Mafia wittert Chance Wie ein Taucher ohne Sauerstoff: Das Corona-Problem in Süditalien

dpa

3.5.2020

In Süditalien gibt es vergleichsweise wenige Coronavirus-Infektionen, aber die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns sind umso stärker zu spüren. Davon könnte die Mafia profitieren.
In Süditalien gibt es vergleichsweise wenige Coronavirus-Infektionen, aber die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns sind umso stärker zu spüren. Davon könnte die Mafia profitieren.
Keystone

In Italien stehen nach zwei Monaten Isolierung die ersten lang ersehnten Lockerungen in der Coronakrise an. Doch die neue Freiheit zum Joggen nutzt den Menschen wirtschaftlich wenig. Vor allem dem Süden steht das Schlimmste noch bevor.

Touristen lieben den Spaziergang im Gewirr der Strassen von Neapel oder durch das Chaos von Palermos Strassenmärkten. Sie schätzen die Sonne im Süden Italiens, das schöne Meer, das Essen. Dieses Jahr gibt es all das nicht.

Zwar lockert Italien an diesem Montag nach fast zwei langen Monaten die Ausgangssperren, die so streng waren wie fast nirgends in Europa. Dann darf man zwar wieder joggen gehen oder Familie besuchen. Aber die meisten Geschäfte bleiben zu. Die wirtschaftlichen Aussichten sind vor allem für die Menschen im ärmeren Süden katastrophal.

«Als die Sperren begannen, haben wir sofort gesehen, dass die Situation explosiv werden könnte, weil viele Familien auf einmal nichts mehr hatten», sagt Alessia Rotolo von der Hilfsorganisation SOS Ballarò. Sie verteilt in Palermos berühmten Marktviertel Ballarò Essen an Menschen, die sich das Einkaufen nicht mehr leisten können. «Es gibt eine Menge Leute, die schwarz arbeiten (...) und wir versuchen, ihnen zu helfen.» Denn wer nicht legal arbeitet, kann auch nicht auf die Corona-Hilfen der Regierung zurückgreifen.

Paradoxe Lage

In Neapel erzählt der Chef des Pizzaverbandes, Antonio Pace, dass Pizzerien zwar wieder liefern dürfen – aber zum Essen ins Restaurant darf niemand kommen. «Wirtschaftlich bringt uns das nicht viel.» In der Stadt hängen Körbe für Bedürftige aus Fenstern.

Das Paradoxe an der Lage: In Süditalien sind die Fallzahlen vielerorts extrem gering. So gibt es zum Beispiel in ganz Kalabrien nur etwas mehr als 1000 Infizierte, in Basilikata 360 und in Sizilien etwas mehr als 3000. Der allergrösste Teil der Infektionen und Toten summiert sich auf den wirtschaftsstarken Norden: in der Lombardei, im Piemont oder in der Emilia-Romagna. Und doch ist überall das öffentliche Leben lahmgelegt.

Die Industrie, die am Montag wieder mit der Produktion beginnen darf, gibt es im Mezzogiorno fast nicht. «Das einzige, worauf wir setzen könnten, ist der Tourismus», erzählt Loris Rossetto aus Crotone, einer Stadt in Kalabrien, die in puncto Arbeitslosigkeit regelmässig Spitzenreiter in Italien ist. «Dieses Jahr sollte erstmals das Kreuzfahrtschiff ‹Aida› 18 Mal bei uns anlegen, das wäre sehr wichtig gewesen», erzählt Rossetto, der auch Gästezimmer anbietet. «Aber das ist jetzt natürlich wegen Corona abgesagt.»

Mafia profitiert von der Not der Menschen

Nach einer Berechnung des Thinktanks Svimez für den Mezzogiorno haben etwa 1,4 Millionen Menschen im Süden wegen der Corona-Massnahmen ihr reguläres Einkommen verloren und können keine staatlichen Hilfen beantragen. Es seien Menschen, die sowieso schon nur gerade so über die Runden kämen und mit Corona in die Armut abrutschen könnten, sagte Svimez-Direktor Luca Bianchi. «Das kann soziale Spannungen auslösen.»

Und es könnte der Mafia in die Hände spielen, die Menschen in Not mit Krediten anlockt und in die Abhängigkeit bringt. «Eine meiner Hauptsorgen ist, dass das organisierte Verbrechen seinen Einfluss auf die legale Wirtschaft ausweitet», so Bianchi. Auch Anti-Mafia-Ermittler hatten mehrfach davor gewarnt.

Mafiosi können der Bevölkerung Hilfen anbieten und weiter Geschäfte infiltrieren. Der Staat müsse daher schnell Hilfe anbieten. «Die Wirtschaft des Mezzogiorno ist wie ein Taucher mit weniger Sauerstoff in den Sauerstoffflaschen, er kann es nicht so lange unter Wasser aushalten.»

Die Coronavirus-Krise: Eine Chronologie

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