Liefer- und Personalengpass Der Solarboom bringt die Branche ins Schwitzen

Von Gil Bieler

26.12.2022

Bundesrätin Simonetta Sommaruga bei der Einweihung einer Solaranlage in Lignon nahe Genf.
Bundesrätin Simonetta Sommaruga bei der Einweihung einer Solaranlage in Lignon nahe Genf.
Bild: Keystone/Jean-Christophe Bott

Die Schweizer*innen montieren so viele Photovoltaik-Anlagen wie noch nie auf ihren Dächern – und der Boom soll weitergehen. Doch die grosse Nachfrage bringt auch Lieferprobleme ans Licht.

Von Gil Bieler

26.12.2022

Eines hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine für Simonetta Sommaruga deutlich gemacht: Die Schweiz müsse ihre Abhängigkeit von russischem Erdöl und Erdgas abschütteln, die erneuerbaren Energien müssten gestärkt werden. Dieses Credo äussert die Energieministerin gerade häufig – und setzt grosse Hoffnungen in die Sonnenenergie. Denn diese boomt in der Schweiz wie keine andere erneuerbare Energiequelle.

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Zum Jahresende bringt blue News die Lieblingsstücke des ablaufenden Jahres noch einmal. Dieser Text erschien zum ersten Mal am 9. April 2022.

2021 haben sich Schweizer*innen so viele Photovoltaik-Anlagen auf ihre Dächer bauen lassen wie noch nie, heisst es beim Branchenverband Swissolar. Per Ende 2020 machte Photovoltaik laut Bundesamt für Energie rund 5 Prozent der Schweizer Stromproduktion aus.

Doch zeigt der Boom der Branche auch Grenzen auf: Ein Mangel an Montage-Fachleuten gebe ihr zu denken, sagte Sommaruga vergangene Woche an einem Branchenanlass in Bern. «Es darf nicht sein, dass jetzt, wo die Bevölkerung bereit ist und auf Photovoltaik setzen will, wir nicht bereit sind. Gerade die Branche kann und soll jetzt richtig loslegen.»

Das Ziel: Eine Verdreifachung bis 2030

Die Bundesrätin hat damit einen wunden Punkt getroffen: «Bei den Fachkräften haben wir einen Engpass», bestätigt Swissolar-Geschäftsleiter David Stickelberger auf Anfrage von blue News. Konkrete Zahlen könne er nicht nennen, aber die Branche müsse hier deutlich nachlegen. Allein schon, um die eigenen Ziele erreichen zu können: Bis 2030 sollen jährlich dreimal so viele Solaranlagen installiert werden wie heute. «Das entspricht in etwa auch einer Verdreifachung der Arbeitskräfte auf über 20'000 Vollzeitstellen.»

Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine neue Berufslehre geplant, deren Start für den Herbst 2024 vorgesehen ist. Gleichzeitig sollen mehr Quereinsteiger*innen für die Montage von Photovoltaik-Anlagen gewonnen werden, und in einem speziellen Programm werden auch Flüchtlinge in diesem Beruf geschult.

Eine Verdreifachung bis 2030: Das tönt sehr ambitioniert. Stickelberger begründet seine Zuversicht mit den Erfahrungen der letzten Jahre: 2020 seien bereits 30 Prozent mehr Photovoltaik-Anlagen installiert worden als noch im Vorjahr, 2021 sei dieser Wert nochmals um 30 Prozent gestiegen. «Ich will die Herausforderung nicht kleinreden, aber das zeigt: Es ist vieles möglich.»

Daran glaubt auch der Bundesrat: Gemäss seinen Zielvorgaben soll Photovoltaik ab 2035 mindestens 14 Terawattstunden (TWh) Elektrizität im Jahr liefern. Das wäre rund ein Fünftel des heutigen Stromverbrauchs. Dafür müssten Photovoltaik-Anlagen jedes Jahr mindestens 730 Megawatt zusätzlichen Strom produzieren. «Diesen Wert werden wir dieses Jahr schon erreichen, ohne Problem», meint Stickelberger.

Den Optimismus teilen unabhängige Experten prinzipiell – etwa Tobias Schmidt, Energieexperte und Professor an der ETH Zürich. Der genannte Produktionszuwachs sei mit Blick auf die europäische und internationale Solarindustrie gut machbar, sagt Schmidt. «Auch zeigen Erfahrungen aus dem Ausland, dass man eine Solarinstallationsindustrie recht schnell aufbauen kann. Photovoltaik ist eindeutig die Stromerzeugungstechnologie, die man am schnellsten hochfahren kann – auch in der Schweiz.»

«Es braucht dann sehr viele Solaranlagen, und die müssen erst noch montiert werden.»

Christian Schaffner

Direktor Energy Science Center, ETH Zürich

Christian Schaffner, Direktor des auf Energiefragen spezialisierten Energy Science Center der ETH Zürich, bestätigt: In einer Analyse haben die Forschenden berechnet, dass bis zum Jahr 2030 rund 12 Terawattstunden Strom mittels Solarenergie gewonnen werden könnten. «Und wir reden hier von konventionellen Methoden, also klassischen Photovoltaik-Anlagen auf Hausdächern», sagt Schaffner.

Alternative Grossprojekte – wie zum Beispiel Anlagen an Staumauern oder im Alpenraum – seien gar nicht einberechnet. «Aber: Es braucht dann sehr viele Solaranlagen auf sehr vielen Hausdächern, und die müssen erst noch montiert werden.»

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Wie sieht das in der Praxis aus? Die nötigen Fachleute zu rekrutieren, sei «herausfordernd, aber wir finden sie», sagt Noah Heynen. Er ist CEO von Helion, dem Schweizer Marktführer im Bereich Solaranlagen. In den letzten zwei Jahren habe seine Firma knapp 300 Mitarbeitende angestellt. Nicht nur in der Montage, auch in der Planung und im technischen Vertrieb. «Das sind alles gefragte Leute», sagt Heynen, «daher braucht es Zeit und Anstrengungen, um jede Stelle zu besetzen.»

Das Problem sei, dass in der Regel die Branchenkenntnisse fehlten. Meist würden Elektriker, Dachdecker, Spengler und Heizungsmonteure rekrutiert, die dann intern ausgebildet würden. «Das kann nur eine Notlösung sein», findet Heynen. «Der geplante Solar-Lehrgang ab 2024 wird hier Erleichterung bringen.»

China liefert die allermeisten Solarmodule

Eine andere Herausforderung betrifft die Abhängigkeit von China: Rund zwei Drittel der hierzulande installierten Solarmodule stammen laut Swissolar von dort. Dass infolge der Corona-Pandemie die internationalen Lieferketten ins Stocken gerieten, spürte auch die Branche: «Nachdem China Anfang 2020 die ersten rigorosen Corona-Massnahmen ergriffen hat, gab es bei den Panels einen Lieferengpass.»

Auch hier kann Stickelberger keine Zahlen für die ganze Branche nennen, aber: «Zwei, drei Monate Verzögerung haben sich dadurch für die meisten Projekte ergeben.»

Das Problem habe sich nicht gelegt, aber zumindest entschärft. Ist das mit den Wachstumszielen vereinbar? «Die Chinesen wären durchaus in der Lage, die Produktion entsprechend hochzufahren», sagt Stickelberger, «nur brauchen sie viele Solarmodule derzeit, um die eigene Nachfrage zu decken.» Doch unabhängig davon müsse die starke Abhängigkeit von einem einzigen Herstellermarkt überdacht werden. Die erhoffte Lösung: mehr Produktion in Europa.

Wie der Bundesrat sich an einer Stärkung der Photovoltaik-Industrie in Europa beteiligen will, muss er nun in einem Bericht darlegen: Der Nationalrat hat in der Frühjahrssession ein entsprechendes Postulat von Gabriela Suter angenommen. Auch die SP-Politikerin findet die Abhängigkeit von China problematisch.

«Die Chinesen brauchen derzeit viele Solarmodule, um die eigene Nachfrage zu decken.»

David Stickelberger

Geschäftsleiter Swissolar

ETH-Experte Christian Schaffner findet das Problem jedoch nicht allzu dramatisch. «Anders als beim Erdöl oder Erdgas braucht es für Solarmodule weder spezielle Infrastruktur noch regelmässige Lieferungen. Habe ich eine Anlage einmal montiert, hat sich die Abhängigkeit von China bereits erledigt.»

Denselben Vorteil streicht auch Noah Heynen heraus. Er hat daher keine Zweifel, dass der Solarboom anhalten wird. Dieser zeigt sich exemplarisch auch am Wachstum der Helion, die innert zweier Jahre von 130 auf 430 Angestellte angewachsen ist. «Dass wir trotz Hürden so viele Leute finden, liegt vor allem an der jungen Generation», sagt der CEO. «Die reden nicht nur davon, dass sie eine sinnstiftende Arbeit machen wollen, sondern glauben wirklich an die Energiewende.» 

Doch nun müsse die Politik für Planungssicherheit sorgen, damit der Boom anhalten könne. Die Branche hofft unter anderem auf Preisstabilität und eine Vereinfachung bürokratischer Hürden – und spielt den Ball damit zurück zu Simonetta Sommaruga.

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