20. Jahrestag Das Attentat von Zug wirkt bis heute nach

Von Gil Bieler

27.9.2021

Er hat die Schreckenstat vor Ort miterlebt – und überlebt: Beat Villiger, Zuger Regierungsrat und Sicherheitsdirektor, fühlt sich dennoch sicher.
Er hat die Schreckenstat vor Ort miterlebt – und überlebt: Beat Villiger, Zuger Regierungsrat und Sicherheitsdirektor, fühlt sich dennoch sicher.
Bild: Keystone/Alexandra Wey

Der Attentäter von Zug konnte vor 20 Jahren ungehindert ins Parlament gelangen. Aus der schockierenden Tat haben nicht nur Zug, sondern auch andere Kantone Lehren gezogen. Vom Versuch, an das Unmögliche zu denken.

Von Gil Bieler

27.9.2021

Hätte alles verhindert werden können? Hätten Zutrittsschranken und mehr Sicherheitspersonal den Täter aufhalten können? Wie nach jeder Tragödie stellen sich auch beim Zuger Attentat diese Fragen – wenn auch, wie so oft, erst im Rückblick.

Vielleicht hätte man für ein solches Szenario besser vorplanen müssen, meint der Zuger Sicherheitsdirektor Beat Villiger, der die erschreckende Tat damals miterlebt – und überlebt – hat. Über seinen persönlichen Umgang damit mochte der Mitte-Politiker in der Vergangenheit bewusst nicht sprechen – über sicherheitspolitische Aspekte dagegen schon.

«Auch wenn man natürlich versucht, an das Unmögliche zu denken: Mit so einer Gefahr konnte niemand rechnen», sagt Villiger im Gespräch mit «blue News». Er könne darum auch niemandem einen Vorwurf machen. 

Etwas Vergleichbares wie jene Schreckenstat, die vor 20 Jahren das Land erschütterte, hatte die Schweiz bis dahin noch nie gesehen.

91 Schüsse, 14 Todesopfer

Ein bewaffneter Mann dringt am 27. September 2001 kurz nach 10.30 Uhr in eine Sitzung im Kantonsratssaal ein. Er hat sich als Polizist verkleidet, er hat ein Sturmgewehr dabei – und eröffnet das Feuer. 91 Schüsse gibt der Attentäter ab. 14 Politikerinnen und Politiker sterben im Kugelhagel, 15 weitere Personen werden teils schwer verletzt. Danach nimmt sich der 57-jährige Schütze selbst das Leben.

Die Sicherheitsvorkehrungen im Kantonsparlament waren, wie damals üblich, nicht besonders umfangreich. Daran hat sich in der Zwischenzeit einiges geändert – in Zug, aber auch in anderen Kantonen, wie eine Umfrage von «blue News» zeigt.

Der Kanton Zug hat insgesamt 7,5 Millionen Franken in die Sicherheit investiert. Gebäude politischer und juristischer Institutionen wurden mit baulichen Massnahmen – unter anderem mit Einlassschleusen – gesichert, für den Eintritt braucht es einen Badge. «Die Sicherheitsmassnahmen sind massiv verbessert worden», sagt Villiger. 

Auch in Luzern hat man punkto Sicherheit infolge des Zuger Attentats nachgebessert: «So wurden beispielsweise die Büroräume von den öffentlich zugänglichen Bereichen des Regierungsgebäudes mit baulichen Massnahmen abgetrennt», erklärt die Staatskanzlei auf Anfrage. Während Sessionen des Kantonsparlaments führe die Polizei Zugangskontrollen durch, weitere Massnahmen würden ergriffen, «wenn Hinweise auf konkrete Bedrohungslagen» vorlägen.

In Basel-Stadt wurde der Zugang zu Rathaus und Parlamentsbetrieb ebenfalls erschwert. Im Kanton Uri war die Polizei «während einiger Jahre» vor und im Ratssaal präsent. In Graubünden ist die Kantonspolizei während Sessionen bis heute vor Ort.

Im Thurgau wurde es auch schon brenzlig. «Es waren schon mehrere Interventionen durch die Polizei notwendig, beispielsweise um von Besuchern mitgeführte gefährliche Gegenstände vorübergehend sicherzustellen», teilt die Kantonspolizei Thurgau mit. «Vereinzelt musste Besuchern der Zutritt zu den Sitzungsräumlichkeiten aufgrund ihres Verhaltens verweigert werden.»

Das Alarmdispositiv wurde auch in Appenzell-Innerrhoden angepasst. Personen würden bei der Ankunft im Grossen Rat vom Landweibel empfangen. «Auffälligkeiten oder Schwierigkeiten meldet er umgehend, sodass gegebenenfalls sofort alarmiert werden kann», erklärt Ratsschreiber Markus Dörig.

«Wichtiger als die technischen Massnahmen war aber, dass das Bewusstsein für gefährliche Entwicklungen im Vorfeld einer Eskalation gewachsen ist», so Dörig. «Die Verwaltung, die Polizei und die Behörden sind sich des allgemeinen Gefahrenmanagements bewusster und beachten dieses.»

Dasselbe gilt im Kanton Zug: Dort können Amtsstellen heute die Polizei informieren, wenn sie bei einer Person ein mögliches Eskalationsgefahr befürchteten, sagt Villiger. «Die Polizei sucht dann das Gespräch mit den Betroffenen, um zu sehen, wo genau die Probleme liegen.» Mittlerweile werde das jährlich bei zehn bis 20 Personen im Kanton gemacht. 

Dem Dialog mit der Bevölkerung räumt Villiger generell einen hohen Stellenwert ein: «Immer, wenn eine Bürgerreklamation auf meinem Tisch landet, versuche ich, mir Zeit für einen Anruf zu nehmen, um die Probleme zu diskutieren. Zugleich müssen wir die Mitarbeitenden und uns selber schützen, wenn von Wutbürgern Risiken ausgehen.»

Die Polizei könne solche Personen heute ansprechen und je nachdem beraten oder aufgrund von Risiken Weiterungen vornehmen. Auch das revidierte Waffengesetz und die zwischen den Kantonen vernetzten Waffenregister seien gute Präventionsmittel, so Villiger.

Sorge wegen Massnahmen-Kritikern?

Infolge der Corona-Pandemie ist die Stimmung dieser Tage aufgeheizt – das zeigte sich jüngst auf dem Bundesplatz in Bern, wo die Polizei den Wasserwerfer gegen renitente Massnahmen-Kritiker einsetzte. Der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause sprach später davon, dass die Polizei «einen möglichen Sturm aufs Bundeshaus» verhindert habe.



«Diese Gräben wieder zu kitten, ist die wahrscheinlich grösste Herausforderung für die Politik», findet Villiger. Der tragische Vorfall aus Deutschland, wo ein Mann einen Tankstellen-Mitarbeiter wegen Meinungsverschiedenheiten zur Maskenpflicht erschossen hatte, gibt ihm zu denken: «Die Leben von beiden sind zerstört, wegen so einer Sache.» Er selber hält aber fest: «Ich fühle mich auch jetzt noch sicher. Ich verstehe aber, wenn es jemandem anders geht.»

Gedenkgottesdienst im Stream

Den 20. Jahrestag des Attentats begeht Zug heute mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Kirche St. Michael, dem auch Bundespräsident Guy Parmelin beiwohnen wird. Der Gottesdienst beginnt um 20 Uhr und wird mittels Livestream übertragen.

Ob die aktuelle Stimmungslage auch Nachbesserungen am Sicherheitskonzept nötig gemacht hat, dazu gibt man sich bei den angefragten Kantonen – aus sicherheitstaktischen Überlegungen – wortkarg. So antwortet die Staatskanzlei Glarus einzig: «Wir bemühen uns, eine weitere Emotionalisierung des Themas zu verhindern. Aus diesem Grund möchten wir uns nicht dazu äussern.»

Beim Kanton St. Gallen ist nur generell von «verschiedenen baulichen und personellen Massnahmen» die Rede, die getätigt worden seien. Und die Staatskanzlei Bern teilt mit, man habe die Schutzvorkehrungen unabhängig von der Pandemie ausgebaut: «So wurden die Zugänge zum Rathaus und zur Staatskanzlei diesen Sommer überall mit einem neuen Schliesssystem ausgerüstet.»

Auch Beat Villiger findet es gut und richtig, dass zum Zuger Parlament nicht mehr jede und jeder Zugang hat. Dennoch müsse man die Bürgernähe, für die die Schweizer Politik bekannt ist, beibehalten: «Nur wegen eines einzigen Vorfalls darf man nicht alles über den Haufen werfen, was gut war.»