USA unter Schock Vor nichts haltgemacht – fünf Antworten zu den Attentaten

Von Philipp Dahm

5.8.2019

Zwei Massaker stürzen die USA in Trauer und lösen auch fassungslose Wut aus. Der eine Täter suchte per Manifest sogar Nachahmer, der andere tötete selbst die eigene Schwester. Fünf Antworten zu den Geschehnissen, die Amerika erschüttern.

Die USA sind in Aufruhr, tiefe Trauer und fassungslose Wut regieren die Nation in diesen Stunden. Die «New York Times» versucht die Geschehnisse so in Worte zu fassen: «In einem Land, das fast schon betäubt auf Männer reagiert, die in Schulen, bei Konzerten und in Kirchen das Feuer eröffnen, haben mehrere Ausbrüche von Waffengewalt in weniger als 24 Stunden die Öffentlichkeit schockiert und erschüttert zurückgelassen.»

[Update 16:30 Uhr] In einer Rede an die Nation brandmarkt Donald Trump die Amokläufe am Montag als einen Angriff auf das ganze Land, die niemals in Vergessenheit geraten dürften. Rassismus habe keinen Platz in der Gesellschaft: Die Bundespolizei FBI werde alle Mittel bekommen, die sie brauche. Der Republikaner spricht auch über konkrete Massnahmen, die ergriffen werden sollen.

Vizepräsident Mike Pence (links) und Donald Trump nach dem Ende der heutigen Ansprache des Präsidenten im Weissen Haus.
Vizepräsident Mike Pence (links) und Donald Trump nach dem Ende der heutigen Ansprache des Präsidenten im Weissen Haus.
Bild: Keystone

Fortschritte müssten bei der Identifikation der Täter gemacht werden. Diese seien ein «Produkt des Internets», das auch für Menschenhandel und Drogenschmuggel verantwortlich sei. Social-Media-Anbieter müssten nun Tools entwerfen, durch die Massenmörder frühzeitig entdeckt werden könnten. Weiter habe sich eine Kultur der Gewaltverherrlichung etabliert, die bekämpft werden müsse – insbesondere Videogames seien dafür verantwortlich, weil sie «Problemjugendliche» verführten.

Weiterhin müssten die Gesetze für psychisch Kranke reformiert und das Waffenrecht angepasst werden, damit «geisteskranke Monster» wie die zwei Attentäter keinen Zugang mehr zu Waffen hätten. Nicht zuletzt will der Präsident als Reaktion auf die Massaker die Einführung der Todesstrafe für alle Formen von Hassverbrechen prüfen.

Melania und Donald Trump fliegen am 4. August von New Jersey nach Washington.
Melania und Donald Trump fliegen am 4. August von New Jersey nach Washington.
Bild: Keystone

Zurück zu unseren fünf Fragen und Antworten: Die Vorgänge, die Täter und die Brutalität ihrer Attacken, auch die davon berührten Schicksale, all das fasst «Bluewin» hier zusammen.

Was ist bekannt?

Samstag, gegen 10.30 Uhr (Ortszeit) in El Paso, Texas: Ein 21-Jähriger eröffnet in einer Wal-Mart-Filiale das Feuer auf die Kunden. Patrick Crusius aus Allen, Texas, tötet 20 von ihnen und verletzt 26 weitere Menschen, bevor er sich der Polizei ergibt. Am Montag verstarb einer der Verletzten im Spital.

Am Sonntagmorgen ist es ein 24-Jähriger, der in Dayton, Ohio, gegen ein Uhr morgens in einem Ausgeh-Quartier auf Nachtschwärmer schiesst: Connor Betts tötet neun Menschen und verletzt 27 weitere, dann erschiesst die Polizei ihn.

Wer sind die Opfer?

Patrick Crusius, der Attentäter in Texas, nimmt offenbar Hispanics ins Visier: Sieben seiner Opfer sind mexikanische Staatsbürger, viele andere haben ihre familiären Wurzeln im Süden der USA. Der Mörder tötet mitleidslos: Unter den 26 Verletzten, von denen sich laut einem Lokalsender wenigstens drei in kritischem Zustand befinden, ist zum Beispiel eine Zehnjährige, laut «Time» auch eine 82-Jährige. Das älteste Todesopfer ist den bisherigen Informationen zufolge 86.

Unter den Opfern ist auch eine 25-Jährige, die mit ihrem Körper ihren zwei Monate alten Sohn schützt – unter ihrer Leiche überlebt der Junge mit Knochenbrüchen. Auch der Vater wird umgebracht, als er seine Frau schützen will. Das Paar hinterlässt neben Baby Paul eine fünfjährige Tochter.

CNN-Gespräch: Hinterbliebe trauern um die tapfere Mutter, die ihr Kind gerettet hat.

Beim Massaker in Ohio sind die neun Ermordeten zwischen 22 und 57 Jahre alt. Sechs von ihnen sind Afroamerikaner. Und: Das jüngste Opfer, Megan Betts, ist die Schwester des Schützen Connor Betts. Betts hat vor nichts haltgemacht.

Was weiss man über den Tathergang?

Patrick Crusius fährt knapp 950 Kilometer von seinem Wohnort nahe Dallas bis nach El Paso an die Grenze. Zwischen 1'000 und 3'000 Menschen, die zum Teil wegen eines «Back to school»-Sonderverkaufs zu Wal Mart gefahren sind, shoppen bei dem Detailhändler, als um 10.39 Uhr der erste Notruf bei der Polizei eingeht. In sechs Minuten sind die Einsatzkräfte vor Ort. Der Schütze ergibt sich, als die Polizei ihn anspricht.

Schüsse im Wal Mart:

Der Fall des Dayton-Schützen ist dagegen fast schon unheimlich. Connor B. hat eine schusssichere Weste an, trägt Maske und Ohrenschützer, als er das Töten beginnt. In seinen Magazinen liegen über 100 Patronen. Der Polizei gelingt es dennoch wie durch ein Wunder, den Täter in weniger als einer Minute zu stellen und auszuschalten. Nicht auszudenken, wie viel mehr Tote zu beklagen gewesen wären, wenn die Cops nicht so schnell und präzise gehandelt hätten.

Was ist das Motiv der Täter?

Der Fall von Patrick Crusius scheint klar: Er veröffentlicht knapp 20 Minuten vor seinem Amoklauf ein Manifest, in dem er von einer «hispanischen Invasion von Texas» schreibt, mit dem Manifest will er Nachahmer motivieren. Der Täter beruft sich dabei explizit auf den Attentäter von Christchurch, der in Neuseeland 51 Besucher einer Moschee ermordet hat. Jener Mann ist wegen Hassverbrechen angeklagt, die Staatsanwaltschaft fordert die Todesstrafe.

Bei Connor Betts ist das Motiv noch unklar. Der junge Mann wird als netter, sogar kluger, mitunter sonderlicher Kerl beschrieben, obwohl er Anfang 2012 wegen einer Todes- und Vergewaltigungsliste von der High School geflogen ist.

Warum steht Donald Trump in der Kritik?

 «Bevor unsere Show beginnt: Sie haben sicher mitbekommen, dass Amerika gerade zwei Massenschiessereien miterleben musste. Und auch wenn es noch zu früh ist, denke ich, es gibt einige Punkte, die erwähnenswert sind», beginnt John Oliver seine Satireshow «Last Week Tonight» am Sonntag.

«Ich weiss: Wenn es um Waffenkontrolle geht, scheint alles schon gesagt. Die depressiv-bekannte Taubheit, die wir gerade fühlen, hilft einem auf kurze Sicht, den Schmerz zu ertragen. Auf lange Sicht kann sie tatsächlich ein echtes Problem werden – denn es wird sich erst etwas ändern, wenn etwas so sehr schmerzt wie es muss. Und das bezieht sich nicht bloss auf Waffen.»

Die Sprache im Manifest des El-Paso-Täters töne bekannt, findet Oliver. «Und natürlich sind weisser Nationalismus und Migranten-Hysterie nicht erst mit diesem Präsidenten aufgekommen, aber er schafft eindeutig eine Umgebung, in der diese Ansichten gären und gedeihen können.»

Dann zeigt der Brite jenen Clip von Trump, als jener Anfang Mai in Florida bei einer Wahlkampfveranstaltung über die Menschen vor der US-Grenze spricht – und was man mit ihnen tun könne.

«Erschiesst sie», ruft einer aus dem Publikum. Donald Trump lacht und sagt: «Nur auf dem platten Land kommt man mit so etwas durch.»

John Olivers Fazit: «Nicht nur auf dem platten Land kommt man mit einer solchen Aussage durch. Man kommt damit überall im Land durch, und, wie er gerade schmerzhaft klargemacht hat, mischt der Präsident dabei mit – was absolut entsetzlich ist. Wir können es uns nicht leisten, hier taub zu sein. Denn wenn das irgendwann, nur für einen Moment, normal werden sollte, sind wir vollkommen: fucked.»

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