Hinterlistiger Feind Wie das Virus zwei Kriegsschiffe lahmlegte

dpa

23.4.2020

Auf der «Charles de Gaulle» und der «USS Theodore Roosevelt», zwei hochgerüsteten Flugzeugträgern aus Frankreich und den USA, ist das Coronavirus ausgebrochen. Eine Katastrophe auf hoher See.

Kurz bevor das Drama offenbar wurde, gab es noch ein Konzert. Im grossen Hanger des französischen Flugzeugträgers «Charles de Gaulle» spielte die Matrosenkapelle. Rund 300 Militärs lauschten den Klängen. Dabei habe man sich zwar bemüht, Distanz zu halten – im Nachhinein hätte man auf diese Veranstaltung aber wohl verzichten sollen, resümiert der Stabschef der französischen Marine, Christophe Prazuck. Denn kurze Zeit später – Anfang April – ist klar: Das Coronavirus ist mit an Bord. Aus ein paar Verdachtsfällen werden mehr als 1'000 infizierte Militärs. Wie konnte das passieren?

Bereits Ende März erschütterte ein Corona-Ausbruch auf dem US-Flugzeugträger «USS Theodore Roosevelt» die amerikanische Marine. Das Virus hatte sich rasch unter der Besatzung ausgebreitet. Mehr als 770 Besatzungsmitglieder haben sich mit dem Erreger Sars-CoV-2 infiziert, 99 Prozent der Crew wurde bisher getestet. Ein Besatzungsmitglied starb an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung. Am Ende stand der Rücktritt von Marineminister Thomas Modly. Hätten die Franzosen nicht gewarnt sein müssen?



Die «Charles de Gaulle» ist ein nuklear angetriebener Flugzeugträger und das Flaggschiff der französischen Marine. Entscheidend bei der Frage danach, wie das Virus auf das Schiff gekommen ist, ist ein Aufenthalt in Brest. Dort machte das riesige Kriegsschiff vom 13. bis 16. März Halt. Zu dieser Zeit gab es in Frankreich noch keine Ausgangsbeschränkungen, aber das Land steckte bereits mitten in der Corona-Krise. Der Fall aus den USA war noch nicht bekannt.

Fortsetzung der Mission statt Abbruch

Die Militärs hätten dringend etwas Zeit zum Wiederauftanken gebraucht, verteidigte Prazuck den Stopp im «Journal Du Dimanche». Allerdings geht er davon aus, dass das Virus wahrscheinlich in Brest an Bord gekommen ist – sicher sei es aber nicht. Die Militärs durften an diesem Wochenende ihre Familien besuchen, einige sind Berichten zufolge in Bars zum Feiern gegangen. Rückblickend, so Prazuck, wäre es vielleicht besser gewesen, die Mission damals abzubrechen.

Doch es ging wieder raus auf den Atlantik, mit mehr als 2'000 Militärs. Auf einem Schiff, auf dem man sich kaum aus dem Weg gehen kann, mit engen Gängen und Zimmer für bis zu 20 Menschen. In dieser Zeit gab es laut französischem Verteidigungsministerium einige Vorsichtsmassnahmen, der Morgenappell wurde etwa abgesagt. «Nach vierzehn Tagen auf See, in denen keine Fälle gemeldet wurden, wurde (dies) allmählich gelockert, da der Kommandant das Gefühl hatte, dass das Risiko geringer geworden sei...», so Stabschef Prazuck. Im Hangar spielte also die Kapelle. Zu diesem Zeitpunkt müsste den Franzosen auch der Ausbruch auf dem US-Schiff bekannt gewesen seien.

Der Flugzeugträger «Charles de Gaulle» bei seiner Rückkehr am 12. April.
Der Flugzeugträger «Charles de Gaulle» bei seiner Rückkehr am 12. April.
Bild: Keystone

Kurz darauf gab es erste Verdachtsfälle auf der «Charles de Gaulle». Das Investigativportal «Mediapart» berichtete etwa unter Berufung auf einen Matrosen und Familienangehörige, dass die Epidemie auf dem Schiff solche Ausmasse annahm, dass nicht alle Kranken verfolgt und isoliert werden konnten. Viele Menschen hätten Symptome gehabt, es sei überall gehustet worden.

Das Schiff kehrte am 12. April schliesslich in seinen Heimathafen Toulon zurück, die Militärs wurden in der Region isoliert - einige erheben schwere Vorwürfe. Mehr als 20 kamen ins Krankenhaus, zwei sogar auf die Intensivstation. Verteidigungsministerin Florence Parly musste sich vor dem Verteidigungsausschuss des Senats zu dem Skandal befragen lassen.

Dass ein solch beengter Ort wie ein Flugzeugträger für ein Virus der perfekte Ort ist, ahnte auch der entlassene Kapitän der «USS Theodore Roosevelt», Brett Crozier. Er schlug in einem Brief Alarm wegen der Situation an Bord – und sendete ihn an einen grossen Verteiler. Er forderte eine weitgehende Evakuierung des Schiffs, um weitere Infektionen zu vermeiden. «Wir befinden uns nicht im Krieg. Keine Marineangehörigen müssen sterben», schrieb Crozier. Ohne Evakuierung müsse mit dem Tod von Soldaten gerechnet werden, warnte er. Er sollte Recht behalten.

Wissenschaftlich interessant

Doch so dramatisch die beiden Fälle auch sind, sie sind auch wissenschaftlich nicht uninteressant. US-Verteidigungsminister Mark Esper sagte vergangene Woche, dass von 585 positiv getesteten Soldaten nur 213 Symptome gezeigt hatten. Auch in Frankreich haben nur rund die Hälfte der mehr als 1'000 positiv getesteten Besatzungsmitglieder Symptome. Die Besatzung eines Kriegsschiffes ist im Schnitt außerdem jünger als der Durchschnitt der Bevölkerung.

«Es gibt wahrscheinlich eine beträchtliche Anzahl asymptomatischer Formen, die vor allem in jüngeren Bevölkerungen auftreten», sagte Jean-François Delfraissy, der Leiter des wissenschaftlichen Rates, der die französische Regierung in der Krise berät. Allerdings gibt er auch zu bedenken: «Es ist sehr informativ und sollte uns zum Nachdenken anregen, aber es handelt sich immer noch um ganz besondere Bedingungen.»

Heute liegt die nukleargetriebene und hochgerüstete «USS Theodore Roosevelt» vor der Pazifikinsel Guam. Das Schiff ist inzwischen weitgehend evakuiert worden. Aus Sicherheitsgründen können allerdings nicht alle Soldaten von Bord gehen. Der Grund für den Ausbruch ist noch unklar. Von einer Rückkehr zur Normalität kann noch immer keine Rede sein. Die laut US-Medien geplante Rückkehr auf das Schiff, von dem angenommen wird, dass es mittlerweile «coronafrei» ist, verzögert sich.

Im Gegensatz zu den USA hat Frankreich nur einen einzigen Flugzeugträger - die «Charles de Gaulle». Das Flaggschiff der französischen Marine, das in der Vergangenheit am Kampf gegen islamistische Kämpfer im Nahen Osten, beteiligt war, liegt nun im Hafen von Toulon und wird desinfiziert.

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