Homeoffice-Empfehlung «Völlig daneben» oder «legitim» – wie die SBB-Pläne ankommen

Von Gil Bieler

10.6.2020

Die Züge der SBB sind derzeit nur halb so gut gefüllt wie zu normalen Zeiten.
Die Züge der SBB sind derzeit nur halb so gut gefüllt wie zu normalen Zeiten.
Bild: Keystone

Die SBB sollen keine Freude an der Homeoffice-Empfehlung des Bundes haben, denn: Sie wünschen sich mehr Passagiere. Aber nicht zu Stosszeiten. Wie das gehen soll – und was Verkehrspolitiker dazu sagen.

«Falls möglich weiter im Homeoffice arbeiten» – diese Empfehlung des Bundesamts für Gesundheit (BAG) gilt wegen der Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus nach wie vor. Doch die SBB stossen sich offenbar daran: Dem «Tages-Anzeiger» zufolge lobbyieren die Bundesbahnen in Bern dafür, dass diese Empfehlung gelockert wird.

Der Grund: Die Auslastung im öffentlichen Verkehr (ÖV) lässt zu wünschen übrig. Bei den SBB liegt sie laut eigenen Angaben nur bei rund 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – Tendenz immerhin steigend.

Die SBB hätten beim Bund keinen Antrag gestellt, die Homeoffice-Empfehlung zu relativieren, sagt SBB-Mediensprecher Reto Schärli zu «Bluewin».

Im Bericht des «Tages-Anzeigers» sind zumindest Absichten in diese Richtung erwähnt: «Die SBB haben deshalb lanciert, dass im Bundesstab für Bevölkerungsschutz eingebracht wird, diese Aussage jetzt zu relativieren, da viele Unternehmungen wieder zur Normalität zurückkehren werden» – so wird aus dem Sitzungsprotokoll zitiert.

Dass sich die SBB mehr Passagiere wünschen, kann Schärli bestätigen: «Es ist im Interesse aller, wenn der ÖV – unter Einhaltung des Schutzkonzepts – wieder stärker genützt wird.» Das würde die Strassen entlasten und sei auch aus ökologischer Sicht wünschenswert.

«Vertrauen zurückgewinnen»

In der Politik gehen die Meinungen zum Ziel der SBB auseinander. «Das ist völlig daneben», sagt SVP-Nationalrat Thomas Hurter – er ist Mitglied in der parlamentarischen Verkehrskommission. «Jetzt haben wir jahrelang über Homeoffice geredet, und viele Firmen mussten in diesem Bereich wegen Covid-19 gezwungenermassen vorwärtsmachen.» Er findet das eine gute Entwicklung.

Die SBB müsste nun erst einmal das Vertrauen in der Bevölkerung wiederherstellen, dass man ohne Infektionsgefahr mit dem Zug reisen könne.



Verständnis für das Bahnunternehmen hat dagegen Hurters Rats- und Kommissionskollege Martin Candinas: «Den ÖV-Unternehmen sind in der Corona-Krise grosse finanzielle Lücken entstanden, natürlich auch wegen dieser Empfehlung zum Homeoffice.»

Der Bündner CVP-Nationalrat findet es daher legitim, dass die SBB versuchten, ihre Interessen und jene der anderen ÖV-Unternehmen in den üblichen Gesprächen anzubringen: «Das machen alle Branchen so, und auch der ÖV muss ein Interesse haben, möglichst wirtschaftlich arbeiten zu können.»

Generell betrachtet Candinas die Homeoffice-Empfehlung als nicht unproblematisch: Solange diese bestehen bleibe, rate man indirekt auch dazu, per Auto oder Velo zu pendeln statt per ÖV. Dass dies so verstanden werde, könne er schon in seinem persönlichen Umfeld beobachten.

Pro Bahn: «Verständlich und nicht überraschend»

Auch bei der Pendlerorganisation Pro Bahn stärkt man den SBB den Rücken: «Es ist im Interesse aller, dass der ÖV wieder stärker genutzt und damit nicht nachhaltig geschädigt wird», sagt Präsidentin Karin Blättler auf Anfrage. Das Anliegen der ÖV-Branche sei «verständlich und kommt nicht überraschend». Blättler ist sich sicher: Wenn alle Reisenden das Schutzkonzept und die Empfehlungen einhielten und ernst nähmen, dann sei das Reisen in Zug und Bus sicher.

SBB-Sprecher Schärli betont, dass die Bahnen nicht gegen das Arbeiten zu Hause seien. «Wenn Homeoffice dazu beiträgt, dass die Hauptverkehrszeit entlastet wird, ist das im Sinne der SBB.»

Mehr Pendler, aber nicht zu Stosszeiten – wie geht das? «Falls alle Bahn-Pendler der Schweiz, die flexibel arbeiten können und wollen, nur schon zwei Fahrten pro Woche ausserhalb der Hauptverkehrszeit zurücklegen würden, sinkt die Anzahl Reisende während der Stosszeiten um rund sieben Prozent», rechnet der SBB-Sprecher vor. Die durchschnittliche Sitzplatzbelegung in den SBB-Zügen liege in normalen Zeiten bei unter 30 Prozent: Das Problem sei also, dass die meisten Pendlerinnen und Pendler zu den gleichen Zeiten unterwegs seien.

Sowohl CVP-Mann Candinas wie auch SVP-Nationalrat Hurter glauben, dass Homeoffice zu einer besseren Auslastung der Züge beitragen könne – doch um das Problem der Stosszeiten zu lösen, reiche das noch nicht.



Arbeitgeber in der Pflicht

Bei Pro Bahn sieht man die Arbeitgeber in der Pflicht: Diese müssten Mitarbeitern – wann immer möglich – flexible Arbeitszeiten gewähren, sodass für jene Pendler, die keine andere Wahl hätten, zu Stosszeiten mehr Platz zur Verfügung stehe. «Es lässt sich überraschend vieles arrangieren, wenn man wirklich nach Lösungen sucht», ist Karin Blättler überzeugt.

Bei den SBB selbst arbeiteten während des Lockdowns übrigens alle Angestellten, bei denen dies möglich war, konsequent im Homeoffice – laut Mediensprecher Schärli waren das zeitweise bis zu 12’000 Mitarbeitende.

Auch heute würden maximal 25 Prozent der Mitarbeitenden in den Büros arbeiten. Bei einer Anpassung dieser Quoten halte man sich an die Weisungen des Bundesrats. Erwartet werde, dass ab Mitte Juli bis auf Weiteres nicht mehr als 50 Prozent der Mitarbeitenden in die Büros zurückkehren könnten.

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