Massenevakuierungen in Orenburg Wasser steigt in russischen Flutgebieten auf Rekordmarken

dpa/tcar

12.4.2024

Dramatische Situation für die russischen Bürger im Überschwemmungsgebiet.
Dramatische Situation für die russischen Bürger im Überschwemmungsgebiet.
Bild: Uncredited/AP/dpa

Nach Schneeschmelze und Regenfällen wird die Lage in den überfluteten Gebieten in Russland immer dramatischer. Es kommt zu Massenevakuierungen und die Menschen üben Kritik an der Führung.

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12.4.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Überschwemmungen in Russland im Gebiet Orenburg werden immer dramatischer.
  • Zehntausende Menschen haben bereits ihr Hab und Gut verloren.
  • «Putin, hilf!», rief Anfang der Woche eine Menschenmenge in der Grossstadt Orsk, doch der russische Präsident hat das Flutgebiet bislang nicht besucht.
  • Auch in den benachbarten sibirischen Gebieten Kurgan und Tjumen breiteten sich die Überschwemmungen aus.

Russland wird an der Grenze zwischen Europa und Asien von den schlimmsten Überschwemmungen seit Jahrzehnten heimgesucht. Im Gebiet Orenburg an den südlichen Ausläufern des Ural-Gebirges wurde für Freitag und Samstag der Höhepunkt der Flutwelle des Flusses Ural erwartet. In der dortigen Gebietshauptstadt Orenburg, die über eine halbe Million Einwohner zählt, wurde eine Massenevakuierung ausgerufen.

Zehntausende Menschen haben bereits ihr Hab und Gut verloren; ihre Häuser und Gärten stehen unter Wasser. Und auch wenn die Frühjahrsflut nach der Schneeschmelze in Russland jedes Jahr wiederkehrt, wirft der Umgang mit der diesjährigen Katastrophe doch Schlaglichter auf den Zustand des grössten Landes der Erde.

Flut bricht sämtliche Rekordmarken

Nach einem schneereichen Winter führt der Fluss Ural so viel Wasser wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen. Vor mehr als 80 Jahren, im Jahr 1942, gab es eine grosse Flut mit einem Pegelstand von 9,4 Metern, wie der Orenburger Gouverneur Denis Pasler am Donnerstag bei einer Videoschalte mit Präsident Wladimir Putin sagte. Am Freitagmittag betrug der Pegelstand in Orenburg fast 11,5 Meter, wie die Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf die Behörden meldete. Bürgermeister Sergej Salmin rief die Bewohner mehrerer Stadtteile dazu auf, ihre Häuser zu verlassen. «Das ist kein Übungsalarm», schrieb er auf Telegram. «Diese Wasserstände sind gefährlich.»

Experten erwarteten, dass der Wasserstand des Urals noch auf 11,6 Meter steigen werde. Der über 2400 Kilometer lange Fluss, den Geografen als Teil der Grenze zwischen Europa und Asien definieren, entwässert nach Süden durch Kasachstan ins Kaspische Meer. Auch in Kasachstan herrscht Flutalarm. Dort sind etwa 100 000 Menschen evakuiert worden.

Der Präsident sitzt im Kreml

«Putin, hilf!», rief Anfang der Woche eine Menschenmenge in der Grossstadt Orsk, die als erste unter der Flut des Urals zu leiden hatte. In allen Nöten in Russland richten sich die Hoffnungen zuerst auf den Herrscher im Kreml. Doch der im März mit einem angeblichen Rekordergebnis wiedergewählte Präsident hat das Flutgebiet bislang nicht besucht - so wie er sich während der Heizungsausfälle in vielen Städten im Winter nicht sehen liess oder nach dem schweren Terroranschlag in einer Moskauer Konzerthalle mit mehr als 140 Toten.

Wasser steigt rasch in russischem Überschwemmungsgebiet

Wasser steigt rasch in russischem Überschwemmungsgebiet

STORY: Die Pegelstände in den überschwemmten Gebieten in Russland steigen weiter. Immer mehr Menschen müssen ihre Häuser verlassen. In der Stadt Orenburg am Fluss Ural wurden in der Nacht Hunderte Häuser überflutet. Angesichts des weiter steigenden Wassers forderten die Behörden die Menschen in einigen Stadtteilen dazu auf, ihre Häuser zu verlassen. Der Scheitelpunkt der Flut wird nach Einschätzung der Behörden an diesem Freitag erreicht. In zwei Tagen würden die Überschwemmungen dann voraussichtlich zurückgehen. Den Behörden zufolge lag der Pegelstand in Orenburg zuletzt bei 11,43 Metern. «Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht. Es ist das erste Mal, dass hier eine solche Überschwemmung stattgefunden hat. Das letzte Hochwasser war 1993, und es war viel kleiner.» Orenburg liegt etwa 1200 Kilometer südöstlich von Moskau und hat 550.000 Einwohner. Grosse Teile der Stadt sind bereits überschwemmt. In der südrussischen Oblast Kurgan stieg das Wasser in der Nacht zu Freitag so stark an, dass ein Dorf am Fluss Tobol evakuiert werden musste. In den kommenden Tagen könne es auch dort eine Überschwemmung geben, warnten die Behörden. Die russischen Oblaste Kurgan und Orenburg grenzen an Kasachstan, wo es ebenfalls zu heftigen Überschwemmungen gekommen ist. Nach Angaben des kasachischen Katastrophenschutzministeriums wurden nahezu 100.000 Menschen vor dem Hochwasser in Sicherheit gebracht. In acht der 17 Provinzen Kasachstans gelte weiterhin der Ausnahmezustand.

12.04.2024

Putin werde auf dem Laufenden gehalten, er gebe Anweisungen, versichern sein Sprecher Dmitri Peskow und andere Regierungsvertreter seit Tagen. Am Donnerstag veröffentlichte der Kreml die Mitschrift der Videoschalte mit den Gouverneuren der betroffenen Regionen. Danach hörte sich Putin deren Berichte an, dankte kurz - und dann war Schluss.

Ärger wegen eines gebrochenen Deiches

Dabei gibt es vor Ort viele Klagen über das schleppende Krisenmanagement der Behörden. Medien spekulieren, ob der Katastrophenschutz personell ausgedünnt sei, weil Russland seit zwei Jahren Männer für den Angriffskrieg gegen die Ukraine brauche. Gouverneur Pasler machte sich unbeliebt bei einem Treffen mit Betroffenen in Orsk. Auf die Frage, welche Verantwortung er trage, fragte er angeblich zurück, ob denn nicht alle gemeinsam Verantwortung für die Flut trügen.

Auch der von Putin ins Hochwassergebiet entsandte Katastrophenschutzminister Alexander Kurenkow rief Empörung hervor, als er vor laufenden Kameras erklärte, die Bewohner seien von den Behörden rechtzeitig - eine Woche vor Beginn des Hochwassers - vor der Überschwemmung gewarnt und zur Evakuierung gedrängt worden. Eine ganz klare Falschaussage, denn wenige Tage vor dem Unglück hatten die örtlichen Behörden noch abgewiegelt.

Deich als Symbol des Unmuts

Zum Symbol des Unmuts wurde ein Deich in Orsk, der an mehreren Stellen brach. Eigentlich hätte der für angeblich eine Milliarde Rubel (zehn Millionen Euro) angelegte Damm auf zehn Kilometer Länge die Stadt schützen sollen. Der Chef der Baufirma behauptete, dass wohl Nagetiere dem Deich geschadet hätten. Das nannte Bauminister Irek Faisullin aus Moskau lachhaft. Es sei eher so, dass der unbefestigte Erdwall keine Milliarde Rubel wert gewesen sei. «Wie ich es sehe, kann man das keinen Deich nennen», sagte er. Es habe aber auch niemand eine Flut von zehn Meter Höhe vorhersehen können.

Ural-Hochwasser löst Katastrophe in Russland und Kasachstan aus

Ural-Hochwasser löst Katastrophe in Russland und Kasachstan aus

STORY: In den russischen Hochwassergebieten gibt es noch keine Entwarnung. Nach Dauerregen, Schneeschmelze und einem Dammbruch am Fluss Ural sind weite Gebiete der Region überschwemmt. Der Gouverneur der Oblast Orenburg, Denis Pasler, sprach am Wochenende von der schlimmsten Überflutung seit Beginn der Aufzeichnungen. Der Ural sei auf seiner gesamten Länge von 2400 Kilometer über die Ufer getreten. Tausende Menschen wurden allein in der Stadt Orsk in Sicherheit gebracht. Der Bürgermeister von Orenburg, Sergej Salmin, sagte, das Wasser werde in den nächsten Tagen nur steigen. Unterdessen wurde eine Untersuchung eingeleitet, wer für den Dammbruch in der Region Orsk verantwortlich sei. Laut den Anklagebehörden wird wegen Vernachlässigung der Wartung des 2010 errichteten Dammes ermittelt. Lokalen Behörden zufolge wurde der Damm für eine Wasserhöhe von 5,5 Meter errichtet, der Ural habe inzwischen aber fast 10 Meter erreicht.

10.04.2024

Wie viele Menschen betroffen sind, zeigt die Zahl von 200'000 Anträgen auf Soforthilfen, die bis Freitag im Gebiet Orenburg eingingen. Gezahlt werden 20'000 Rubel (etwa 200 Euro) zur Überbrückung, 50'000 Rubel bei dem Verlust von Eigentum.

Zeit der Frühjahrsflut beginnt erst

Auch in den benachbarten sibirischen Gebieten Kurgan und Tjumen breiteten sich Überschwemmungen aus. Die sibirischen Flüsse entwässern nach Norden in das Eismeer. Regelmässig gibt es Überflutungen, weil das Schmelzwasser aus dem Süden sich an den noch zugefrorenen Teilen der Flussläufe staut. Am Fluss Tobol wurde vorsorglich ein probates russisches Mittel ergriffen: Ein orthodoxer Priester mit Ikone flog im Hubschrauber den Fluss ab, um die schlimmsten Überschwemmungen abzuwenden.