Sprache in Kriegszeiten Seit der Invasion sagt man nicht mehr «Hallo» und «Tschüss»

Von Andrea Moser

27.12.2022

Ein ukrainischer Soldat steht neben einem russischen Panzer, der auf den vermuteten Standort weiterer russischer Soldaten schiesst. Die Explosion wird dabei von Ukrainern als «Baumwolle» bezeichnet. (Symbolbild)
Ein ukrainischer Soldat steht neben einem russischen Panzer, der auf den vermuteten Standort weiterer russischer Soldaten schiesst. Die Explosion wird dabei von Ukrainern als «Baumwolle» bezeichnet. (Symbolbild)
Bild: Keystone

Abschätzige Bezeichnungen für den Feind, um sich über diesen lustig zu machen, gibt es speziell in Kriegen diverse. In der Ukraine werden russischen Soldaten beispielsweise als «Orks» bezeichnet. Der Militärjargon ist auch in der zivilen Bevölkerung angekommen. 

Von Andrea Moser

27.12.2022

Wörter, die sich über den russischen Feind lustig machen. Wörter, die die grausame Realität des Krieges verschleiern. Wörter, die in der Ukraine für viele Menschen inzwischen zum normalen Sprachgebrauch gehören.

Viele der neuen Wörter tauchen erst seit Beginn des Konflikts in der Ukraine im Jahr 2014 auf. Das sagt Les Beley vom Linguistikinstitut der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine im «Guardian».

Im Allgemeinen bestehe der Prozess darin, dass es ein bestimmtes Lexikon von Wörtern gibt, die einen engen Gebrauch im Militär hatten und jetzt einen viel breiteren Kontext hätten, so Beley. «Dazu gehört auch ein in der russischen und ukrainischen Sprache gebräuchlicher Militärjargon, der seinen Ursprung im sowjetischen Afghanistan-Krieg hatte.» 

«Raschist» wird sogar in den Nachrichten verwendet 

So bedeute der Ausdruck «Zweihundert» beispielsweise im Militärslang ein Toter oder Schwerverletzter. Grund dafür ist, dass das Gewicht eines Sarges beim Transport von Leichen aus Afghanistan damals rund 200 Kilo wog. 

Die russischen Besatzer werden in der Ukraine inzwischen vielfach als «Okkupanten» bezeichnet, wie einst die Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Vor allem aber nennt man sie «Raschisten» – eine Mischung aus «Raschja», wie Russland auf Englisch ausgesprochen wird, und Faschist. «Raschist» wird sogar in den Nachrichten verwendet. Damit kontern die Ukrainer auch eine von Moskaus Begründungen für den Angriffskrieg – dass ihr Land von angeblichen Faschisten gesäubert werden müsse.

Ebenfalls verbreitet bei den Ukrainern sei «Baumwolle» als Bezeichnung für Explosionen, die auf russische Soldaten abzielen, sagt Beley. Der Ursprung stamme von den Russen selbst. «Russen sprechen nicht von einer Explosion. Sie sagen oft Klapok, was ein lautes Geräusch ist.» Würde man das Wort durch Google Translate jagen, entstehe unter anderem das Wort Baumwolle. 

Ein «Kronleuchter» beschreibt einen Luftangriff mit weissem Phosphor, der nach den herabfallenden Punkten aus strahlend weissem Licht benannt ist. Der «Nullpunkt» ist die Frontlinie. «In den Keller» wird die Gefahr bezeichnet, von den russischen Soldaten gefangen genommen zu werden.

«Avatar» und «Der Herr der Ringe» halten für Namen her

Auch in der Filmwelt bedienen sich Soldaten und erschaffen so Ausdrücke, die im normalen Gebrauch eigentlich eine andere Bedeutung haben. Herhalten musste beispielsweise der Film «Avatar». Als «Avatar» bezeichnen Ukrainer*innen einen betrunkenen Soldaten. Grund dafür ist, wie bei uns in der deutschen Sprache, der Ausdruck «blau» für betrunken. Die Figuren im Film «Avatar» haben eine blaue Hautfarbe. 

Die typisch blauen Figuren aus «Avatar: Der Weg des Wassers», dem zweiten «Avatar»-Teil, der erst kürzlich in den Kinos angelaufen ist. 
Die typisch blauen Figuren aus «Avatar: Der Weg des Wassers», dem zweiten «Avatar»-Teil, der erst kürzlich in den Kinos angelaufen ist. 
Keystone/20th Century Studios via AP

Weiter kommen die russischen Truppen vermeintlich aus «Mordor», einer Brutstätte des Bösen in Anlehnung an die Fantasiewelt von J.R.R. Tolkien und seinem «Der Herr der Ringe». Bereits vor Bekanntwerden der Gräueltaten in den Vororten der Hauptstadt wurden die russischen Soldaten als «Orks» bezeichnet – also als plündernde Banden unmenschlicher Wesen und willige Vollstrecker des Bösen.

Ein Ork aus dem Tolkien-Universum. Dieses Exemplar heisst Azog und stammt aus dem Film «Der Hobbit: Die Schlacht der fünf Heere» aus dem Jahr 2014. 
Ein Ork aus dem Tolkien-Universum. Dieses Exemplar heisst Azog und stammt aus dem Film «Der Hobbit: Die Schlacht der fünf Heere» aus dem Jahr 2014. 
Keystone

Sprache passt sich der Zeit an 

Dass sich in Kriegszeiten Wörter aus dem Militärjargon in die zivile Sprache mische, sei kein neues Phänomen, sagt Beley. Manchmal könne die Sprache sogar helfen, sich von der Realität zu distanzieren. Auch die soziale Solidarität könne so gestärkt werden. «Dieser Prozess ist Teil der Realität und diese Realität erfordert dieses Lexikon. Die Sprache verändert sich ständig und passt sich an.» 

Auch die Art der Kommunikation habe sich während der letzten Monate teilweise verändert. «Wir haben ein neues Regelwerk», sagt Beley. Vor der russischen Invasion habe man sich einfach mit «Hallo» begrüsst. Inzwischen sei es üblich, mit «Wie geht es dir?» zu starten. Beendet werde ein Gespräch übrigens auch nicht mehr mit «Tschüss», sondern mit: «Pass auf dich auf.»