Ukraine-Krise Was passiert bei einem Angriff Russlands mit dem Erdgas für Europa?

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9.2.2022 - 20:17

Wenn Russland nur das Gas, das durch die Ukraine fliesst, nicht mehr liefern würde, bräuchte man rund 1,27 Schiffsladungen zusätzliches Flüssigerdgas pro Tag, um diese Lieferung zu ersetzen, sagt ein Experte.
Wenn Russland nur das Gas, das durch die Ukraine fliesst, nicht mehr liefern würde, bräuchte man rund 1,27 Schiffsladungen zusätzliches Flüssigerdgas pro Tag, um diese Lieferung zu ersetzen, sagt ein Experte.
AP Photo/Matthias Rietschel/Keystone (Symbolbild)

Dieser Tage wird intensiv um eine Lösung im Ukraine-Konflikt gerungen. Doch was würde passieren, wenn die Lage weiter eskaliert und Russland im Nachbarland einmarschiert? Insbesondere Europas Abhängigkeit von russischem Erdgas wäre dann ein Problem.

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Im Ukraine-Konflikt geht es auch um die bange Frage, ob in Deutschland und anderen Staaten Europas das Gas knapp werden könnte oder nicht. Denn es gibt Befürchtungen, dass Moskau – sollte es in die Ukraine einmarschieren und daraufhin mit Sanktionen belegt werden – seinerseits den Export von Erdgas stoppen könnte.

Der starke Anstieg der Gaspreise hat den Verbrauchern in Europa zuletzt ohnehin sehr zugesetzt. Europa ist abhängig von Russland, das rund ein Drittel des Erdgases auf dem Kontinent liefert. Insbesondere, weil die europäischen Energievorräte durch einen kalten Winter im vergangenen Jahr, einen schlechten Sommer für erneuerbare Energien und weniger Gaslieferungen aus Russland sowieso schon knapp sind. Washington kündigte zwar an, mehr Flüssigerdgas liefern zu wollen. Doch auch die USA können nur begrenzte Mengen produzieren.



Würde Russland den Export von Gas nach Europa tatsächlich stoppen?

Obwohl es niemand mit Sicherheit sagen kann, scheint ein vollständiger Lieferstopp unwahrscheinlich, da dieser Nachteile für beide Seiten hätte.

Moskau ist auf Energieexporte angewiesen und Europa bleibt – trotz eines gerade unterzeichneten Gasabkommens zwischen Russland und China – eine wichtige Einnahmequelle. Europa ist ebenfalls abhängig von Russland und wird somit vermutlich versuchen, Sanktionen zu vermeiden, die direkt auf russische Energielieferungen abzielen.

Experten zufolge ist es wahrscheinlicher, dass Moskau Gas zurückhält, das durch Pipelines in der Ukraine fliesst. Durch die Ostsee und durch Polen laufende Pipelines wären dann nicht betroffen.

Er denke, dass die Russen selbst im Falle eines weniger schweren Angriffs auf die Ukraine mit hoher Wahrscheinlichkeit Gas, das über die Ukraine nach Deutschland fliesst, stoppen werden, sagt Dan Fried, ein Ex-US-Diplomat, der 2014 nach der Annexion der Halbinsel Krim an der Sanktionspolitik gegen Russland mitarbeitete.

Im vergangenen Jahr flossen nach Angaben des Informationsdienstleisters S&P Global Platt rund ein Viertel der insgesamt 175 Milliarden Kubikmeter Gas, die Russland nach Europa gepumpt hat, durch die Ukraine.

Dass Gaslieferungen gestoppt werden, die nicht durch die Ukraine fliessen, ist eher unwahrscheinlich. «Wenn sie es zu weit treiben, werden sie einen nicht wieder gutzumachenden Bruch mit Europa verursachen, und sie müssen das Öl und Gas irgendwo verkaufen», sagt Fried.

Was können die USA tun?

Die USA sind ein wichtiger Gasproduzent und verschiffen weltweit Rekordmengen Flüssigerdgas (LNG). Dennoch könnte Washington Europa nur bedingt helfen. «Wir reden hier über eine kleine Steigerung der US-Exporte, während das Loch, das Europa füllen müsste, wenn Russland sich zurückziehen oder Europa Russland meiden würde, viel grösser wäre», sagt Ross Wyeno, leitender Analyst für US-Flüssigerdgas bei S&P.

Die US-Regierung fragt aber bereits Gasproduzenten weltweit, ob sie mehr fördern und nach Europa liefern können. Und sie sprechen auch mit Käufern, die möglicherweise länger warten können. «Gibt es ein anderes Land, das eine LNG-Ladung plant, sie aber nicht braucht und sie an Europa abgeben könnte?», überlegt Amy Myers Jaffe, Geschäftsführerin des Climate Policy Lab an der Tufts University mit Verweis auf Brasilien und asiatische Länder.

Im vergangenen Monat gingen zwei Drittel der amerikanischen Flüssigerdgas-Exporte nach Europa. Nach Angaben von S&P gab es auch ein paar Schiffe, die auf dem Weg nach Asien umkehrten und nach Europa fuhren, weil die Käufer dort höhere Preise zahlten.

Gibt es weltweit genug Flüssigerdgas, um das Problem zu lösen?

Der komplette Wegfall russischen Gases könnte nicht ausgeglichen werden. Die Export-Terminals in den USA sind bereits voll ausgelastet und der Bau neuer Terminals würde Kosten in Milliardenhöhe verursachen. Selbst wenn die europäischen LNG-Import-Terminals unter voller Auslastung betrieben würden, erhielte man nur zwei Drittel der Gasmenge, die Russland über Pipelines liefert, sagt Jaffe.

Ausserdem könnte es in Teilen Europas, die weniger Pipeline-Anschlüsse haben, Schwierigkeiten bei der Verteilung geben.

Wenn Russland nur das Gas, das durch die Ukraine fliesst, nicht mehr liefern würde, bräuchte man rund 1,27 Schiffsladungen zusätzliches Flüssigerdgas pro Tag, um diese Lieferung zu ersetzen, sagt Luke Cottell, Analyst bei S&P. Russland könnte auch einen Teil des Gases durch andere Pipelines umleiten, wodurch sich der zusätzliche Bedarf an Flüssigerdgas auf etwa eine halbe Schiffsladung pro Tag reduzieren würde.

Liefert Russland bereits weniger Gas?

Russland hat Experten zufolge seine langfristigen Gaslieferverträge mit Europa erfüllt, aber weniger Gas auf dem Spotmarkt verkauft und seine Speicherbehälter in Europa nicht gefüllt. «Das ist bereits geschehen. Das ist keine Theorie», sagt Jaffe.

Russlands Kürzungen der Spotgaslieferungen haben zu einem starken Anstieg der Erdgaspreise in Europa beigetragen. Verbraucher erhalten höhere Strom- und Gasrechnungen. Um sie zu entlasten, gewähren europäische Regierungen teils Steuererleichterungen und Subventionen.

Gibt es Auswirkungen in den USA?

Im Zuge der vermehrten Flüssigerdgas-Exporte, ist auch Erdgas in den USA teurer geworden. In der letzten Januarwoche seien die Gaspreise in den USA um mehr als 30 Prozent gestiegen, sagt Clark Williams-Derry, Analyst eines US-basierten Instituts für Energiewirtschaft und Finanzanalyse. Dies sei vor allem auf einen herannahenden Wintersturm in Neuengland zurückzuführen, aber die Preise würden auch durch die Verknappung der US-Lieferungen in Folge der ungewissen Situation in Russland beeinflusst. Russland irritiere die europäischen Gasmärkte und in den USA werde über einen Export von Erdgas als «die nächste ‹Berliner Luftbrücke›» gesprochen, sagt Williams-Derry.