand hat auch die Gastronomie der Stadt belebt. Überall findet man vegane Lokale und Sushi-Läden, Craft-Beer und hochwertige Eiscreme sind ebenfalls weit verbreitet. Erstmals in der Geschichte hat Warschau zwei Spitzenlokale mit jeweils einem Michelin-Stern.

Aber die Gentrifizierung hat auch die Immobilienpreise in die Höhe getrieben. Seit vergangenem Jahr sind die Kosten für eine Stadtwohnung um 26 Prozent gestiegen, wie Karolina Zubel sagt, Expertin beim Zentrum für Sozial- und Wirtschaftsforschung in Warschau.

«Viele Menschen sind gezwungen, in den Vorstädten zu leben, weil sie es sich nicht mehr leisten können, im Stadtzentrum zu wohnen», sagt sie. Die Miete fresse mittlerweile bei vielen einen sehr grossen Teil des Gehalts. Auch die Gewerbemieten in Warschau seien rasant gestiegen, weil grosse Unternehmen aus Städten wie London oder Paris nach Warschau zögen.

Königliche Wiese gehört jetzt dem Volk

An dieser Entwicklung soll sich nach Willen der Stadtführung auch nichts ändern. «Wenn die Investoren nicht Warschau wählen, dann gehen sie nach Prag oder Budapest», sagt Stadtsprecher Milczarczyk. «Also ist es für uns besser, wenn wir zeigen, dass wir die Führer in Zentraleuropa sind und dass das hier ein Platz ist, um zu investieren, Firmen zu gründen und Leute einzustellen.»

Magdalena Barcik zog vor 20 Jahren aus dem Ort Myszkow nach Warschau. Sie findet, dass sich der Fortschritt auch daran zeigt, dass die Menschen mehr Einfluss auf die Entscheidungen der Stadt nehmen können. So darf man etwa inzwischen auf den Wiesen des eleganten Lazienki-Parks sitzen, der einst in königlichem Besitz war. «Es klingt komisch, aber das zeigt, dass die Stadt für die Menschen ist», sagt sie. «Meiner Meinung nach liegt die grösste Veränderung in etwas, was man als "das menschliche Gesicht der Stadt" bezeichnen kann.»

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