Berlin
Ein Spaziergang in der Natur mit weniger Vogelgezwitscher? Naturschützer und Wissenschaftler halten das für die Zukunft nicht für ausgeschlossen. Sie gehen von einem schleichenden Vogelsterben aus - auch bei häufigen Arten.
Die Zahl der Vögel in Deutschland geht nach Berechnungen des Naturschutzbundes (Nabu) deutlich zurück. Innerhalb von zwölf Jahren seien 12,7 Millionen Brutpaare verloren gegangen, erklärte Nabu-Vogelschutzexperte Lars Lachmann. Das sei ein Minus von 15 Prozent. Betroffen seien auch häufige Arten wie Star und Haussperling.
Lachmann wertete Bestandsdaten der Jahre 1998 bis 2009 aus, die die Bundesregierung 2013 an die EU meldete. Bislang hätten jedoch die Entwicklungen bei einzelnen Arten im Fokus gestanden - und nicht die Summe. Neuere Zahlen werden erst 2019 erwartet.
Regelrechtes Vogelsterben
"Aufgrund dieser dramatischen Zahlen muss man von einem regelrechten Vogelsterben sprechen", sagte Nabu-Präsident Olaf Tschimpke. "Während wir es schaffen, grosse und seltene Vogelarten durch gezielten Artenschutz zu erhalten, brechen gleichzeitig die Bestände unserer Allerweltsvögel ein." Sie fänden in der heutigen aufgeräumten Agrarlandschaft ausserhalb von Naturschutzgebieten keine Überlebensmöglichkeiten mehr.
Auch am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell am Bodensee sieht Forscher Wolfgang Fiedler einen Trend zum schleichenden Verlust von Vogelarten. "Wir haben keine eigenen Daten. Aber es trifft auch Vögel, die wir für häufig halten", sagte er. Darunter seien Haussperling oder Star, die auch Wissenschaftler bisher als "erfolgreich im Umgang mit Menschen" eingeschätzt hätten.
Schwund auch in der Schweiz
Ähnliche Tendenzen sind auch in der Schweiz festzustellen, wie die Vogelwarte Sempach auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda bestätigt. Haussperling und Star seien zwar hierzulande nicht betroffen, dafür aber andere häufige Arten wie Feldlerche und Mehlschwalbe. Bei einigen Spezies liesse sich der Rückgang auf einen Verlust an Nahrungsangebot durch das Verschwinden von Insekten zurückführen.
Eine am Mittwoch veröffentlichte Studie untermauert einen Rückgang bei Insekten in Deutschland. "Ein direkter Zusammenhang mit dem Vogelrückgang ist sehr wahrscheinlich, denn fast alle betroffenen Arten füttern zumindest ihre Jungen mit Insekten", sagte Lars Lachmann vom Nabu. Für den Rückgang bei Insekten und Vögeln machen Naturschützer vor allem eine intensive Landwirtschaft mitverantwortlich.
Mensch bringt Vögel in Bedrängnis
Ornithologe Fiedler vermutet neben dem Insektenschwund eine Vielzahl von Gründen, für die allerdings in erster Linie der Mensch verantwortlich sei: eine weniger vielfältige Naturlandschaft für Feldlerche oder Goldammer, weniger Unterschlupf in der Stadt für Schwalben oder Mauersegler. Dazu kämen generell mehr Umweltgifte und Fremdstoffe, die Einfluss auf die Fruchtbarkeit von Vögeln haben könnten. Auch die Jagd auf Zugvögel im Ausland spiele eine Rolle.
Die Folgen des Verlusts seien schwer einzuschätzen, sagte Fiedler. "Vögel verbreiten Samen und halten Parasiten in Schach." Und ein Ökosystem werde generell weniger stabil, je weniger Elemente es enthalte. Und auch Menschen würden wahrscheinlich vermissen, was sie bisher als Naturerlebnis kennen - darunter auch das vielfältige Vogelgezwitscher.
Im Frühjahr hatte die deutsche Bundesregierung Zahlen zur Lage in landwirtschaftlichen Gebieten in der EU zusammengetragen: Demnach hat sich die Zahl an Vogelbrutpaaren dort zwischen 1980 und 2010 um 300 Millionen verringert, ein Minus von 57 Prozent.
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