Ukraine-Krise Wie Russland Sarkasmus und Spott als Waffe einsetzt

AP/toko

18.2.2022 - 05:52

Der russische Präsient Wladimir Putin soll vor dem eigenen Volk cooler und und cleverer wirken als der panische, demokratische Westen.
Der russische Präsient Wladimir Putin soll vor dem eigenen Volk cooler und und cleverer wirken als der panische, demokratische Westen.
Alexei Nikolsky/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Während es im Westen eine Vielzahl von Informationen über mutmassliche russische Einmarschpläne gibt, stellt sich Russland als kaltblütiger Profi unter Hysterikern dar. Doch auch seine Angaben sind mit Vorsicht zu geniessen.

DPA, AP/toko

Spekulationen über den Zeitpunkt einer potenziellen russischen Invasion der Ukraine wischte EU-Botschafter Wladimir Tschischow diese Woche mit einer eher flapsigen Lektion in Geschichte beiseite: «Kriege in Europa beginnen selten an einem Mittwoch», sagte der Diplomat der «Welt». Die Stichelei hat durchaus Methode: Während die USA und andere Nato-Mitglieder vor der Gefahr eines verheerenden Krieges warnen, kontert Russland nicht mit Bomben und Olivenzweigen – sondern mit Sarkasmus.

Es ist eine rhetorische Waffe, der sich Kremlvertreter schon seit Langem bedienen, um ihre westlichen Rivalen lächerlich zu machen. Nebenbei kann Moskau damit von seinen Aktionen ablenken, die vom Westen oder Russlands Nachbarn als bedrohlich aufgefasst werden. Die Spötteleien gehen Hand in Hand mit der Kreml-Agenda, die dem eigenen Volk vermitteln soll, dass Russland und dessen mächtiger Präsident Wladimir Putin cooler und cleverer als der panische, demokratische Westen sei.



«Zum Bedauern vieler westlicher Medien ging der Krieg wieder nicht los»

Zu besichtigen war die Taktik, als sich die Sorge verflüchtigte, dass Mittwoch der Tag sei, an dem Putin zum Angriff auf die Ukraine blasen könnte. Russische Funktionäre liessen ihrer Häme freien Lauf.

Die «Massenmedien der Desinformation» im Westen mögen doch bitte «den Zeitplan für unsere «Invasionen» für das kommende Jahr verraten», bat Aussenamtssprecherin Maria Sacharowa in einem Facebook-Post. «Ich möchte gerne meinen Urlaub planen.» Auf einer Pressekonferenz legte sie am Mittwoch nach. «Zum Bedauern vieler westlicher Medien ging der Krieg wieder nicht los», stichelte sie. «Das Gefecht ist auf ihren Seiten ausgebrochen, aber es hat keinen Bezug zur Realität.»



Die Ukraine leben unterdessen seit Wochen inmitten Anzeichen einer möglichen Invasion. Geschätzte 150'000 russische Soldaten umgeben den Grossteil ihres Landes, um Militärmanöver vorzunehmen. Moskau erklärte diese Woche zwar, dass es einige Truppen abgezogen habe. Doch sehen westliche Militärs keine Belege für einen ernsthaften Rückzug.

Russlands EU-Botschafter Tschischow warf dem Westen vor, mit seinen Warnungen vor einem womöglich bevorstehenden Einmarsch sein Land zu verleumden. Es werde keinen Angriff an diesem Mittwoch geben, sagte er der «Welt», nur um dann seine eingangs zitierte Belehrung über die europäische Militärgeschichte nachzuschieben. Tschischows Aussage war offensichtlich nicht ganz ernst gemeint, denn in Europa haben Konflikte an allen möglichen Wochentagen begonnen. Der Erste Weltkrieg begann zwar an einem Dienstag und der Zweite Weltkrieg an einem Freitag, doch der sowjetische Einmarsch zur Beendigung des Prager Frühlings in der Tschechoslowakei erfolgte in der Nacht zum 21. August 1968 – einem Mittwoch.

Spott vom Kremlsprecher

Die anhaltenden Sorgen im Westen nahm auch Kremlsprecher Dmitri Peskow auf die Schippe. Auf die am Mittwoch gestellte Reporterfrage, ob die russische Regierungszentrale in der Nacht anders agiere als sonst, entgegnete er, dass alle im Kreml ganz ruhig geschlafen und am Morgen wieder die Arbeit aufgenommen hätten. «Die westliche Hysterie ist bei weitem noch nicht an ihrem Höhepunkt», ergänzte Peskow. «Wir müssen Geduld haben, zumal die Remission (Nachlassen der Symptome) nicht schnell kommen wird.»

Politologe Laurent Goetschel zur Kriegsgefahr in der Ukraine

Politologe Laurent Goetschel zur Kriegsgefahr in der Ukraine

Die Lage im Ukraine-Konflikt ist mehr als unübersichtlich: Was will Wladimir Putin erreichen und wie gross ist die Gefahr eines Krieges? Laurent Goetschel, Politologe der Uni Basel, erklärt Europas Dilemma.

14.02.2022

Als Meister der diplomatischen Bissigkeit gilt aber immer noch der russische Aussenminister Sergej Lawrow. Weltweit ist der Mann, der schon seit gut 18 Jahren oberster Diplomat des Kreml ist, für seine oft auf Englisch abgefeuerten Breitseiten berüchtigt. Dem Westen attestierte Lawrow zum Beispiel am Mittwoch einen traurigen «Mangel an grundlegender Kinderstube», weil dieser versucht habe, russische Absichten zu diktieren oder vorauszusagen.

Bei allem Sarkasmus ist es bisher Russland, das von Anfang an das Narrativ im Ukraine-Konflikt bestimmt: erst durch Truppenverlegungen in Richtung der Ukraine, dann indem Moskau hin und wieder die Option einer diplomatischen Lösung ins Spiel bringt und politische Akteure im Ausland und die globalen Finanzmärkte in Atem hält. So stellte Putin zwar diese Woche weitere Gespräche in Aussicht, doch sind seine Pläne für die Ukraine nach wie vor unklar. Westliche Geheimdienste vermuten noch immer, dass es irgendeine Art von Invasion geben könnte – an einem anderen Mittwoch oder einem anderen Wochentag.